# taz.de -- Baumbesetzungen in Hannover: Polizei zieht Zaun um Tümpeltown
       
       > Die Demo gegen Rodungen für den Ausbau des Südschnellwegs in Hannover
       > blieb am Samstag friedlich. Es waren mehr Polizisten als Aktivisten vor
       > Ort.
       
 (IMG) Bild: Das rote Mahnwachenzelt soll aufgeschlitzt und mit Tomatensuppe besudelt worden sein
       
       HANNOVER taz | Das war ein einigermaßen actionreiches Wochenende in
       „Tümpeltown“ wie die Baumbesetzer ihr Protestcamp in den Baumwipfeln nahe
       des hannoverschen Südschnellweges liebevoll nennen. [1][Seit Monaten
       kämpfen sie hier gegen die Erweiterung der Stadtautobahn], der etliche
       Bäume im Naherholungsgebiet Leinemasch zum Opfer fallen sollen.
       
       Die Ereignisse an diesem Wochenende: In der Nacht zum Samstag gab es einen
       Übergriff auf das Zelt der Mahnwache, die hier seit Monaten aufgestellt
       ist. Am Samstag selbst eine Demo, um gegen den Beginn der Rodungsarbeiten
       zu protestieren, zu der mehr Polizisten als Aktivisten anrückten.
       
       Am Sonntag dann erfolgte die Sperrung des Südschnellweges, um die Rodungen
       vorzubereiten – und die kurzfristige Besetzung weiterer Bäume, trotz der
       massiven Polizeipräsenz. Nach Verhandlungen mit der Polizei kletterten die
       Aktivisten allerdings zurück in ihr Basislager.
       
       Die Vorgeschichte ist lang und ziemlich verwickelt. Vor mehr als einem Jahr
       [2][begannen die Proteste gegen den Ausbau des Südschnellweges.] Der gehört
       zu dem Schnellstraßensystem um Hannovers Stadtzentrum, ist ein wichtiger
       (und notorisch verstopfter) Zubringer.
       
       Etliche Abschnitte und vor allem seine Brücken sind arg
       sanierungsbedürftig. Schon vor Jahren hat die Politik die Planung der
       dringend nötigen Sanierungsarbeiten allerdings mit einem massiven Ausbau
       verknüpft.
       
       ## Symbol einer asphalt- und autozentrierten Verkehrspolitik
       
       In der Nähe des Stadtteils Döhren soll dem das beliebte Naherholungsgebiet
       Leinemasch zum Opfer fallen. Dagegen formierte sich [3][eine
       Bürgerinitiative, die aus Anwohnern, Umwelt- und Klimaschützern besteht].
       Sie halten die Verbreiterung der Stadtautobahn für überdimensioniert und
       nicht mehr zeitgemäß.
       
       Rund zehn Meter sollen in der Breite dazukommen – hauptsächlich für
       Standstreifen. Ein Fernradweg, wie ihn sich Hannovers Oberbürgermeister
       Belit Onay (Grüne) wünschte, ist aber nicht vorgesehen. Weil es sich ja
       immerhin um eine autobahnähnliche Bundesstraße handelt.
       
       Für viele wurde der Südschnellweg damit zum Symbol einer überholten,
       asphalt- und autozentrierten Verkehrspolitik, von der man in Zeiten des
       Klimawandels endlich Abstand nehmen solle.
       
       Und der Protest fand tatsächlich Gehör: Mehrere grüne und
       sozialdemokratische Spitzenpolitiker in der Region – darunter Hannovers
       Oberbürgermeister Onay (Grüne), der Regionspräsident Steffen Krach (SPD)
       und die stellvertretende niedersächsische Ministerpräsidentin Julia Hamburg
       (Grüne) – [4][sprachen sich dafür aus, die Planungen zu überarbeiten.]
       Zumal die Kosten absehbar davongaloppieren.
       
       Der Haken ist nur: Die Baumaßnahmen waren zu einem Gesamtpaket verschnürt
       worden, für das das Genehmigungsverfahren schon relativ weit
       fortgeschritten ist. Mitten im Planfeststellungsverfahren, wenn einige
       Maßnahmen schon ausgeschrieben oder vergeben sind, einen Schritt zurück zu
       machen, ist rechtlich nicht ganz einfach. Vor allem wenn die im
       Bundesverkehrswegeplan festgeschrieben sind, weil es sich um eine
       Bundesstraße handelt.
       
       ## Verkehrsminister sorgt für einen vorläufigen Kompromiss
       
       Niedersachsens Verkehrsminister Olaf Lies (SPD) hat trotzdem angekündigt,
       genau das versuchen zu wollen. Er hat in den vergangenen Wochen alle
       Beteiligten zu einem Runden Tisch eingeladen und einen Kompromiss
       ausgehandelt.
       
       Die anstehenden Rodungsarbeiten werden auf das Allernötigste beschränkt.
       Nötig sind sie allerdings für den Bau einer Behelfsbrücke, weil die Brücke
       an der Hildesheimer Straße nur noch bis Ende 2023 befahrbar ist. An ihrer
       Stelle soll ein Tunnel gebaut werden, für den Übergang benötigt man aber
       jene Behelfsbrücke.
       
       Von weiteren Rodungsarbeiten, wie sie zur Verbreiterung des Schnellweges
       nötig wären, will man aber erst einmal absehen. Auch das Protestcamp soll
       vorläufig nicht geräumt werden. Noch vor Weihnachten will Lies mit einer
       Delegation aus Hannover beim Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP)
       vorstellig werden, um eine Überprüfung der Pläne zu erwirken.
       
       Ob dieser Kompromiss trägt und wie weit man ihm trauen kann, ist nun das
       große Thema bei den Protestierenden. Die Bürgerinitiative „Leinemasch
       bleibt!“ hatte für Samstag erst einmal zum „Feiern und Trauern“ eingeladen.
       
       Man freue sich über das Erreichte und wolle sich einer Tunnellösung nicht
       entgegenstellen, heißt es aus den Reihen der Bürgerinitiative. Trotzdem
       trauere man natürlich um jeden Baum und werde die Rodungsarbeiten mit
       Argusaugen überwachen.
       
       Aus den Reihen der Aktivisten von „Ende Gelände Hannover“, die das
       Protestcamp betreiben, klang es zeitweise kämpferischer. „Jeder Baum, der
       fällt, ist einer zu viel.“
       
       ## Ein massives Polizeiaufgebot und ein bizarrer Übergriff
       
       Das war wohl auch der Grund, warum die Polizei zu der Protestdemo am
       Samstagvormittag mit einem massiven Aufgebot aus mehreren Hundertschaften
       aus ganz Niedersachsen vor Ort war. Man befürchtete weitere, spontane
       Baumbesetzungen.
       
       Doch bei den Spaziergängen durchs rodungsgefährdete Gebiet blieb zunächst
       alles friedlich. Laut der Polizei fanden sich 70, nach Veranstalterangaben
       150 Menschen bei dem nasskalten Wetter an der Mahnwache ein.
       
       Auf das Zelt dieser Mahnwache hatte es in der Nacht zuvor einen bizarren
       Übergriff gegeben. Ein Mann soll die Rückwand aufgeschlitzt, alles mit
       Tomatensuppe bekleckert und außerdem versucht haben, Protestplakate von den
       Bäumen zu holen.
       
       Als er von einem Aktivisten überrascht wurde, soll er diesen mit seinem
       Messer bedroht haben und verschwunden sein. Die Aktivisten erstatteten
       Anzeige wie die Polizei bestätigt.
       
       Nach der Demo vom Samstag blieb die Polizei vor Ort, um den Aufbau der
       Bauzäune abzusichern. Noch am Sonntag wurde der Schnellweg für die
       vorbereitenden Arbeiten gesperrt, am Montag sollen die Rodungsarbeiten
       beginnen.
       
       Trotz des Aufgebots gelang es am Sonntagmorgen zwei Aktivisten, sich an
       Traversen vom Baumdorf in die Sperrzone zu hangeln. Nach Verhandlungen mit
       der Polizei, die gleich mit Hubbühne, klettererfahrenen Polizisten und
       zeitweise sogar dem hannoverschen Polizeipräsidenten auffuhr, kletterten
       sie jedoch zurück.
       
       Das Ergebnis der Verhandlungen wirkt allerdings eher wie eine
       gesichtswahrende Maßnahme: Der Bauzaun wird in der Nähe von Tümpeltown noch
       einmal versetzt. Das Protestcamp ist nun um einen Baum größer.
       
       4 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [4] /Ausbau-des-Suedschnellwegs-in-Hannover/!5882196
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nadine Conti
       
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