# taz.de -- Nachdenken über das Sterben: Der Tod wohnt im Zimmer nebenan
       
       > Trost kann helfen, den Tod zu verarbeiten. Doch unsere Autorin ist beim
       > Denken ans Sterben mittlerweile untröstlich, seitdem sie eigene Kinder
       > hat.
       
 (IMG) Bild: Ist für viele erstmal eine große Leere: der Tod
       
       Der Tod ist für mich [1][etwas sehr Abstraktes]. Eine Leere, die bleibt.
       Undefinierbar und ohne Sinn. Jedes mal, wenn ich darüber nachdenke, dass
       wir alle irgendwann sterben müssen – was ich mit einer bemerkenswerten
       Frequenz tue, seit ich Kinder habe –, verstehe ich zumindest für einen
       kurzen Moment, dass Menschen sich dem Glauben zuwenden. Dass sie so diese
       Leere füllen und Trost finden. Weil ich keinen Trost mehr finde, wenn ich
       daran denke, dass ich nicht für immer [2][für meine] Kinder da sein kann.
       
       Als meine Oma vor vielen Jahren [3][gestorben ist], war ich untröstlich.
       Ich weiß noch, dass in ihrem Esszimmer ein großer Stapel Karten und Briefe
       lag. Beileidsbekundungen, die Menschen aus dem ganzen Land geschickt
       hatten. Ich kannte diese Leute nicht. Sie kannte viele Menschen aus ihrem
       langen Leben. So viele, dass es mir manchmal schien, als hätte sie mehr als
       eines gelebt.
       
       Ich war innen leer und zog wahllos ein Kuvert aus dem Stapel auf dem Tisch,
       an dem ich schon gesessen hatte, als meine Füße beim Sitzen noch in der
       Luft baumelten. Auf der Karte stand: „Der Tod hat keine Bedeutung. Ich bin
       nur in das Zimmer nebenan gegangen. Ich bin ich, ihr seid ihr. Das, was ich
       für euch war, bin ich immer noch.“
       
       Diese Zeilen sind eine freie Übersetzung einer Predigt, die, wie ich später
       gelernt habe, Henry Scott Holland im Jahr 1910 anlässlich des Todes von
       König Edward VII. in London gehalten haben soll. Diese paar Zeilen haben
       mir eine so große Menge Trost gespendet, dass mir aber ziemlich egal war,
       wo sie herkamen. Ich klammerte mich wochenlang daran, wie an einen
       Rettungsring.
       
       ## Geburt ist dem Tod sehr nahe
       
       Während ich mein erstes Kind geboren habe, hatte ich zeitweise große Angst.
       Es ist dann alles gut gegangen, aber während der Geburt habe ich
       schlagartig verstanden, dass ich an einer Tür in ein anderes Zimmer stehe.
       
       Die Geburt ist dem Tod so nahe, dass sie sich im Vorbeigehen zunicken, wie
       zwei Arbeitskollegen. Als mein Kind dann in meinem Arm lag, dachte ich
       erleichtert, dass da gerade jemand aus einem anderen Zimmer gekommen war,
       um eine Weile mit mir in einem Zimmer zu bleiben.
       
       Vergangene Woche ist ein Freund verunglückt. Er war noch so jung. Er war so
       eine gute Seele. Seit Tagen ringe ich damit, das Abstrakte zu verstehen,
       die Leere aus meinen Kopf zu kriegen. Dann kamen mir wieder diese Zeilen in
       den Sinn: Der Tod hat keine Bedeutung. Er ist nur in das Zimmer nebenan
       gegangen. Er ist er, wir sind wir. Das, was er für uns war, ist er immer
       noch.
       
       Abends, wenn ich die Kinder zu Bett bringe, bleibe ich jetzt ein bisschen
       länger bei ihnen. Ich höre ihnen ein bisschen aufmerksamer zu. Ich drücke
       sie ein bisschen fester. Vielleicht klammere ich mich auch an sie, wie an
       einen Rettungsring. Ich rieche an ihren kleinen Köpfen, wenn sie schlafen
       und bin traurig, aber glücklich, dass ich noch im selben Zimmer sein darf.
       
       14 Feb 2023
       
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