# taz.de -- Politische Debatte zur Lützerath-Räumung: Der K(r)ampf der Grünen
       
       > Die Räumung von Lützerath beschäftigt auch die Bundespolitik – allen
       > voran die Grünen. Dort kommt Widerstand auch von der Parteibasis.
       
 (IMG) Bild: Aktivist*innen der Interventionistischen Linken vor der Bundesgeschäftsstelle der Grünen
       
       DÜSSELDORF/BERLIN taz | Die [1][Räumung in Lützerath ist am Mittwoch in
       vollem Gange], da äußert sich im fernen Berlin Vizekanzler und
       Wirtschaftsminister Robert Habeck, um den Polizeieinsatz zu verteidigen.
       Protest für Klimaschutz sei richtig, erklärte der Grüne. Aber: „Die
       leergezogene Siedlung Lützerath, wo keiner mehr wohnt, ist aus meiner Sicht
       das falsche Symbol.“ Der „Kompromiss“ – Lützerath wird abgebaggert, andere
       Dörfer dafür aber nicht, dazu ein vorgezogener Kohleausstieg in NRW bis
       2030 – sei weiter richtig, so Habeck. Er schaffe Rechtssicherheit und diene
       dem Klimaschutz.
       
       Doch die Worte können nicht überdecken, dass die Räumung [2][den Grünen
       schwer zusetzt]. Habeck hatte den „Kompromiss“ mit dem Energieversorger RWE
       mitverhandelt, zusammen mit NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur. Auch
       sie hatte die Räumung bis zum Schluss verteidigt. Parallel aber beteiligt
       sich am Mittwoch die Grüne Jugend vor Ort an den Gegenprotesten. Noch am
       Morgen postet Bundeschef Timon Dzienus von dort ein Selfie mit geballter
       Faust. „Wir verteidigen Lützerath“, schreibt er dazu. Später beklagt er das
       große Polizeiaufgebot und eine „unheilvolle Allianz gegen das Klima“ durch
       die Polizei und RWE, dann wird er von Beamten geräumt.
       
       Auch die Grüne Jugend Nordrhein-Westfalen nennt die Räumung „falsch“,
       ausgerechnet mitten in der Klimakrise. „Wenn wir die 1,5-Grad-Grenze
       einhalten wollen, muss die Kohle unter der Erde und Lützerath erhalten
       bleiben“, findet Landeschefin Nicola Dichant. „Deswegen sind auch wir jetzt
       in Lützerath und stehen für den Erhalt ein.“ Und in Berlin ziehen
       Klimaschützer:innen protestierend vor die Grünenzentrale, bringen dort
       gelbe Kreuze an – das Protestsymbol aus Lützerath.
       
       Wie schwer sich die Grünen mit dem Einsatz tun, zeigt sich auch daran, dass
       die Parteichefs Omid Nouripour und Ricarda Lang sich am Mittwoch nur kurz
       im Radio äußern – sonst vorerst kein Statement, kein Tweet zum Start der
       Räumung. Dafür tun es andere in der Bundespolitik.
       
       ## Die Bundesregierung verurteilt Gewalt
       
       Regierungssprecher Steffen Hebestreit verweist auf die „eindeutige“
       Rechtslage. Die Bundesregierung erwarte, dass geltendes Recht eingehalten
       würde. Dass am Morgen auch [3][Steine, Pyrotechnik und ein
       Molotow-Cocktail] auf Polizeibeamte flogen, kommentiert er deutlich: Die
       Bundesregierung verurteile die Gewalt. „Dafür haben wir kein
       Verständnis.“ Es sei an den Sicherheitskräften, die Situation vor Ort zu
       regeln.
       
       Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser kritisiert die Übergriffe scharf.
       „Ich habe null Verständnis für Gewalt und null Verständnis dafür,
       politische Fragen auf dem Rücken von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten
       auszutragen“, twittert sie. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) äußert
       sich ebenso „fassungslos“ darüber. „Ich verstehe es nicht, wie Menschen so
       was machen können.“ Friedliche Demonstrierende müssten sich von den
       Gewaltbereiten distanzieren und das Dorf verlassen.
       
       Tatsächlich gibt es von solchen friedlichen Demonstrierenden viele in
       Lützerath. Und schon am Vormittag beruhigt sich die Lage – zu übermächtig
       ist das Polizeiaufgebot. Nach taz-Informationen sind am Mittwoch bis zu
       5.000 Polizeibeamte im Einsatz – offiziell äußert sich die Polizei dazu
       nicht. [4][Fast alle Bundesländer schickten Hundertschaften], auch
       Wasserwerferstaffeln oder Spezialeinheiten. Ein Polizeisprecher lässt
       Zahlen der Festnahmen zunächst offen, spricht aber von mehreren verletzten
       Beamten und mindestens einem verletzten Protestierer.
       
       Am Nachmittag steht auch Jochen Kopelke, Chef der Gewerkschaft der
       Bundespolizei, im Matsch von Lützerath. „Ich erlebe hier einen
       hochprofessionellen Polizeieinsatz“, sagt er der taz am Telefon. Die
       Polizei kommuniziere vorbildlich. Inzwischen sei „absolute Ruhe
       eingekehrt“, auch auf Seiten der Demonstrierenden. Die Gewalt sei klar zu
       verurteilen, doch das Protestspektrum sei sehr heterogen, so Kopelke. „Da
       hatten wir ganz andere Sorgen im Vorfeld.“
       
       ## Die Linke beteiligt sich an Gegenprotesten
       
       Andere sehen den Polizeieinsatz weitaus kritischer. Linken-Chefin Janine
       Wissler zog bereits am Dienstag in das Protestcamp ein. „Hier in Lützerath
       werden die Gewinninteressen von RWE vor die Klimaschutzziele gestellt“,
       erklärt sie am Mittwoch. Die linke stehe an der Seite der
       Klimaschutzbewegung, weil Menschen wichtiger seien als Profite.
       
       Schon länger vor Ort war auch die NRW-Chefin der Linken, Kathrin Vogler.
       Auch sie beklagt am Mittwoch den „massiven“ Polizeieinsatz, der selbst
       Demo-Sanitäter nicht durchlasse. „Das ist skandalös.“ Ein Polizeisprecher
       sagt dazu nur, dass bei Verletzungen professionelle Hilfe jederzeit
       gewährleistet werde – aber nicht unbedingt private.
       
       Grüne Spitzenfunktionäre aus Landesregierung und Landtagsfraktion
       wiederholen derweil ihr Mantra der Vorwochen. Der in Nordrhein-Westfalen
       von 2038 auf 2030 vorgezogene Kohleausstieg sei „ein Meilenstein für den
       Klimaschutz“, findet Co-Fraktionschefin Wibke Brems. „Mitten in einer
       Energiekrise“ blieben damit 280 Millionen Tonnen Kohle in der Erde und
       würden „fünf Dörfer und drei Höfe“ gerettet. Allerdings: Der Mittwoch sei
       „kein leichter Tag für uns Grüne und alle für den Klimaschutz engagierten
       Menschen“, räumt Brems ein.
       
       Auch der grüne NRW-Umweltminister Oliver Krischer sieht den „Kohlekompriss“
       als wichtigen „Schritt in Richtung Klimaschutz“ – schließlich könne dadurch
       der Tagebau Hambach „um die Hälfte verkleinert“ werden.
       
       SPD-Mann und Oppositionschef Thomas Kutschaty kritisiert dagegen vor allem
       das Schweigen der Regierungsspitze um CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst.
       Dessen schwarz-grüne Landesregierung habe die politische Entscheidung
       getroffen, dass die Kohle unter Lützerath abgebaggert werden müsse. „In
       dieser Phase wäre Führungsverantwortung durch den Ministerpräsidenten
       angezeigt gewesen. Aber wie immer, wenn es heikel wird, hört man von ihm
       nichts“, so Kutschaty zur taz.
       
       ## Auch aus der Grünen-Basis kommt Kritik
       
       Die Grünen erreicht Kritik derweil auch aus der eigenen Partei. Man könne
       die Räumung „weder verstehen noch hinnehmen“, heißt es in einem seit
       Mittwoch öffentlichen [5][Offenen Brief], den vorerst gut 1000 Basis-Grüne
       unterzeichneten, darunter die Berlin-Kreuzberger Bundestagsabgeordnete
       Canan Bayram und die frühere Friedrichshain-Kreuzberger
       Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann. „Der Deal mit RWE droht mit den
       Grundsätzen unserer Partei zu brechen.“ Die Räumung müsse „sofort und
       dauerhaft“ gestoppt werden.
       
       Gleiches fordern auch rund 200 Kulturschaffende in einem offenen Brief,
       darunter Katja Riemann, Igor Levit oder die Bands Deichkind und
       Revolverheld. Man stelle sich „soldiarisch an die Seite der
       Klimaprotestierenden in Lützerath“. Und auch die „Scientists for Future“,
       ein Verbund klimaprotestierender Forscher:innen, fordern in einem
       [6][offenen Brief ein Moratorium für die Räumung].
       
       ## Protest mit Greta Thunberg angekündigt
       
       Dazu wird es wohl nicht kommen. Die Polizei kündigt am Mittwoch an, dass
       sich ihr Einsatz noch eine Weile hinziehen werde. Und betont nochmals, dass
       man nur Vollzugshilfe für die Behörden leiste.
       
       Aber auch der Protest kündigte Ausdauer an. Noch befinden sich
       Besetzer:innen in Lützerath. Und für Samstag ist eine Großdemonstration
       geplant – an der laut Veranstalter:innen auch Greta Thunberg
       teilnehmen wird.
       
       11 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [5] https://luetzibleibt.antragsgruen.de/luetzibleibt/grune-grundwerte-nicht-verraten-lutzerath-muss-bleiben-offener-brief-56039
 (DIR) [6] https://de.scientists4future.org/offener-brief-ein-moratorium-fuer-die-raeumung-von-luetzerath/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Konrad Litschko
 (DIR) Tanja Tricarico
 (DIR) Andreas Wyputta
       
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