# taz.de -- Aufnahme von Geflüchteten: Alles besser als Turnhallen
       
       > Die Zahl der Geflüchteten steigt und steigt. Händeringend werden
       > Unterkünfte gesucht. Integrationssenatorin will Notschlafplätze in TXL
       > offen halten.
       
 (IMG) Bild: Geflüchtete vor dem Ukraine-Ankunftszentrum auf dem früheren Flughafen Tegel
       
       BERLIN taz | Die Zahl der Geflüchteten, die nach Berlin kommen, steigt
       immer weiter. Es gibt fast keine freien Plätze mehr in Unterkünften – und
       die Befürchtungen nehmen zu, dass bald wieder ehemalige Flugzeughangars
       oder Turnhallen als Notquartiere herhalten müssen. „Es gibt zwar die
       Maßgabe, dass dies nicht geschehen soll, aber ich würde dafür meine Hand
       nicht ins Feuer halten“, sagt Peter Hermanns, Leiter des Bereichs
       Politische Kommunikation vom Internationalen Bund (IB), der unter anderem
       Flüchtlingsunterkünfte betreibt.
       
       Grund für die dramatische Lage ist zum einen [1][die stark steigende Zahl
       von Asylbewerbern]. Bis September wurden laut Landesamt für
       Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) rund 9.000 Menschen in Berlin aufgenommen
       plus 800 über Landesaufnahmeprogramme. Allein im Oktober hätten 2.400
       Menschen in Berlin ein Asylgesuch gestellt, davon werden laut LAF
       voraussichtlich 1.500 in Berlin bleiben. Zum Vergleich: Im ganzen Jahr 2021
       hat Berlin 7.762 Asylbewerber aufgenommen.
       
       Zum anderen kommen weiterhin viele Ukrainer*innen in der Stadt an.
       Aufgrund der Kriegsentwicklung und zunehmender Zerstörung von Infrastruktur
       durch russische Angriffe wird erwartet, dass diese Zahl zum Winter hin
       drastisch zunehmen wird. „Wir erwarten mehr Flüchtlinge wegen Wasser- und
       Stromnot in der Ukraine“, sagte Kultursenator Klaus Lederer (Linke) nach
       der letzten Senatssitzung vergangenen Dienstag. „Das wird noch mal etwas
       auslösen. Wir wollen hier keine Turnhallenbelegung und haben dafür Vorsorge
       im Haushalt getroffen.“ Allerdings sind Fragen der Unterbringung nicht
       unbedingt mit Geld zu lösen.
       
       ## Nicht alles mit Geld zu lösen
       
       Bis jetzt haben in Berlin knapp 85.000 UkrainerInnen einen Aufenthaltstitel
       erhalten beziehungsweise beantragt, so LAF-Sprecher Sascha Langenbach zur
       taz. „Davon leben nur rund 3.000 Personen in Unterkünften des LAF, der
       Großteil ist privat untergebracht.“ Wobei „privat“ vieles umfasst:
       Mietwohnungen, Zimmer zur Untermiete oder bei solidarischen
       Gastgeber*innen, Pensionen und Hostels.
       
       Das LAF hat derzeit 27.770 Plätze in Heimen, davon sind aktuell rund 27.500
       Plätze belegt. Dazu kommen die Asog-Unterkünfte der Bezirke (Allgemeines
       Sicherheits- und Ordnungsgesetz) für Wohnungslose, auch dort sind Menschen
       mit Fluchtgeschichte untergebracht, auch Ukrainer*innen. Aktuelle Zahlen
       dazu gibt es nicht, [2][zum Stichtag 30. Juni 2021] lebten 6.704
       Nicht-EU-Bürger*innen in Asog-Heimen.
       
       [3][Angesichts dieser Lage hatte Integrationssenatorin Katja Kipping
       (Linke) schon vor Wochen erklärt], es gehe nicht an, das
       Ukraine-Ankunftszentrum auf dem ehemaligen Flughafen Tegel nicht wie
       geplant zu verkleinern. Dort gibt es in Terminal A und B Notschlafplätze
       für 1.900 Menschen – aber nur bis Jahresende. Dann sollte unter anderem die
       Berliner Hochschule für Technik den Ort übernehmen – das Ankunftszentrum
       hätte somit nur noch den gerade neu eingerichteten Terminal C mit 800
       Plätzen.
       
       Kipping will ihre Senatskolleg*innen zu einem Beschluss überreden, die
       Terminals A und B über den ganzen Winter für das Ankunftszentrum zu
       behalten. Das scheint nicht so leicht zu sein: Man sei weiterhin „in
       Abstimmung“ im Senat, erklärt ihr Sprecher Stefan Strauß auf Anfrage. Und
       klingt etwas ungeduldig, wenn er hinzufügt: „Senatorin Kipping hat mehrfach
       deutlich gemacht, dass wir es uns angesichts der steigenden Zahl
       ankommender Geflüchteter nicht leisten können, die Terminals A und B in
       Tegel diesen Winter leer stehen zu lassen.“
       
       Die Wissenschaftsverwaltung wiederum geht „weiter davon aus, dass die
       Baumaßnahme zur Ansiedlung der Berliner Hochschule für Technik im
       Terminalgebäude A Anfang 2023 begonnen werden kann“, wie Sprecher Oliver
       Fey auf taz-Anfrage mitteilt. Die Hochschulen benötigten die zugesagten
       Flächen für ihre Entwicklung angesichts der steigenden Studierendenzahlen.
       
       Aber selbstverständlich brauche Berlin auch ein Ankunftszentrum mit
       „skalierbarer Ankunfts- und Weiterverteilungsstruktur“. Man wolle daher
       auch die „temporäre Nutzung“ des Terminal A für Geflüchtete ermöglichen.
       Wie beides zusammengeht, muss offenbar noch ausdiskutiert werden.
       
       ## Immobilien für neue Heime gesucht
       
       Derweil ist das LAF händeringend auf der Suche nach Immobilien für neue
       Heime. Gerade würden „mehrere Dutzend Objekte sehr unterschiedlicher Größe“
       geprüft, so Langenbach, darunter frühere Hotelbetriebe, Verwaltungsgebäude,
       aber auch Brachflächen, „auf denen unter Umständen Container aufgebaut
       werden können“.
       
       Doch selbst wenn die gefunden werden – kürzlich hat das LAF in der
       Gotzkowskystraße in Moabit ein ehemaliges Hotel für bis zu 300 Personen in
       Betrieb genommen –, gibt es ein anderes Problem: den zunehmenden
       Fachkräftemangel. Schon länger sind Sozialarbeiter*innen und
       pädagogische Fachkräfte aller Art Mangelware, und [4][die Betreiber von
       Unterkünften, ob für Flüchtlinge oder Obdachlose, finden keine
       Mitarbeitenden]. Mal eben ein neues Heim eröffnen sei daher kaum möglich,
       so Hermanns vom IB. „Wir werden die Personalstandards anpassen müssen“,
       sagt er – darüber sei man gerade mit dem LAF in Verhandlungen.
       
       Es werde wohl darauf hinauslaufen, dass man auf „anders qualifiziertes
       Personal“ zurückgreifen muss, sprich: Menschen mit Fluchtgeschichte und
       andere Berufsgruppen. „Sie müssten wir dann parallel zu ihrer Arbeit
       schulen“, stellt sich Hermanns vor.
       
       Parallel fordert das LAF die Betreiber seit einigen Wochen auf, ihre Heime
       zu „verdichten“. In 2-Bett-Zimmer, so Hermanns, würden zum Beispiel 3
       Betten gestellt – „aber nur für Menschen, die zusammengehören“. Dennoch
       bedeutet dies, dass der Mindeststandard an Platz pro Flüchtling von 6
       Quadratmeter unterschritten wird – und Umzüge, weil Zimmer neu zugewiesen
       werden. „Das führt natürlich zu Unmut, und man muss sehr viel erklären,
       warum das notwendig ist.“
       
       Zudem verlange das LAF zu prüfen, ob Gemeinschaftsräume zu Schlafräumen
       umfunktioniert werden können. Bislang habe sich der IB, der in Berlin vier
       Gemeinschaftsunterkünfte betreibt, dagegen gewehrt, sagt Hermanns. „Die
       Räume werden ja von den Bewohner*innen genutzt.“ Aber am Ende,
       befürchtet er, sitze das LAF am längeren Hebel. „Und natürlich ist alles
       besser, als wieder Menschen in Turnhallen zu stopfen.“
       
       Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) bekräftigte am
       Sonntag in einem Zeitungsinterview, dass eine Unterbringung in Turnhallen
       nicht infrage komme.
       
       7 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Unterbringung-von-Gefluechteten-in-Berlin/!5887611
 (DIR) [2] https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-11671.pdf
 (DIR) [3] /Platznot-fuer-Gefluechtete-in-Berlin/!5883694
 (DIR) [4] /Odachlosenhilfe-in-Berlin/!5804245
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Memarnia
       
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