# taz.de -- Argentinien feiert Einzug ins WM-Finale: Vom Frust zur Freude
       
       > Auf dem Weg zum Finale scheint das argentinische Team mit seinen Fans zu
       > verschmelzen. Die ökonomische Misere wird durch die WM-Erfolge überdeckt.
       
 (IMG) Bild: Die Euphorie über die WM-Erfolge treibt die Menschen in Buenos Aires ganz nach oben
       
       Argentinien feiert. Kaum war in Katar der Schlusspfiff im Halbfinalspiel
       gegen Kroatien ertönt, strömten die Menschen zu Zehntausenden auf die
       Straßen und Plätze. Die größte Versammlung fand um den Obelisken auf der
       breiten Avenida 9 de Julio im Zentrum von Buenos Aires statt, auf der die
       Menschen bei hochsommerlichen Temperaturen bis in die späte Nacht den
       Einzug ins Finale feierten. Bilder, die auch in Katar ankamen. „Wir fühlen
       die Unterstützung unserer Landsleute, sie stehen hinter uns. Das ist etwas
       Unvergessliches“, [1][sagte Trainer Lionel Scaloni, den Tränen nahe.]
       
       Es war nach dem 2:1-Sieg im Achtelfinale gegen Australien, als sich
       weltweit die Fernsehsender aus der Übertragung bereits ausgeklinkt hatten,
       aber die Bilder aus Katar am Río de la Plata weiter über die Bildschirme
       flimmerten. Sie zeigten die Mannschaft vor der Fan-Tribüne, die zu einer
       Einheit verschmolzen. Es war eine Fusion, die sich in diesem magischen
       Moment an vielen Orten in Argentinien ereignete. Und dass Lionel Messi
       dabei als Primus inter Pares erscheint, treibt die Liebe seiner Landsleute
       zu ihm in nicht mehr messbare Bereiche.
       
       Dabei hatte der Schock nach der unerwarteten Auftaktniederlage gegen
       Saudi-Arabien noch tief gesessen. Nach dem Sieg gegen Mexiko machte sich
       Erleichterung breit. Die Fans erkannten die Mannschaft wieder, die mit 36
       Spielen ohne Niederlage ins WM-Turnier gestartet war, 2021 die Copa América
       gewonnen und Europameister Italien beim interkontinentalen Vergleich im
       Finalissima geschlagen hatte. Dass das dritte Spiel gegen Polen gut
       ausging, lag mehr am lustlosen Gegner als an den beiden Toren der
       Argentinier.
       
       Die seit dem gewonnenen Achtelfinale bestehende Fusion hielt auch im
       Viertelfinale gegen die Niederlande. Der kollektive Frust richtete sich
       gegen den spanischen Schiedsrichter Antonio Mateu mit seiner
       Gelbe-Karten-Flut und den als tiefes Unrecht empfundenen 10 Minuten
       Nachspielzeit, in der die Niederländer den 2:2-Ausgleich schafften. Dass
       sich die Weltpresse nach dem gewonnenen Elfmeterschießen auf die
       Dummkopf-Aussage von Messi stürzte und sämtliche negativen Klischees über
       den argentinischen Fußball hervorkramte, bekam in Argentinien kaum jemand
       mit.
       
       ## Solidarisierung der Spieler
       
       Stattdessen wurden die Erinnerungen an den italienischen Schiedsrichter
       Nicola Rizzoli wach, der nach dem spektakulären Eingreifen von Manuel Neuer
       gegen Gonzalo Higuaín im Finale 2014 keinen Elfmeter gab. Und an den
       mexikanischen Schiedsrichter Edgardo Codesal, der den Deutschen im Finale
       von 1990 einen unberechtigten Elfmeter zusprach, der damals zum 1:0-Sieg
       der Deutschen führte.
       
       Dagegen war das Halbfinale gegen Kroatien geradezu entspannt. Die solide
       3:0-Führung bereits 20 Minuten vor dem Abpfiff ließ die Menschen früh
       darüber nachdenken, an welchen Ort zum Feiern sie nach Spielschluss gehen
       sollten. Das Ziel war nicht bei allen der Obelisk, viele entschieden sich
       für die nächste größere Straßenkreuzung.
       
       Dass die WM-Spiele die tiefe Misere im Land überlagern, wissen auch die
       Spieler in Katar. Das belegen Aussagen wie jene von Torhüter Dibu Mártinez.
       Wenn sie auf den Platz gingen, sagte er, würden sie an die Menschen zu
       Hause denken. Oder die von Mittelfeldspieler Rodrigo de Paul: Es wäre gut
       zu wissen, dass ihre Siege den Menschen Anlass zum Feiern geben. Das sind
       keine leeren Sätze reicher Fußballprofis.
       
       Schon lange waren nicht mehr so viele Menschen zum Feiern auf die Straße
       gegangen, zumal es auch nichts zu feiern gab: Die Jahresinflation liegt bei
       100 Prozent, der Anteil der Armen an der 47-Millionen-Bevölkerung ist auf
       über 40 Prozent gestiegen. Dabei schaffen es immer mehr trotz geregeltem
       Einkommen kaum noch bis zum Monatsende. Hinzu kommen [2][ein Präsident und
       seine Regierung], bei denen schon lange niemand mehr weiß, wer die
       Richtlinien der Politik bestimmt und, welche die sind. [3][Und eine
       Vizepräsidentin], die vergangene Woche wegen Korruption zu sechs Jahren
       Gefängnis verurteilt wurde, aber nicht im Traum an einen Rücktritt denkt.
       
       14 Dec 2022
       
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