# taz.de -- Razzien bei der Letzten Generation: Immer noch krasser
       
       > Weder überraschend noch sympathisch: Warum ich mich über die Razzien
       > gegen die Letzte Generation nicht empören kann.
       
 (IMG) Bild: Führt das zum Ziel?
       
       Es tut mir leid, ich habe mich wirklich angestrengt. Aber irgendwie kann
       ich mich über [1][die Razzien gegen die Letzte Generation] nicht empören.
       Denn Empörung benötigt im besten Fall: Überraschung und Sympathie mit den
       Betroffenen.
       
       Überrascht kann niemand sein, der die Geschichte sozialer Bewegungen und
       ihrer staatlichen Repression kennt: Zu oft schon haben Behörden den
       „Schnüffelparagrafen“ 129 des Strafgesetzbuchs gegen unbequeme Gruppen
       benutzt. Meist konnten sie im juristischen Nachspiel keine Straftaten
       nachweisen. Das war so bei den Aktivist:innen, die Blockaden beim G8-Gipfel
       in Heiligendamm planten, bei Antifa-Gruppen in Göttingen und anderswo.
       
       Überrascht ist nicht einmal die Letzte Generation selbst. Denn die
       Aktivist:innen haben es darauf angelegt, letztlich ist Eskalation ihr
       politisches Konzept. Sie kündigen ihre Aktionen offen an, sie
       radikalisieren sich von Straßenblockaden zu [2][Aktionen am Flughafen] –
       Fortsetzung folgt.
       
       Dieses politische Konzept führt dazu, dass auch meine Sympathie mit der
       Gruppe nicht sonderlich groß ist, obwohl ich ihre Ziele teile. Es ist das
       Konzept einer politischen Avantgarde: Wir müssen die Gesellschaft nur
       heftig genug schütteln, wir müssen sie aufwecken, dann erkennt sie den
       Ernst der Lage und wird tun, was notwendig ist.
       
       ## Ein irres Medienspektakel
       
       Natürlich kann man sagen, dass die Gruppe mit ihrem Protest Erfolg hat.
       Aber nur, wenn man Erfolg allein diskursiv misst. Wir sind aber längst
       nicht mehr an einem Punkt, an dem die Dramatik der Klimakrise nicht
       verstanden wird. Die meisten Menschen haben verstanden, sind aber hilflos
       angesichts der Größe der Aufgabe und verdrängen die Realität.
       
       Vielleicht ist diese avantgardistische Vorstellung, dass eine Gruppe wild
       Entschlossener nur überzeugt genug vorangehen muss, damit viele folgen, die
       einzige ernstzunehmende Parallele zur RAF.
       
       Es gibt eine andere Aktionsgruppe, an die mich die Letzte Generation
       erinnert. Sie ist ähnlich hierarchisch organisiert: das Zentrum für
       Politische Schönheit. Erinnern Sie sich? Die trugen einst [3][Särge nach
       Berlin], in denen vermeintlich an der Europäischen Außengrenze gestorbene
       Geflüchtete liegen sollten, um sie dort auf der Wiese vor dem
       Reichstagsgebäude zu vergraben. Ein irres Medienspektakel! Aber was ist
       davon geblieben? Welcher politische Erfolg, außer die Gesellschaft auf ihre
       blinden Flecken zu stoßen, auf dass sie sich noch ein bisschen mehr schäme?
       Ziemlich protestantisch, diese Vorstellung von Politik.
       
       Es ist kein Zufall, dass der Vortänzer des Zentrums für politische
       Schönheit, Philipp Ruch, vor Kurzem [4][in einem Gastbeitrag im Spiegel ]
       der Letzten Generation Haltungsnoten vergab – und ihr empfahl, sie solle
       doch die Gemälde in den Museen nicht mit Kartoffelbrei, sondern mit Benzin
       überschütten. Hier ist sie wieder: Die Vorstellung, dass man nur immer noch
       ein bisschen krasser werden muss, bis es die Leute endlich kapieren.
       
       Natürlich sind die Hausdurchsuchungen, ist die Kriminalisierung der
       Klimabewegung dennoch ein Skandal. So stehlen sich politisch
       Verantwortliche aus der Verantwortung. Trotzdem darf die staatliche
       Repression nicht dazu führen, dass keine Kritik an der Bewegung mehr
       erlaubt ist.
       
       „Aber die tun doch wenigstens was?“ Das stimmt, aber das ist ein hilfloses
       Argument. Einen anderen Hoffnungsschimmer habe ich gerade auch nicht, ich
       weiß nur: Eine Avantgarde, die versucht, den Wahnsinn des fossilen Alltags
       aktionistisch zu unterbrechen, wird niemanden retten. Ohne eine grüne
       Linke, die auch die Machtfrage stellen und Umverteilung organisieren kann,
       sind wir verloren. Klingt unrealistisch? Das stimmt.
       
       18 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] /Letzte-Generation-in-Muenchen-und-Berlin/!5902038
 (DIR) [3] /Protest-gegen-Fluechtlingspolitik/!5205543
 (DIR) [4] https://www.spiegel.de/kultur/philipp-ruch-vom-zps-ueber-die-letzte-generation-wir-haben-goetzendaemmerung-a-ce24457a-a174-4d6a-a295-656a33669ff4
       
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