# taz.de -- Grégory Salles „Superyachten“: Auswüchse des Kapitalozäns
       
       > Superyachten symbolisieren Überfluss und Maßlosigkeit. In seinem Buch
       > untersucht Grégory Salle, wie sie Ungleichheit auf groteskeste Art
       > manifestieren.
       
 (IMG) Bild: Sind Yachten Sinnbilder des fossilen Kapitalismus? Hier die Lonestar-Superyacht
       
       Zufällig ist es das Buch der Stunde: Denn während Ruben Östlunds bittersüße
       Eat-The-Rich-Kommödie „Triangle of Sadness“ über hyperbourgeoise Gäste und
       prekärgedrillte Crewmitglieder einer auf halber Filmstrecke untergehenden
       Superyacht seit Wochen die Kinosäle füllt, erscheinen dieser Tage die
       wissenschaftlichen Fußnoten zum Thema.
       
       Mit dem Band „Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän“ unternimmt der
       französische Soziologe und Politikwissenschaftler Grégory Salle den von ihm
       so benannten Versuch, Superyachten ernst zu nehmen.
       
       Aber nicht wegen des Cringe der kitschig-dekadenten Designaspekte (Relings
       und Swimmingpool-Böden aus Glas; Duschköpfe, aus denen je nach Bedarf
       Wasser oder Champagner spritzt) oder einer sich in Angaben von Längen (bis
       180 Meter), Kapazitäten (dutzende Besatzungsmitglieder), Namen („A“) oder
       Baukosten (die erste Milliarde ist bald angekratzt) erschöpfenden
       anekdotischen Empörung über Superlative.
       
       Vielmehr definiert Salle in seinem so spöttischen wie zuletzt über den
       Umweg eines Witzes schlechterdings leise nach der Guillotine rufenden Buch,
       [1][wie sich in Superyachten Ungleichheiten „auf die denkbar vielsagendste
       und auch groteskeste Art“ manifestieren].
       
       ## Symptom allen Übels
       
       Als Auswuchs des Kapitalozäns, des Zeitalters eines auch die Klimakrise
       produzierenden Kapitals, seien Superyachten nämlich vielmehr ein Symptom
       allen Übels als dessen schwimmende Heimstatt, worauf Salle in durchgehend
       bissig-unterhaltsamer Weise mit manchmal schrägen Sinnbildern verweist:
       „Man zieht am dünnen Faden der Superyachten, und das ganze Knäuel des
       fossilen Kapitalismus wickelt sich ab.“
       
       Nicht das Aussehen der Mega- und Gigayachten ist es demnach, woran sich die
       Kritik an diesen eigentlich „belanglosen“ Objekten festmachen lasse sollte,
       sondern der Aspekt einer gewünschten Sichtbarkeit bei gleichzeitiger
       Unsichtbarkeit: Man zeigt sich auf dem „Milk Run“, dem Saisonkalender der
       Klepto- und Plutokraten, zumeist irgendwo vor Saint-Tropez oder Monaco
       (wahlweise: Kroatien, Karibik, Indischer Ozean), gleichzeitig bleibt man
       möglichst exklusiv und unsichtbar, ist exponiert und abgeschieden, den
       Gesetzen vom Hypermobilität und Offshore-Ökonomie folgend.
       
       Wer möchte schon aufgrund von „Midnight Dumping“, illegalen Ablassens
       schädlicher Stoffe, seine Yacht beschlagnahmt wissen, zumal Lobbyverbände
       sogar mit einem „Superyacht Sustainability Report“ aufwarten?
       
       Das Problem dabei, so Salle, seien nicht so sehr Befunde wie jener, dass
       die 300 größten Superyachten im Jahr mehr CO2 emittieren als alle Einwohner
       Burundis, sondern der Umstand, dass im Vergleich klein erscheinende
       Umweltvergehen auch aus ökonomischem Interesse der (bei Salle vor allem
       französischen) Behörden kaum nachgewiesen würden, die Vergehen so straffrei
       blieben.
       
       ## Hoffnung auf Neptungras
       
       Diese Gegenüberstellung erscheint schief, enthält aber den Schlüssel zu
       Salles dezidiert ökosozialistischer Lesart des Superyachten-Phänomens: Er
       findet einen Verbündeten im Kampf gegen die den Ökozid befeuernden Schiffe
       im [2][Neptungras, einem Seegras, das pro Quadratmeter mehr Sauerstoff
       produziere als ein Quadratmeter des Amazonas].
       
       Auch aufgrund illegalen Ankerns von Superyachten werde es um das Jahr 2050
       ausgestorben sein, mit allen Folgen für das globale Ökosystem. Würde hier
       nicht mehr Straflosigkeit walten, könne der Blick aufs Mittelmeer bald
       wieder frei sein. Die Küsten, an denen das Neptungras nicht wächst, warten
       dann allerdings schon.
       
       12 Dec 2022
       
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