# taz.de -- Hamburgs Jugendämter sind überlastet: „Eine Art Triage“
       
       > Hamburgs Allgemeine Soziale Dienste (ASD) senken Standards ab, weil sie
       > zu viel zu tun haben. Hilfeplangespräche gibt es nur noch einmal im Jahr.
       
 (IMG) Bild: Ist auf regelmäßige Hilfeplangespräche angewiesen: Jugendlicher in einer Wohngruppe in Nürnberg
       
       HAMBURG taz | Hamburgs Jugendämter sind so überlastet, dass sie ihre
       Aufgaben nicht schaffen. Das bringt die Linksfraktion in der Bürgerschaft
       in [1][einer neuen Anfrage zur Sprache]. Die Fachkräfte beim Allgemeinen
       Sozialen Dienst (ASD) seien „mehr als am Limit“, und angehalten, in einer
       „Art Triage“ ihre Aufgaben in „wichtig und weniger wichtig“ zu einzuteilen.
       
       Den Anstoß hatte ein Papier vom 16. Dezember über „Maßnahmen zum Umgang mit
       der aktuellen Arbeitssituation“ gegeben, das die Jugendamtsleiter aller
       sieben Bezirke unterzeichnet haben. Sie hätten alles versucht, um ihre
       Ressourcen bestmöglich einzusetzen, heißt es darin. „Dies reicht jedoch
       nicht mehr aus, um den Kinderschutz dauerhaft zu gewährleisten.“ Als Gründe
       dafür nennen sie neue Aufgaben durch neue Gesetze und aufwendigere Fälle,
       [2][verstärkt durch fehlende Plätze für die Kinder].
       
       Darum sollen zunächst befristet bis Juli eine Reihe von „Standards“
       nachrangig bearbeitet oder ausgesetzt werden. Gravierendster Punkt: Die
       Hilfeplangespräche, die laut Fachanweisung alle sechs Monate stattzufinden
       haben, soll es nur noch ein Mal im Jahr geben.
       
       Doch diese Gespräche sind enorm wichtig etwa für Kinder, die [3][außerhalb
       Hamburgs im Heim leben]. Dort sitzen ein Jugendamtsmitarbeiter, das Kind,
       die Sorgeberechtigten und die Einrichtung zusammen und besprechen zum
       Beispiel, wie lange der Aufenthalt noch dauert oder wann ein Kind zur
       Schule gehen darf.
       
       ## Jugendämter müssen für Schulplatz sorgen
       
       Als kürzlich in Schleswig-Holsteins Bildungsausschuss das Thema der
       [4][fehlenden Schulpflicht für auswärtige Heimkinder] erörtert wurde, hatte
       die Ombudsfrau für Heimkinder, [5][Samiah El Samadoni], moniert: „Das
       Problem ist, dass die Jugendämter sehr weit weg sind.“ Die Präsenz der
       Jugendämter aus anderen Bundesländern sei sehr gering. Sie treffe immer
       wieder auf Kinder, die keine Beziehung zu ihrem Heimat-Jugendamt haben.
       „Mir ist mal ein Kind begegnet, das steif und fest behauptet hat, es hätte
       gar kein Jugendamt.“
       
       Aus einer Anfrage des schleswig-holsteinischen SPD-Abgeordneten [6][Martin
       Habersaat] geht hervor, dass im Land aktuell 392 Schüler aus anderen
       Bundesländern im Heim mit „anderweitigem Unterricht“ auf den Besuch einer
       Schule vorbereitet werden. Wie der Vorsitzende des Verbandes privater
       Träger der Kinder- und Jugendhilfe, Pierre Steffen, der taz unlängst sagte,
       dauert die Heimbeschulung bei den dort organisierten Einrichtungen „in der
       Regel selten länger als zwei Jahre“. Laut der Kieler Regierung läuft dieser
       Prozess „unter Federführung des entsendenden Jugendamtes“. Habersaat sagt
       nun: „Mir ist ein Rätsel, wie diese Federführung ohne persönlichen Kontakt
       und körperliche Anwesenheit funktionieren soll.“
       
       Die Hamburger Linke wollte vom Hamburger Senat wissen, welche Auswirkungen
       es für die Betroffenen hat, wenn die Hilfeplangespräche nicht wie
       vorgeschrieben alle sechs Monate stattfinden. Der Senat antwortete
       ausweichend. Falle so ein Termin aus, sei das jeweils „eine
       Einzelfallentscheidung“. Dann erhalte die „ohnehin stattfindende
       Kommunikation“ mehr Gewicht. Nachteile für die Betroffenen ergäben sich
       daraus nicht.
       
       Auf taz-Anfrage, ob die Reduzierung der Hilfeplangespräche auch Heimkinder
       betrifft, antwortete ein Sprecher der Hamburger Sozialbehörde vage, diese
       sollten so häufig stattfinden, wie es erforderlich sei. Die regelhaften
       Intervalle würden „gerade noch mit dem ASD abgestimmt“.
       
       ## 72 Überlastungsanzeigen seit 2021
       
       Immerhin räumt der Senat auf die Linken-Anfrage ein, dass es seit 2021 72
       Überlastungsanzeigen in den Jugendämtern gab. Die Arbeit werde aber
       „regelhaft ausgeführt“. Alles Verschobene werde nachgeholt.
       Kindeswohlgefährdungen seien von der Priorisierung ausgenommen. So sei der
       Kinderschutz „zu jeder Zeit“ gewährleistet.
       
       Die Linken-Jugendpolitikerin Sabine Boeddinghaus ist enttäuscht von den
       Antworten. „Der Senat banalisiert und verharmlost die Situation.“ Ein
       Papier, in dem alle sieben Jugendamtsleitungen schreiben, der Kinderschutz
       sei nicht gewährleistet, müsse die Stadt „sehr ernst nehmen“.
       
       Bereits kurz vor Weihnachten hatte die Gewerkschaft [7][Ver.di vor
       Personalmangel bei Hamburgs ASD gewarnt]. Das sei noch akut, sagte
       Ver.di-Sekretär Max Stempel nun zur taz. „Unseres Wissens sind etwa ein
       Fünftel der Stellen nicht besetzt.“ Ein Problem sei, dass die Nachbarländer
       den Fachkräften mehr Geld und freie Tage böten.
       
       10 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/82660/allgemeiner_sozialer_dienst_asd_mehr_als_am_limit_aufgaben_koennen_nicht_mehr_dienst_und_fachgerecht_wahrgenommen_werden.pdf
 (DIR) [2] /Versorgung-unbegeleiteter-Minderjaehriger/!5906508
 (DIR) [3] /Streit-um-Bildung-fuer-Heimkinder/!5909077
 (DIR) [4] /Kein-Schulbesuch-fuer-Heimkinder/!5909078
 (DIR) [5] /Schleswig-Holsteins-erste-Ombudsfrau-fuer-Heimkinder/!5262846
 (DIR) [6] https://www.martinhabersaat.de/category/themen/bildung/
 (DIR) [7] /Inflationsfolgen-in-Hamburg/!5901061
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kaija Kutter
       
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