# taz.de -- Kritik an Fußball-WM: Unsere Protestnoten
       
       > Bei dieser WM in Katar wird demonstriert wie nie zuvor. Wir haben uns die
       > Stärken und Schwächen der Proteste genauer angeschaut. Eine Einzelkritik.
       
 (IMG) Bild: Trikotprotest in Katar: Erinnern an Mahsa Amini beim Spiel Iran-Wales
       
       ## 
       
       ## Iranische Fans
       
       Wer protestiert, zeigt Gesicht. Bei den meisten WM-Teilnehmern ist das kein
       Problem. Mancherorts kann man dafür gar Anerkennung und Lob einheimsen.
       [1][Die Menschen aus dem Iran dagegen], die sich bei dieser
       Weltmeisterschaft in Katar mit den Massenprotesten in ihrem Heimatland
       solidarisieren, bringen nicht nur sich selbst in Gefahr, sondern auch ihre
       Liebsten. In Doha sollen reichlich iranische Spitzel in den Stadien gewesen
       sein. Dazu kommt das viele Bildmaterial von Menschen, die auf den Rängen
       mit ihrer Kleidung Botschaften wie „Women, Life, Freedom“ in die
       Weltöffentlichkeit transportiert haben. Oder Trikots mit dem Namen von
       Masha Amini trugen, um an ihr Schicksal zu erinnern, das Auslöser für die
       derzeitigen Unruhen im Iran war.
       
       Wie die Protestierenden im Iran nehmen auch die in Katar ein Risiko auf
       sich, das weit über das Risiko der anderen Bekenntnisse, die bei dieser WM
       im Umlauf sind, hinausgeht. Es ist eine Kraft und Verzweiflung dahinter
       spürbar, die auch das iranische Auswahlspieler nicht unbeeindruckt lassen
       konnte. Beim Abspielen der Nationalhymne vor der ersten iranischen Partie
       haben sie kollektiv nicht mitgesungen.
       
       Protestnote: 1+ 
       
       ## Palästina-Flaggen
       
       Offiziell dürfen laut Fifa in Stadien nur die Flaggen von
       WM-Teilnehmerländern geschwenkt werden. Mit dieser überzeugenden Begründung
       werden etwa Israel-Flaggen verhindert. Die Flagge des
       Fifa-Mitgliedsverbandes „Palästina“ ist hingegen recht oft zu sehen. Keine
       politische Äußerung, heißt es, bei der Fifa. Auch dann nicht, wenn „Free
       Palestine“ gerufen wird.
       
       Protestnote: 6 
       
       ## Mesut-Özil-Protest
       
       Zunächst schwer zu dechiffrieren, was diese Männer in den weißen
       katarischen Gewändern wollten. Sie hielten zu Beginn der Partie Deutschland
       gegen Spanien [2][Özil-Portraits in die Höhe]. Özil zwinkerte. Erklärung I:
       Das Protestgrüppchen kritisierte den DFB dafür, 2018 beim Thema
       Meinungsfreiheit selbst haarsträubende Fehler gemacht zu haben.
       Entsprechend sei die Aktion gegen „westliche Doppelmoral“ gerichtet, wie
       der katarische Sender Al-Kass meinte. Erklärung II: Dass Özil Ende 2019
       dafür kritisiert worden war, die Unterdrückung der muslimischen Uiguren in
       China anzuprangern, sei nicht minder bigott vom tugendstolzen Westen.
       Verantwortlich war damals aber nicht der DFB, sondern Özils ehemaliger
       Verein, der FC Arsenal, der der sich aufgrund wirtschaftlicher Interessen
       in China von Özils Äußerungen distanziert hatte.
       
       Protestnote: 3 
       
       ## Faesers Binde
       
       Unübersehbar [3][hat Nancy Faeser ihre „One Love“-Binde] getragen. Einmal
       zog die Bundesinnenministerin bei ihrem Tripp nach Katar schnell ihre Weste
       aus, damit der solcherart verzierte Oberarm gut sichtbar wurde. Ein anderes
       mal verwickelte sie auf der Stadiontribüne Gianni Infantino in ein
       Gespräch, damit der Fifa-Präsident auch gefälligst auf einem solchen
       Protestfoto landet. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten zogen auch ein paar
       Sportjournalistinnen – interessant: alles Frauen! – nach und trugen „One
       Love“-Binde oder ein T-Shirt in Regenbogenfarben.
       
       Protestnote: 4+ 
       
       ## DFB-Mund-zu-Dingens
       
       Ein Bild für die Ewigkeit: Elf deutsche Kicker, die in der Wüste von
       Al-Rayyan etwas sagen wollten, indem sie sich mit der rechten Hand den Mund
       zu hielten. Nur was? Wir dürfen innerhalb der DFB-Strukturen oder im
       Mannschaftsrat das Maul nicht aufreißen? Wir sind baff, und ihr werdet
       spätestens nach dem Costa-Rica-Spiel verstehen, warum? Wir sind in Gedanken
       bei unserem Jogi Löw, der uns mit seiner Hosen-schnüffel-Geste von anno
       dazumal inspirierte? Egal, die Geste funktionierte, nur anders als gedacht.
       Sie wurde nach dem frühen Aus der Germanos verballhornt. Tschö, ihr
       Schlaumeier, war lustig mit euch!
       
       Protestnote: 5 
       
       ## Englisches Knien
       
       Beinah old-fashioned kommt einem [4][die Geste der Three Lions] vor: Die
       knien vor jedem Anpfiff nieder. Es ist die fast schon klassische
       Protestform, 2016 vom Footballer Colin Kaepernick erstmals während der
       US-Hymne angewandt. Für Kaepernick brachte es das Ende seiner NFL-Karriere.
       Im europäischen Fußball ist der Hinweis, dass es in Amerika Rassismus gibt,
       weiterhin beliebt.
       
       Protestnote: 3+ 
       
       ## Serbiens Kosovo-Flagge
       
       Der Status der Balkan-Republik Kosovo ist, wie es so unschön heißt,
       „umstritten“. So hing eine serbische Fahne in der Kabine vorm WM-Spiel
       gegen Brasilien, auf der die Umrisse des Kosovo in den serbischen Farben
       sowie die Botschaft „Niemals aufgeben“ abgebildet waren. Serbiens Verband
       musste 20.000 Franken Strafe zahlen.
       
       Protestnote: 4 
       
       ## Die Fifa
       
       Wenn das Fußvolk aus Europa seine Werte unbedingt auf der Kapitänsbinde
       markieren will, hat sich der Weltverband gedacht, dann machen wir eben ein
       Gegenangebot. Binden mit Parolen wie „#SaveThePlanet“, „#ShareTheMeal“,
       „#EducationForAll“ und natürlich „#NoDiscrimination“ dürfen nun bedenkenlos
       getragen werden. Die Fifa autorisiert Proteste. Eine interessante Idee,
       aber aus protestkultureller Perspektive indiskutabel.
       
       Protestnote: 6 
       
       ## Der Flitzer
       
       Mit gleich drei Botschaften hatte Mario Ferri den Platz bei der Partie
       Portugal gegen Uruguay gestürmt. Bäuchlings und rücklings war „Save
       Ukraine“ und „Respect for Iranian Women“ zu lesen, zudem hielt er in seinen
       Händen wedelnd eine Regenbogenflagge. Ein Proteststreber, der am liebsten
       100 Hände mehr gehabt hätte, [5][um gegen alles Unrecht dieser Welt zu
       flitzen.] Gut gemeint, aber weniger ist manchmal mehr. Das haben Streber ja
       noch nie verstanden.
       
       Protestnote: 2- 
       
       ## Ronaldo
       
       Dieser Mann lebt den Protest. Niemand schmollt schöner als CR7 –
       [6][zuletzt auf der Bank]. Der Protest des Portugiesen ist obendrein
       Dialektik in Reinkultur: kindlich und ausgereift. Das ist mein WM-Tor, ich
       war da dran mit einer Faser meines Körpers, sagt er – was eigentlich recht
       bescheiden ist. Denn er könnte auch behaupten: Ich war am zehnten Pass vor
       diesem oder jenem Tor beteiligt, also ist es meins: Kausalitätenkette,
       logisch. Er sagt auch: Ich reise ab, um sogleich die glorreiche Einheit des
       lusitanischen Teams zu beschwören. Dieser wunderbare Protestfußballer
       veredelt divenhafte Sprunghaftigkeit mit einer Zuckerglasur aus süßesten
       Widersprüchen.
       
       Protestnote: 1- 
       
       ## Bier
       
       Für viele Fans war es eine kalkulierte Zumutung: Fußballgucken ohne
       Stadionbier! Die Fifa beugte sich dem in Katar geltenden Alkoholverbot,
       obwohl sie doch sonst bei WM-Ausrichtern die dortigen Gesetze gerne außer
       Kraft setzt. Sogar gegen den Fifa-Sponsor Anheuser-Busch – ein Unternehmen,
       das nach Eigenauskunft Bier produziert – ging die Fifa vor. Die US-Firma,
       gewohnt, dass für sie alle anderen Bierfirmen aus dem Weg geräumt werden,
       teilte mit, dass sie ihre in leichtes Gold gefärbte Flüssigkeit nach der WM
       ins Land es Weltmeisters bringen will.
       
       Protestnote: 5
       
       10 Dec 2022
       
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