# taz.de -- Repression in Iran: Sexuelle Gewalt unter dem Mullah-Regime
       
       > In iranischen Gefängnissen wird systematisch sexuelle Gewalt ausgeübt.
       > Diese ist schon immer Bestandteil der Repression. Jetzt wird sie
       > öffentlich.
       
 (IMG) Bild: Protest gegen Irans Regierung in Rom am 29. Oktober
       
       Die Proteste in Iran sind in der zehnten Woche. Ein Ende scheint nicht
       absehbar, im Gegenteil, sie ziehen immer weitere Kreise. Die Wut der
       Protestierenden steigt mit jeder Todesnachricht, ihre Entschlossenheit, auf
       die Straßen zu gehen, wächst mit jeder Grausamkeit, die dieses Regime
       vollzieht. Und derer gibt es genug.
       
       Der US-amerikanische Nachrichtensender CNN veröffentlichte nun einen
       [1][Report], der das bestätigt, was Beobachter*innen schon seit Wochen
       von Menschen in Iran hören: In den Gefängnissen und Haftanstalten der
       Islamischen Republik wird systematisch sexuelle Gewalt ausgeübt. Nur durch
       Berichte von Augenzeug*innen, aus Gefängnissen und aus Kliniken, kommen
       diese Zeugnisse nun an die Öffentlichkeit.
       
       CNN schildert den Fall von Armita Abbasi, einer 20-jährigen Frau aus Karaj.
       Kurze Zeit nach ihrer „Festnahme“ – Festnahmen kommen im Iran einer
       Verschleppung gleich – wurde sie in ein Krankenhaus in Karaj eingeliefert.
       Es waren medizinische Fachkräfte, die angesichts des Horrors, den sie
       empfanden, heimlich Informationen über Abbasis Fall weitergaben, unter
       Lebensgefahr wohlgemerkt. Sie blutete aus dem Rektum, schrieb eine Person.
       Das Mädchen muss mit massiver Gewalt vergewaltigt worden sein. Ihr Kopf sei
       rasiert worden, sie war verängstigt und habe gezittert.
       
       Die Person, die Armita Abbasi behandeln sollte, schrieb laut CNN: „Es ist
       nicht meine Absicht, Angst und Horror zu verbreiten. Aber das ist die
       Wahrheit. Es ist ein Verbrechen und ich kann nicht schweigen. Mein Herz,
       das sie gesehen hat und sie nicht befreien konnte, macht mich wahnsinnig.“
       Denn die Regimekräfte ließen sie aus der Klinik verschwinden, bevor ihre
       Familie zu ihr konnte. Sie soll seitdem im berüchtigten Fardis-Gefängnis
       sein. Es gibt keine Informationen darüber, wie es ihr geht.
       
       Der CNN-Bericht legt systematische Vergewaltigungen in Gefängnissen frei.
       Die Reporter*innen haben mit Augenzeug*innen gesprochen, die sich
       befreien konnten und über die Grenze in den Irak fliehen konnten. Eine der
       Frauen, die flüchten konnte, erzählt von ihren Erlebnissen in der Haft.
       Unter den Gefangenen seien viele Frauen, auch Jungs seien dabei gewesen,
       manche Kinder gerade mal 13 oder 14 Jahre alt. Sie alle seien brutal
       vergewaltigt worden, die Mädchen und Frauen verletze man schwerer. Die
       Befragungsräume seien die Orte, an denen vergewaltigt werde: „Ein Offizier
       nimmt ein hübsches Mädchen in einen Raum, um alleine mit ihr zu sein und
       sie vergewaltigen zu können.“
       
       Sie erzählt von einem Geschwisterpaar, Teenager, das mit ihr im Gefängnis
       war. Das Mädchen wurde mitgenommen. Als der Bruder zu ihr gehen wollte, um
       sie zu beschützen, wurde er zusammengeschlagen, bis er auf dem Boden lag
       und sich einnässte. Derweil hörte man die Schreie seiner Schwester aus dem
       Nebenraum.
       
       Geschichten wie diese kennt man nicht erst seit Beginn der Proteste. Von
       der systematischen Ausübung sexueller Gewalt wissen die Menschen im Iran
       schon seit vielen Jahren. So werden Frauen, die zum Tode verurteilt wurden
       und noch „jungfräulich“ sind, vor ihrer Hinrichtung vergewaltigt. Denn es
       ist im Iran verboten, Jungfrauen zu exekutieren. Frauen, die seit Wochen
       protestieren, warnen einander, die Antibabypille einzunehmen, für den Fall,
       dass sie gefangen genommen werden.
       
       Sexuell Gewalt als Mittel der Unterdrückung ist kein Zufallsprodukt der
       Islamischen Republik, sie ist fundamentaler Teil der Ideologie. Der Gründer
       des iranischen Gottesstaats, Ruhollah Chomeini, nannte Gegner*innen der
       Zwangsverschleierung und Frauen, die Freiheitsrechte einforderten,
       „Prostituierte“. Freiheit im westlichen Sinne, [2][so der
       Revolutionsführer], sei „Verdorbenheit und Prostitution“. In offiziellen
       Verlautbarungen des Regimes in den 1980er Jahren hieß es, Verteidigerinnen
       von Frauenrechten seien Unterstützerinnen von „sexueller Sklaverei“.
       
       Heißt: Frauen, die sich für Freiheitsrechte einsetzen, Frauen, die sich
       gegen die Zwangsverschleierung wehren oder sie ablehnen, sind Freiwild.
       Vergewaltigung und sexuelle Gewalt sind in diesem Weltbild legitime
       Instrumente.
       
       Das gilt nicht nur für Frauen: Jegliche Opposition gegen das Regime der
       Kleriker wird als verdorben betrachtet und sexualisiert. Der heutige
       Revolutionsführer Ali Chamenei warnt immer wieder, dass es Menschen im
       Staat gebe, die „Promiskuität und Prostitution“ propagierten. So wird
       jegliche Opposition delegitimiert; es ist kein Zufall, dass eine der
       Anklagen, die die Todesstrafe nach sich ziehen, „Verdorbenheit auf Erden“
       heißt. In der heutigen Protestbewegung haben bereits mehrere Protestierende
       dieses Urteil erhalten. Es werden sicher nicht die letzten sein.
       
       „Sex ist ein Instrument der Unterdrückung geworden“, sagt der
       Exil-Journalist Maziar Bahari in einem [3][Interview] mit CNN. „Deswegen
       sieht man solche Grausamkeiten in iranischen Gefängnissen, wo Leute, die
       befragen, die foltern […] freie Bahn haben und die Gefangenen behandeln
       können, wie sie wollen, vor allem weibliche Gefangene.“ Dank der sozialen
       Medien und weil das eine von Frauen angeführte Bewegung sei, komme der
       sexuelle Aspekt in der repressiven Politik Irans nun endlich ans
       Tageslicht.
       
       Seit Bestehen der Islamischen Republik, also seit 1979 gehören
       Menschenrechtsverletzungen zur Struktur des politischen Systems. Wenn auch
       43 Jahre zu spät, ist es trotzdem gut, dass der UN-Menschenrechtsrat den
       Forderungen der Bundesregierung nachgekommen ist und jetzt beschlossen hat,
       diese Verbrechen ab jetzt zu dokumentieren.
       
       Zur gleichen Zeit aber passiert weiterhin viel zu wenig, um das Regime für
       seine fortwährenden Verbrechen zu sanktionieren. Die zwei Sanktionspakete,
       die seit Beginn der Proteste auf EU-Ebene verabschiedet wurden, sind ein
       schlechter Witz. Die EU-Sanktionsliste besteht nun aus 126 Individuen und
       11 Institutionen – das heißt: Die meisten Menschen, die dieses System
       stützen, sind weiterhin nicht sanktioniert. Sie haben ihre Vermögen an
       verschiedenen Orten der Welt, sie schicken ihre Kinder und Enkelkinder in
       Freiheit und Luxus an die besten Universitäten in westlichen Staaten.
       
       Der Reichtum der iranischen Oligarchen bleibt unangetastet. Und die
       Revolutionsgarde, der Hauptträger des Terrors im Iran, bleibt ebenso
       weitgehend verschont. Anders als von Kanada wurden die Angehörigen der
       Revolutionsgarde nicht konsequent sanktioniert, und anders als in den USA
       steht diese Armee nicht auf der EU-Terrorliste.
       
       Würde eine konsequente Sanktionierung das Verhalten des iranischen Regimes
       ändern? Das kann niemand vorhersagen. Hat diese Frage bei der
       Sanktionierung von Russland nach ihrem Angriffskrieg in der Ukraine eine
       Rolle gespielt? Nein. Denn Menschenrechtsverletzungen und Bruch von
       Völkerrecht müssen sanktioniert werden.
       
       Im Iran heißt das: Die Sanktionen, die in den vergangenen 16 Jahren vor
       allem die Menschen des Landes getroffen haben, während die Machthaber immer
       reicher wurden, müssen überprüft werden, die Machtelite gezielt und
       konsequent sanktioniert, ihre Vermögen eingefroren werden.
       
       Was die Frage der Revolutionsgarden auf der EU-Terrorliste angeht, so hört
       man aus verlässlichen Quellen, dass nicht die Bundesregierung das Problem
       sei, sondern Frankreich und Belgien sich querstellen. Dass EU-Staaten sich
       nicht einig sind, ist keine Seltenheit; gerade in diesem Fall darf aber
       keine Zeit verloren werden. Es kann nicht sein, dass die Protestierenden in
       Iran im Kampf gegen das Regime von der EU dermaßen im Stich gelassen
       werden.
       
       Und so scheinen die Bundesregierung und die EU weiter abzuwarten. Worauf?
       Der Sieg im Menschenrechtsrat könnte zu einem Pyrrhussieg werden, wenn sich
       Deutschland darauf ausruht. In der Politik scheint man immer noch nicht
       verstanden zu haben, dass die Menschen, die auf den Straßen des Landes
       protestieren, nicht mehr in den Zustand von vor drei Monaten zurückkehren
       werden.
       
       Zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik schaut die ganze
       Welt zu: die sexuelle Gewalt, die Menschenrechtsverbrechen, die
       Grausamkeiten. Der Geist ist aus der Flasche. Und er wird sich nicht mehr
       einfangen lassen.
       
       25 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://edition.cnn.com/interactive/2022/11/middleeast/iran-protests-sexual-assault/index.html
 (DIR) [2] https://iranwire.com/en/politics/108346-they-dont-want-freedom-they-want-nudity-and-sex-a-history-of-sexual-accusations-by-the-regime/
 (DIR) [3] https://twitter.com/amanpour/status/1594756721351819264
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gilda Sahebi
       
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