# taz.de -- Obdachlose bilden Camp in Osnabrück: Leben, von Tag zu Tag
       
       > Wohnungslose haben in einer Osnabrücker Grünanlage ein Camp aufgebaut.
       > Bisher duldet das Ordnungsamt die Zelte. Aber das könnte bald vorbei
       > sein.
       
 (IMG) Bild: Werden von der Stadt Osnabrück noch geduldet: Die Zelte von Wohnungslosen im Ziegenbrink
       
       OSNABRÜCK taz | Auf den ersten Blick ist der Ziegenbrink malerisch. Die
       Anhöhe in Osnabrück ist mit ihren Wiesen, ihrem dschungelhaften Wald und
       ihrem Fernblick Spaziergangsziel. Ihre Vergangenheit als Steinbruch und
       Weltkriegs-Flakstellung ist kaum noch zu erahnen.
       
       Aber auf einer der Lichtungen herrscht derzeit harte Not. Hier steht seit
       mehreren Wochen ein Camp von vier Wohnungslosen. Seine Zelte, gruppiert um
       eine Art Ofen, erinnern an die Zeit, als hier noch die „Wagenburg“ stand,
       als autonomes Zentrum, als [1][alternatives Lebensmodell]. Ein halbes
       Menschenleben ist das her.
       
       Banner mit Botschaften wie „Aufgeben? Keine Option! Friedlicher Kampf für
       unser Stück Land“, und „Ein Grundstück für unsere Freiheit zum Errichten
       unserer Kommune“ hängen hier heute in den Bäumen. „Die Würde des Menschen
       ist was …?“ ist zu lesen. Auch „solidarischer Aufbau“ steht hier mehrfach,
       das A als Anarchie-A im Kreis. Aber der Versuch, die Zeit der Wagenburgler
       wiederzubeleben, wirkt aufgesetzt. Das Camp ist ein
       gesellschaftspolitischer Appell, aber zugleich ist es ein Ausdruck von
       Elend.
       
       Jessica und Tim, beide Mitte 30, erzählen, warum sie hier leben. Sie haben
       ihre Wohnung verloren, im Juli. Schulden waren da im Spiel, Alkohol,
       Drogen, Stress mit den Mitmietern. Eigentlich kommen die beiden aus Melle,
       25 Kilometer von hier, und erst haben sie anderswo „Platte gemacht“, sagt
       Jessica Buschmann der taz. „Aber unsere Kinder sind in Osnabrück in
       Jugendamts-Obhut, und wir wollen in ihrer Nähe bleiben. So sind wir hier
       gestrandet.“ Ihre Kinder sind zwei, drei und dreizehn Jahre alt. „Wir
       hätten gern wieder [2][eine feste Wohnung]“, sagt Jessica Buschmann. „Und
       einen festen Job.“
       
       Es regnet, es ist klamm und kalt, der Matsch steht knöchelhoch. Glücklich
       sehen die beiden nicht aus. Sie gehen ins Wohnzelt, rauchen, ihre
       Habseligkeiten liegen auf dem Boden. In städtische Notunterkünfte wollen
       sie nicht. „Dann müssten wir uns als Paar ja trennen“, sagt Tim. „Außerdem
       müsste dann unser Hund weg, und das wollen wir nicht.“
       
       Die beiden leben jetzt „von Tag zu Tag“. Brauchen sie Strom für ihre
       Handys, gehen sie in die Tageswohnung des SKM, eines Vereins für soziale
       Dienste; Lebensmittel bekommen sie von der Tafel. Beide warten auf einen
       Therapieplatz. Aber das kann dauern, womöglich Monate. „In naher Zukunft“
       möchten sie ihre Kinder zurück. „Aber dafür müssen wir ein geregeltes Leben
       führen“, sagt Jessica. Ihr Blick ist leer, als sie das sagt. Sie weiß:
       Anwohner des Ziegenbrinks haben sich über das Camp beschwert. „Aber andere
       waren nett“, sagt sie. „Die haben uns Äpfel gebracht.“
       
       Manches Zelt trägt eine Botschaft, auch einen Sonnenschirm. Das reicht von
       „Camp Punkrock“ bis „Keep out“. Neben dem Feuer steht ein Einkaufswagen mit
       nassem Holz. Auf der Wiese sind Steinbeete mit Blümchen angelegt, als
       Peace-Zeichen. Im Gras daneben liegt ein Deko-Totenkopf.
       
       [3][Osnabrücks] Stadträtin Heike Pape, verantwortlich für Soziales und
       Bürgerservice, weiß um die Lage am Ziegenbrink. Dass ihr Ordnungsamt die
       Zelte seit Wochen duldet, bedeutet nicht, dass sie länger bleiben dürfen.
       „Wir brauchen da bald eine Lösung“, sagt Pape der taz. „So kann es ja nicht
       weitergehen. Wenn es nicht in absehbarer Zeit zu einer Einvernehmlichkeit
       kommt, müssen wir über ordnungsrechtliche Schritte nachdenken.“ Im
       schlimmsten Fall heißt das: Zwangsräumung. Camps wie dieses sind nicht
       erlaubt.
       
       „In unseren Notunterkünften ist Platz“, sagt Pape. „Wir haben
       Unterbringungsangebote gemacht. Aber was sollen wir tun, wenn man die nicht
       annimmt?“ Die Probleme gehen weit über das rein Rechtliche hinaus: Da ist
       die Winterkälte. Da ist die Frage, wo die Campbewohner sich waschen, ihre
       Notdurft verrichten. Noch wartet das Ordnungsamt ab. Aber die von ihm
       gesetzte „letzte Frist“ ist schon mehrere Tage verstrichen.
       
       Eines der kleineren Zelte gehört einem älteren Mann, der sich als
       „Schlogarten-Daddy“ vorstellt – und als Gründer des Camps. Schlogarten, das
       verweist auf den Schlossgarten, einen zentralen Park der Stadt. „Man nennt
       mich auch Straßenköter!“, sagt er der taz. „Seit zwölf Jahren lebe ich auf
       der Straße. Ich müsste es nicht, aber ich möchte den Wohnungslosen helfen.
       Auch Jessica und Tim.“
       
       ## Traumatisiert in Afghanistan
       
       Lange sei er Fallschirmjäger gewesen, auch im Irak, in Afghanistan. Er sei
       kriegstraumatisiert, halte es im Normalleben nicht aus. Gegen eine Räumung
       will er sich wehren. Seine Worte dafür sind drastisch.
       
       „Opas Altenheim“ steht auf seinem Zelt; auch dieses A ist ein Anarchie-A.
       Schlogarten-Daddy erzählt von den Zuständen in der Innenstadt. Von Gewalt,
       von Herabwürdigung. Auch in den Notunterkünften seien die Zustände schlimm.
       Leider habe die Anmeldung des Camps als Demo nicht geklappt. Deshalb stehe
       hier auch noch kein Dixie-Klo. Geliefert werden könne es jederzeit.
       
       Bei der zweiten Verabredung sind Jessica und Tim nicht da. Stattdessen
       bevölkert eine Handvoll Aktivisten das [4][Camp], teils erkennbar nicht
       wohnungslos. Die Banner sind fotogen drapiert, teils sind sie neu. Jessica
       und Tim? Die seien auf einem Termin. Ein Haus wünscht sich das Camp, zur
       Miete, von der Stadt, steht auf einem Banner. Schwer vorstellbar, dass das
       realistisch ist.
       
       Zumindest gibt es keinen Stress mit der Polizei. „Für uns ist das Camp
       bisher völlig problemlos“, sagt Matthias Bekermann der taz, Sprecher der
       Polizeiinspektion Osnabrück. „Es gab mal eine Hundebeißerei, aber das war
       auch alles.“
       
       21 Nov 2022
       
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