# taz.de -- Gespräch mit Billy Childish: „Van Gogh ist mein Held“
       
       > Ein Gespräch mit dem britischen Künstler Billy Childish über das Bemalen
       > von Ostereiern, Turnkeulen-Werfen und das Simplistische am Rock’n’Roll.
       
 (IMG) Bild: Billy Childish in Berlin
       
       wochentaz: Mr Childish, zählen Sie Ihre eigenen Alben? 
       
       Billy Childish: Nein, nicht wirklich. Andere Leute sagen mir manchmal, auf
       wie viel sie gekommen sind. Ich schätze, es werden 130 bis 160 sein.
       
       Ich frage, weil in ziemlich jedem Artikel über Sie die immense Zahl Ihrer
       Veröffentlichungen betont wird. 
       
       Das kommt daher, dass die Leute sich lieber auf bereits Gesagtes verlassen,
       [1][als selbst zu recherchieren].
       
       Es ist, als würde es einen Billy-Childish-Artikel-Generator geben. 
       
       Es gibt die Webseite Discogs.
       
       Zu Ihrem musikalischen Repertoire gehören Beat, Garagepunk und Folk.
       Daneben stehen Skiffle Jazz mit den Blackhands oder das Weltkriegs-Memorial
       mit Sexton Ming. 
       
       Oder die Poetry-LPs und die mit britischem Blues.
       
       Trotzdem liest man oft den Satz, alle Billy-Childish-Alben klängen im
       Grunde gleich. 
       
       Die dutzend Platten der William Loveday Intention seit 2020 sind wieder
       anders als die der Headcoats. Ich denke, meine Musik ist sehr variabel,
       aber was sich durch sie zieht, ist ihr elementarer Aspekt. Der verleitet
       dazu, sie abzuqualifizieren. Ähnlich ist es meiner Malerei ergangen. Es gab
       [2][Kritiker:Innen, die behauptet haben, ich könne nicht malen.] Das,
       obwohl ich nicht einmal so getan habe, als ob.
       
       Warum? 
       
       Abwechslung und Bewegung sind etwas, das den journalistischen Zugriff
       erschwert. Ich weiß, die gängige Vorstellung ist, ich habe einen Song
       komponiert, der geht „Dam-di-dam-dam-dam.“ (lacht) Okay, wenn jemand das
       glauben möchte, bitte schön, gern geschehen.
       
       Wer ist der ideale Hörer, die ideale Betrachterin oder Leserin? 
       
       Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Um ehrlich zu sein, unterhalte ich
       mich selbst. Wenn nun jemand dadurch unterhalten wird, gerne, aber mein
       erster Gedanke gilt tatsächlich nicht dem Publikum. In der Malerei versuche
       ich herauszufinden, was und wie das Gemälde sein will. Mit der Musik
       verhält es sich ähnlich. Was ich da tue, tue ich, weil ich es einfach und
       natürlich finde. Und weil es mir erlaubt, die Welt draußen lassen zu
       können. Wer Humor, Intelligenz und Seele hat und sich nicht von Technik
       beeindrucken lässt, könnte schon Gefallen daran finden.
       
       Was stört Sie an der Welt da draußen? 
       
       Es ist nicht so, dass ich die Welt da draußen nicht mag. Ich komme nur
       nicht gut damit zurande, wenn mir gesagt wird, was ich zu tun habe, was
       Kunst sein und wie Musik klingen sollte. Ich interessiere mich nicht für
       die soziale Malaise, für Partys oder Versuche, irgendwer zu sein. Ich bin
       eigentlich ein häuslicher Typ, bin ich immer gewesen, und keine öffentliche
       Figur.
       
       Mit der William Loveday Intention haben Sie drei Alben mit
       Bob-Dylan-Coverversionen veröffentlicht. Gibt es da eine Hassliebe? 
       
       Ich bin kein Dylanologe und gehe, wie in vielen Dingen, eher respektvoll
       mit seinem Werk um. Hass spielt da keine Rolle. Außer der „The Times They
       Are A-Changin’“-LP, die wir zu Hause hatten, als ich fünf Jahre alt war,
       habe ich lange kaum Musik von Dylan gehört. Sicherlich kannte ich Jimi
       Hendrix’ Interpretation von „All Along The Watchtower“, die allgemein als
       ein Geniestreich angesehen wird, mir aber zu überproduziert und zu clever
       ist. Ich liebe Jimi Hendrix, muss aber nicht unbedingt beeindruckt werden.
       
       Sie kamen von Jimi Hendrix zu Dylan? 
       
       Vor einigen Jahren wollte ich Dylans Originalversion hören. Dann hat Yotube
       mir mehr Vorschläge gemacht, darunter eine Liveaufnahme von 1976, bei der
       Dylan wie Joe Strummer klingt. Und so ist es zu „The New and Improved Bob
       Dylan“ gekommen. Weil aber Dylan von seinen Fans immer auf ein hohes Podest
       gestellt wird, das ich lächerlich finde, dachte ich, so ein Dichter möchte
       ich auch sein. Und so habe ich die lyrische Seite meiner Songs, die sonst
       eher zu 30 Prozent durchkommt, auf den William-Loveday-Alben mehr gepflegt.
       Noch einmal zu Dylan: Mir ist beim Hören und Covern klargeworden, wo er gut
       ist, da ist er wirklich gut.
       
       Nicht alle mögen seine Stimme. 
       
       Ich bin kein Freund davon, wie Dylan seit ungefähr 20 Jahren singt. Er
       krächzt wie Mr. Burns von den Simpsons, muss nicht sein! Aber es ist
       ausgerechnet das nicht Stimmige, das Ungelenke und Eckige gewesen, was mich
       für ihn eingenommen hat. Hut ab vor Dylan! Er hat einmal gesagt, er habe
       mit voller Absicht schlechte Platten gemacht. Das, fand ich, war ein
       richtig kluger Schachzug.
       
       Sie verwenden oft Begriffe wie „fundamental“ und „elementar“. Suchen Sie
       Schönheit in Einfachheit? 
       
       Dazu fällt mir ein, dass es nicht lange her ist, dass in meiner Heimatstadt
       ein gigantischer Mond, ungefähr so groß wie der Raum, in dem wir jetzt
       sitzen, in die Kathedrale gehängt und von innen beleuchtet wurde. Ich kam
       vorbei, als die Leute, sie kamen bis aus London, Schlange standen und
       bezahlten, um in der Kathedrale den Kunstmond zu sehen, während am Himmel
       Vollmond war. Das sagt eine Menge über die Menschen. Wenn ich eine Galerie
       besuche, kann es mir schwerfallen, Schönheit zu finden, während ich sie
       draußen vor den Fenstern, an den Pflanzen am Gemäuer, leicht finde.
       Sibelius hat sich von Gänsen inspirieren lassen. Van Gogh, einer meiner
       Helden, hat die Natur zu den Menschen nach Hause gebracht. Vieles von dem,
       was mir als Kunst verkauft wird, feiert Alltäglichkeit, Elend und Tod. Ich
       hatte davon genug. Sicherlich muss das einmal raus. Aber ich denke auch,
       dass das nicht in den höchsten Tönen besungen werden muss.
       
       In der Berliner Galerie Neugerriemschneider, in der wir uns unterhalten,
       hatten Sie 2020/21 die Ausstellung „skulls wolfs rudes rope pullers and a
       nervous breakdown“. Zu ihr gehörte eine ganze Reihe von Bildern aus der
       Arbeitswelt. Wollten Sie etwas zeigen, das am Verschwinden ist?
       
       Tatsächlich habe ich mein Atelier in Chatham dort, wo sich eine riesige
       Seilerei befindet. Aber ich hatte bei diesen Bildern keinen vorsätzlichen
       Gedanken. Was mich interessierte, war der Vorgang des Seilziehens und die
       Entdeckung, dass man bei vielen Seilziehern nicht sieht, was sie eigentlich
       ziehen. Aber auch das ist schon nachträgliche Analyse. Ich möchte niemand
       Denken oder Fühlen aufzwingen. Es gibt auch einen William-Loveday-Song,
       „The Rope Puller“.
       
       2010 haben Sie in Öl „Winter in Carwitz (Fallada)“ gemalt. Wie kam es dazu? 
       
       Das war, als wir auf Tour durch die USA reisten. Ich suchte etwas zu lesen,
       griff im Zufallsprinzip nach Büchern, las den ersten Satz und stellte sie
       wieder zurück. Ich mag Literatur nicht sonderlich, aber ich möchte es. Da
       bin ich auf Hans Falladas „Der Trinker“ gestoßen, stellte fest, das ist
       wirklich gut, habe mehr von ihm gelesen, war begeistert und besorgte mir
       dann ein Fotobuch, das ich sehr mochte. Es geht mir oft so, dass ich mich
       Dingen, die ich mag, regelrecht anschließen, mich mit ihnen identifizieren
       möchte. Das ist mein Antrieb. Ich finde Freunde in den Toten der
       Geschichte.
       
       Was tun Sie zur Kontemplation? 
       
       Ich trainiere mit Turnkeulen und meditiere, praktiziere etwas Yoga und
       studiere Vedanta.
       
       2013 haben Sie ein 70 Zentimeter großes Osterei bemalt, das „Razzle Dazzle
       Egg 13“. 
       
       Habe ich das? Moment, das war im Rahmen einer Benefizveranstaltung, das ist
       für mich der einzige Grund, ein Osterei zu bemalen. Dabei weiß ich nicht
       immer, warum ich male. Es kommt vor, dass ich den Winter im Frühling und
       den Frühling im Winter male, und manchmal kann ich mich nicht entscheiden.
       Ich habe den Christus und das Kreuz nach Rubens gemalt. Ich bin ein großer
       Verehrer des wahren Christus, nicht des kirchlichen, aber des
       ursprünglichen Christus als historische Figur, den finde ich inspirierend
       und faszinierend. Religiös bin ich nicht.
       
       Wie sieht es mit Spiritualität aus? 
       
       Schon eher. Was ich nicht mag, sind Gruppenzwang und Götzendienst, sei es
       an Religion, Popstars oder politischen Standpunkten. Totalitarismus in
       jeglicher Form lehne ich ab.
       
       8 Apr 2023
       
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