# taz.de -- Fehlende Arbeitskräfte: Die stille Reserve der Fachkräfte
       
       > In Deutschland fehlen Arbeitskräfte. Viele. Mit familienfreundlichen
       > Strukturen ließen sich Hunderttausende Frauen aus der Teilzeitfalle
       > holen.
       
 (IMG) Bild: Die unsichtbaren Arbeitskräfte – hier eine brotbackende Frau
       
       Die ersten Betriebe schließen temporär, wie Bäckereien und Restaurants.
       Lieferungen dauern länger, Verwaltungen kommen nicht nach, Investitionen
       werden überdacht – überall fehlen Mitarbeitende. Von Monat zu Monat
       schwellen die Klagen der Unternehmen an: Wir brauchen Fachkräfte,
       Arbeitskräfte. Bald. Viele. Denn das ist erst der Anfang der demografischen
       Entwicklung.
       
       Gut, dass es rund 840.000 Arbeitskräfte gibt, die diese Lücken füllen
       können. Und das nicht nur in den Metropolen, sondern überall. Sie sind
       qualifiziert, motiviert und sprechen meist sehr gut Deutsch. Es sind:
       Frauen. Wenn alle Frauen mit Kindern unter sechs Jahren so viel arbeiten
       könnten, wie sie wollten, gäbe es 840.000 Arbeitskräfte mehr, [1][zitierte
       Bundesfamilienministerin Lisa Paus] unlängst eine Umfrage.
       
       Und es dürften weit mehr sein: Jede zweite Frau, insgesamt neun Millionen,
       arbeitet in Deutschland Teilzeit; Millionen von ihnen in
       Mini-midi-irgendwas-Jobs. Ein wahrer Schatz für die Wirtschaft. Und einer,
       den man heben könnte, wie die Fachkräftestrategie der Bundesregierung
       erkennt: Man wolle steuerliche Anreize zur Teilzeitbeschäftigung senken,
       sich die Minijobs anschauen und für eine bessere Kinderbetreuung sorgen.
       
       Aber sie setzt es nicht um. Seit Jahren nicht. Frauen sind hier keine
       stille Reserve für Fachkräfte, sondern für Kinderbetreuung, Pflege,
       Haushalt. Wie beim Ehegattensplitting. Die in Europa fast einzigartige (nur
       Luxemburg und Polen leisten sich ähnliche Modelle) systematische
       Benachteiligung des schlechter verdienenden Eheteils, ergo Frauen, wird
       seit Jahrzehnten kritisiert. Schweden hat sie schon 1970 abgeschafft.
       
       ## „Mehr Fairness“ heißt „nicht ganz fair“
       
       Und Deutschland? Bleibt dabei. „Mehr Fairness“ bei diesem Steuerverfahren,
       wie es im Koalitionsvertrag heißt, bedeutet schön weiter „nicht ganz fair“.
       Sogar bewusst verschlimmert hat die Ampel die Minijobs. Statt sie – auch
       das ein europäisches Unikat – endlich abzuschaffen oder zumindest auf
       Rentner*innen und Studierende zu beschränken, weitet sie den Anreiz für
       Minijobs aus.
       
       Obwohl bekannt ist, dass damit Hunderttausende Vollzeitjobs zerstückelt
       wurden, auf Kosten der Sozialversicherung. Obwohl die Jobs nachweislich
       nicht in bessere Stellen führen. Obwohl bekannt ist, dass [2][Minijobs und
       ähnliche Teilzeitmodelle] für Millionen Frauen die vorprogrammierte
       Altersarmut sind. Die Augen fest verschlossen, wurde mit dem Mindestlohn
       der Minijob auf 520 Euro monatlich ausgeweitet. Und parallel der Midijob
       für Arbeitgeber ein wenig teurer gemacht – noch ein Anreiz für diese,
       Minijobs anzubieten.
       
       Ja, viele Frauen wollen Teilzeit arbeiten. Aber dafür gibt es ein
       Teilzeitgesetz. Das reicht in anderen Ländern auch. Bleibt die dritte
       Baustelle: Kinderbetreuung. Während jede Krise in der Automobilbranche
       immer neue politische Gipfel produziert, reihen sich bei der
       Kinderbetreuung die Schlagzeilen stumpf und gipfelfrei aneinander: Es
       fehlen 384.000 Kita-Plätze. Es fehlen 100.000 Betreuerinnen. Es fehlt die
       Verwaltungsvereinbarung, damit 3,5 Milliarden Euro für die
       Ganztagsbetreuung abgerufen werden können.
       
       Ja, es wird gebaut, mit Milliarden. Aber es reicht einfach nicht. Beim
       Immobilienbau gilt die Stellplatzverordnung für Parkplätze – wo bleibt die
       Pflicht für Betriebskindergärten für Bürohaus und Industriepark?
       
       ## Unternehmen und Gewerkschaften sollen auch handeln
       
       Aber nicht nur die Politik handelt nicht. Unternehmen und Gewerkschaften
       sind genauso in der Verantwortung: Wer als Arbeitgeber glaubt, eine
       Stellenanzeige mit Sternchen und m/w/d-Hinweis reicht, um Frauen
       anzusprechen, irrt. Pünktlicher Dienstschluss, planbare Schichten,
       Homeoffice-Regelungen, ÖPNV-Erreichbarkeit und, ja, Betriebskitas können da
       vermutlich mehr bewirken als ein Startbonus und ein Dienstwagen.
       
       Und in den Tarifrunden wird zwar eifrig allerlei für Ältere [3][und Azubis]
       gefordert – aber selten für Frauen. Auch kein gesellschaftliches Problem
       ist offenbar, dass 2020 insgesamt [4][1,7 Milliarden Überstunden im Jahr
       geleistet wurden], Corona hin oder her, und davon die Hälfte unbezahlt.
       Zumindest die unbezahlten Überstunden wären bei der Kinderbetreuung besser
       investiert.
       
       Also besser eine Politik für Frauen als Einwanderung von Fachkräften? Nein.
       Ohne Einwanderung ist die demografische Katastrophe, auf die wir zurasen,
       nicht zu lösen. Es geht ebenso wenig darum, Frauen in Vollzeitjobs zu
       zwingen. Es geht darum, dass insbesondere Mütter überhaupt die Wahl haben
       zu entscheiden, ob und wie viel sie arbeiten und wie viel Zeit sie mit
       ihrer Familie verbringen. Denn, Emanzipation hin oder her, sie betreuen die
       Kinder. Sie sind die Alleinerziehenden. Und sie sind Fachkräfte.
       
       ## Andere Länder haben bessere Arbeitsbedingungen
       
       Diese Wahl sollten nicht nur Frauen haben, die bereits in Deutschland
       leben, sondern auch die, die hierherkommen. Wer die Rahmenbedingungen für
       erwerbstätige Frauen nicht verbessert, rechnet offenbar gar nicht damit,
       dass [5][mit der Fachkräftestrategie] auch Frauen kommen könnten – und zwar
       statt Männern.
       
       Auf die Idee, dass andere Länder beliebter bei Einwandernden sein könnten,
       weil sie Frauen und Familien bessere Rahmenbedingungen bieten, kommt man in
       Deutschland offenbar gar nicht. Mit Fachkräfteeinwanderung sind hier immer
       noch Männer gemeint. Deswegen fordert die Wirtschaft vor allem weniger
       Bürokratie – und nicht familienfreundliche Strukturen.
       
       Im Strategiepapier der Bundesregierung wird immerhin bedauert, dass nur die
       Hälfte dieser einwandernden Lebenspartnerinnen und Lebenspartner
       erwerbstätig ist. Der Blick in die entsprechende Studie des Deutschen
       Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung lohnt sich: Die
       Nachgezogenen seien „sehr gut ausgebildet und mehrheitlich weiblich: Über
       30 Prozent haben mindestens einen Bachelorabschluss, über 70 Prozent sind
       Frauen“. Und sie seien „massiv un- und unterbeschäftigt“. Das ließe sich
       ändern.
       
       12 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/arbeitsmarkt-berlin-ministerin-zu-fachkraeftemangel-riesenpotenzial-an-frauen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-221017-99-160410
 (DIR) [2] /Betriebe-in-Berlin/!5616077
 (DIR) [3] /Diskriminierung-im-Handwerk/!5907355
 (DIR) [4] https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/ueberstunden-trotz-corona-fast-1-7-milliarden-im-jahr-2020-a-c4964cdb-d6c8-479e-a026-824064cd62a3
 (DIR) [5] /Strategie-der-Ampel-gegen-Personalluecken/!5910108
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Maike Rademaker
       
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