# taz.de -- Queere portugiesische Komödie „Irrlicht“: Wo man alle Wünsche ausleben kann
       
       > Der Regisseur João Pedro Rodrigues wechselt in seiner Komödie „Irrlicht“
       > vom Grotesken zum Queeren und zum Musical. Einen Prinzen gibt es auch.
       
 (IMG) Bild: Prinz Alfredo (Mauro Costa) und Ausbilder Afonso (André Cabral) beim Üben
       
       Der König liegt im Sterben, klein und karg ist das Zimmer, an seinem Bett
       spielt ein Junge mit einem kleinen Feuerwehrauto. An der Wand ein
       Historiengemälde, darauf kleinwüchsige schwarze Menschen. Wir schreiben das
       Jahr 2069, genauer gesagt schreibt der Film es, knallrot, in großen
       Buchstaben, mitten ins Bild. Kurz vorher flog draußen ein Raumschiff
       vorbei. Aus diesem Raum der Zukunft geht es bald zurück, sodass wir in der
       Nähe unserer Gegenwart, nämlich 2011, wenn auch nie so ganz in unserer
       Wirklichkeit sind.
       
       Der König ist hier noch jung, ist noch Prinz (Mauro Costa), ein
       schmächtiger Mann mit Locken und krissligem Bart. Er sitzt mit Mutter
       Königin und Vater König am prächtigen Tisch, ein Gemälde im Hintergrund, im
       Vordergrund eine Tür, verstohlene Blicke gelten uns oder der Kamera, oder
       dem gewöhnlichen Volk, mit dem die Königsfamilie rechnet.
       
       Der Prinz, Alfredo sein Name, verkündet, er möchte Feuerwehrmann werden. Es
       geht ihm nicht zuletzt um den Wald, er liebt die Bäume, er fürchtet ihr
       Verschwinden durch Raubbau und Umweltzerstörung. Die Eltern nehmen ihn
       nicht richtig ernst, so ganz passt das nicht zu einem König, aber bald
       darauf sehen wir ihn auf dem Revier, dann bei einer Übung und auch bei Tanz
       und Gesang. Alfredo entbrennt in Liebe zu seinem schönen schwarzen
       Ausbilder namens Afonso (André Cabral). Der rettet ihn aus dem Qualm,
       Alfredo probt an Afonso die Wiederbelebung mit kiss of life und Druck auf
       die Brust.
       
       Klingt alles normaler, als es im Film ist. Schließlich war da bereits das
       Ballett der Feuerwehrleute im Hof, Frauen und Männer, angeführt von der
       Kommandantin (Cláudia Jardim), deren Körperfülle hinreißend ist.
       
       Zwischendurch wird Greta Thunbergs große UN-Rede deklamiert, weil ja
       ohnehin schon große Themen anwesend sind. Wenn auch in einer Form, die nach
       konventionellem Verständnis nicht passt. In einem Film, der zwischendurch
       mit viel Schwung und voller Überzeugung zum Musical wird. Um dann eine
       scharfe Kurve zu nehmen in Richtung Pornografie: Alfredo holt Afonso und
       Afonso Alfredo einen runter, die Kamera bewegt sich schmiegsam um die
       nackten Körper am Boden herum. Die erigierten Schwänze sind allerdings
       sichtlich Attrappen.
       
       ## Kolonialgeschichte mit Genre-Hopping
       
       Zum verbalen Liebesspiel, beim Sex, aber auch nach dem Sex, am Steuer des
       Feuerwehrautos, hauen sich die beiden Rassistisches um die Ohren. Um
       Kolonialgeschichte geht es, aber vor allem als Teaser. Das Ernste wird
       immer sogleich in etwas Groteskes, das Groteske ins Musical, das Musical
       ins Queere, das Queere in die Komödie überführt. Es ist ein Genre-Hopping
       in kristallklaren Kompositionen des großen Kameramanns Rui Poças, der auch
       die Bilder zu [1][Lucrecia Martels „Zama“] oder Miguel Gomes’ „Tabu“
       gemacht hat.
       
       João Pedro Rodrigues hat noch nie Filme gedreht, die sich irgendetwas
       Herkömmlichem fügen. Mit [2][Latexsex und Müllabfuhr (sein Debüt „O
       Fantasma“)]. Mit Geschlechtsumwandlung und Katholizismus („To Die Like a
       Man“). Mit Schwarzstörchen und chinesischen Pilgerinnen (zuletzt: „[3][Der
       Ornithologe“]). Als Melodram, mit Gesang.
       
       Mit Leichtigkeit treibt er es, wie heikel der Gegenstand auch sein mag,
       freudig sehr weit. Nichts Menschliches, keine Perversion ist ihm fremd,
       vielmehr geht es genau darum: Welten zu schaffen, in denen alle Triebe,
       alle Wünsche sich ungeniert ausleben können, solange es keinen Schaden
       verursacht.
       
       Auch diesmal bringt er in einer guten Stunde so einiges unter. Genreangabe:
       „Eine musikalische Fantasie“. Eine Komödie, wenn man so will, weil sie die
       Form ist, die so ziemlich alles erlaubt. Auch den Stillstand, den Blick in
       die Bäume, recht licht ist der Wald. Dazu Gesang.
       
       16 Mar 2023
       
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