# taz.de -- Humanitäre Hilfsgelder in Syrien: Assad zwackt sich die Hälfte ab
       
       > Viele Menschen in Syrien brauchen humanitäre Hilfe. Aber nicht alles
       > kommt da an, wo es soll. Millionenbeträge landen so bei sanktionierten
       > Personen.
       
 (IMG) Bild: Elf Jahre nach Kriegsbeginn sind weiter Millionen Menschen in Syrien auf Hilfe angewiesen
       
       BEIRUT taz | Syrien ist das weltweit größte Empfängerland humanitärer
       Hilfe. Doch längst nicht alles kommt an den richtigen Stellen an – mehr
       noch: Das Assad-Regime und seine Unterstützer*innen erhalten
       Millionenbeträge von den Vereinten Nationen. 2019 und 2020 sind rund 47
       Prozent der UN-Beschaffungsgelder in Syrien an Lieferanten gegangen, die
       mit hoher Wahrscheinlichkeit in Verbindung zu Menschenrechtsverletzungen
       des Regimes stehen.
       
       23 Prozent der Gelder, 68 Millionen US-Dollar, gingen an Personen, die von
       den USA, Großbritannien und der EU sanktioniert sind. Das zeigt [1][ein
       neuer Bericht] des in London ansässigen Syrian Legal Development Program
       (SLDP) und des Observatory of Political and Economic Networks (Open). Die
       Forscher*innen haben einhundert Vertragspartner*innen der UN
       untersucht, die beispielsweise Nahrungsmittel, Büroausstattung oder
       Elektronik lieferten.
       
       Etwa 75 Millionen Dollar gingen in den zwei Jahren an Unternehmen, die aus
       „Datenschutz“- oder „Sicherheitsgründen“ nicht genannt wurden. Die
       Weltgesundheitsorganisation (WHO), eine der involvierten UN-Organisationen,
       hat eine der höchsten Geheimhaltungsraten.
       
       Doch Mitarbeiter*innen des syrischen WHO-Büros [2][lieferten der
       Nachrichtenagentur AP] im Oktober mehr als hundert vertrauliche Dokumente,
       die zeigen, dass die Syrien-Vertreterin der WHO, Akjemal Magtymova,
       Millionen Dollar falsch verwaltet und Regierungsbeamte mit Geschenken
       überhäuft hat – darunter Computer, Gold und Autos.
       
       ## Assad setzt UN unter Druck
       
       Für den syrischen Staat sind UN-Gelder ein beträchtliches Einkommen. 2020
       zwackte das Regime von UN-Geldern, die über Syriens Zentralbank liefen,
       rund die Hälfte ab. Die Bank manipulierte den Umrechnungskurs bei der
       Auszahlung so, dass sie dabei 60 Millionen Dollar verdiente. Das fand die
       US-Denkfabrik [3][Center for Strategic and International Studies (CSIS)]
       vergangenes Jahr heraus. Die Zentralbank wird von Großbritannien, den USA
       und der EU sanktioniert.
       
       Die UN arbeiteten mit dem Regime zusammen, da sie enorm unter Druck
       stünden, erklärte Natasha Hall vom CSIS bei einer [4][Podiumsdiskussion]
       anlässlich des neuen Berichts, veranstaltet von der US-Denkfabrik Middle
       East Institute (MEI). Entweder kooperierten sie mit Damaskus oder den
       UN-Mitarbeiter*innen würden Visa entzogen. In diesem Fall könnten gar keine
       Hilfen mehr fließen. Die UN sehen zudem Sanktionen einzelner Mitglieder
       nicht als ihre eigenen an.
       
       Für Staaten wie Deutschland ergibt sich daraus ein Problem: Hilfsgelder,
       die über die UN verteilt werden, gehen zu Teilen an Personen und
       Organisationen, die die EU eigentlich sanktioniert. Die offizielle Linie
       der EU ist weiterhin, dass kein Geld in den Wiederaufbau oder die
       Normalisierung Assads gesteckt wird.
       
       Gleichzeitig können Hilfsgelder über die UN recht einfach nach Syrien
       abfließen, denn die UN überweisen die Gelder von ihren Konten in New York
       oder Genf auf Konten, die sie in Syrien haben. Für andere Organisationen
       ist das schwer, denn jeglicher Bezug zu Syrien ist ein rotes Tuch für
       Banken und Finanzinstitutionen.
       
       ## Prüfungen und Sicherheitsbedenken
       
       Hilfsorganisationen aus dem Ausland, die Geld an die Zivilgesellschaft in
       Syrien überweisen wollen, haben es beispielsweise nicht so einfach: „Früher
       haben wir das über Privatpersonen gemacht, die als Treuhänder fungiert
       haben“, erzählt Svenja Borgschulte von der Nichtregierungsorganisation
       Adopt a Revolution in Berlin. „Aber dem wurde ein Riegel vorgeschoben. Ihre
       Konten wurden gesperrt, weil Gelder von NGOs nicht mehr über Privatpersonen
       transferiert werden dürfen.“
       
       Eine Zeit lang habe die Organisation mit einem internationalen
       Geldtransferservice gearbeitet, doch darüber konnten nur 5.000 Euro
       überwiesen werden. „Irgendwann mussten wir alle Daten von unseren Projekten
       und Partner*innen offenlegen.“ Das Prüfverfahren soll davor schützen,
       dass das Geld nicht an sanktionierte Personen geht. Doch solche Prüfungen
       bringen Sicherheitsbedenken, schließlich dürfen die Daten der
       zivilgesellschaftlichen Akteur*innen nicht an das Regime gelangen.
       
       Für den Geldtransfer nutzt Adopt a Revolution nun Amanacard. Das ist ein
       Unternehmen, welches Hilfsgelder an Menschen ausgibt, die keine Bank in der
       Nähe haben. Die Daten von Hilfsempfänger*innen werden von
       Mitarbeitenden in Syrien erfasst und geprüft. Ihre Identität wird
       festgestellt, ohne dass Daten an das Regime oder unzuverlässige Dritte
       gelangen. Geberländer, Organisationen und Banken können so sicher sein,
       dass das Geld nicht an sanktionierte Personen gelangt.
       
       Sie schicken das Geld über die Amanacard an ebenfalls geprüfte Vermittler
       wie Besitzer von Kiosken oder Geldwechsler*innen. Diese zahlen es den
       einzelnen Empfänger*innen aus und können das Geld an
       Mitarbeiter*innen von Krankenhäusern oder geflüchtete Familien geben,
       die wiederum den Empfang mit dem Handy bestätigen. Organisationen wie Adopt
       a Revolution zahlen dafür rund 7 Prozent Transfergebühren. Das Unternehmen
       hat eine frühere UN-Beraterin gegründet.
       
       ## Lösungen
       
       Natascha Hall sieht die Lösung in gemeinsamem Druck der Geberländer. Sie
       müssten bei den UN nachhaken, wohin die Gelder fließen, und darauf pochen,
       dass diese nicht an Unterstützer*innen des Regimes gehen.
       
       „Wir arbeiten nicht gegen die UN, sondern mit ihnen“, erklärte Karam Shaar,
       Co-Autor der Studie, während der Podiumsdiskussion zu dem Bericht. „Wir
       versuchen, die Arbeit zu reformieren.“ Daher habe man die UN-Agenturen in
       die Studie einbezogen und mit ihnen über die Ergebnisse gesprochen.
       
       Eine Empfehlung lautete, einen großen Auftrag in mehrere kleinere
       aufzuteilen und so kleinere und mittlere Unternehmen zu unterstützten. Die
       Zusammenarbeit mit den „großen Haien“ sollte vermieden werden. „Wenn Sie
       die syrische Geschäftsszene kennen, wissen Sie, dass man nicht so groß sein
       kann, ohne mit etwas Problematischem in Verbindung zu stehen“, so Shaar.
       
       Außerdem betonte er, die UN sollten die Sanktionen Großbritanniens, der USA
       und der EU bei der Auftragsvergabe einbeziehen und ihre Prüfungsverfahren
       ernst nehmen.
       
       4 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://opensyr.com/en/pages/p-16
 (DIR) [2] https://www.theguardian.com/world/2022/oct/20/head-of-who-syria-office-allegations-dr-akjemal-magtymova
 (DIR) [3] https://www.csis.org/analysis/how-assad-regime-systematically-diverts-tens-millions-aid
 (DIR) [4] https://www.mei.edu/events/troubling-reality-behind-uns-procurement-contracts-syria
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Neumann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Syrienkrieg
 (DIR) Syrien
 (DIR) Humanitäre Hilfe
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 (DIR) Vereinte Nationen
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
 (DIR) Humanitäre Hilfe
       
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