# taz.de -- Die Wahrheit: Vertauschte Geschlechtswerkzeuge
       
       > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (167): Bei den Insekten
       > Neotrogla haben die Weibchen einen Penis und die Männchen eine Vagina.
       
 (IMG) Bild: So einfach wie bei Bienen und Blumen ist es nicht immer
       
       Die Neotrogla befinden sich queer zur üblichen Geschlechterordnung: Bei
       ihnen haben die Weibchen einen Penis und die Männchen eine Vagina. Es
       handelt sich bei diesen kleinen Tieren um ein brasilianisches Insekt, das
       in Höhlen lebt. Seine japanischen Entdecker, ein Team des Biologen Akira
       Yoshizawa von der Keio Universität, waren erstaunt und haben genau
       hingeschaut, wie die Neotrogla denn mit ihren vertauschten
       Geschlechtswerkzeugen klar kommen, wobei sie das „penisartige Organ“ als
       Gynosom bezeichnen und von einer „Art Vagina“ sprechen.
       
       Auf scinexx.de heißt es: „Bei der Paarung sitzen die Weibchen huckepack auf
       den Männchen und führen ihnen dabei ihre Gynosomen in deren vaginaartige
       Körperöffnung ein. Einmal drin, schwillt eine Membran des Gynosoms an und
       verankert das penisartige Geschlechtsorgan in der Körperöffnung des
       Männchens. ‚Zwar ist ein Rollentausch der Geschlechter schon bei einigen
       Tieren bekannt, Neotrogla ist aber das einzige Beispiel, bei dem auch das
       Organ dafür vertauscht ist‘, sagt Yoshizawa“, dessen Bericht den Titel
       „Female Penis, Male Vagina, and Their Correlated Evolution in a Cave
       Insect“ hat.
       
       Beim Geschlechtsakt kommen die Verpaarten schlecht wieder auseinander: „Bei
       Versuchen, die beiden Tiere zu trennen, rissen die Forscher eher den
       Unterleib der Männchen ab, als dass das Gynosom aus seiner Verankerung
       rutschte. Kein Wunder, dass die Paarung bei den Höhleninsekten bis zu 70
       Stunden dauert – sie können sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht
       trennen.“
       
       Trotz vertauschter Geschlechtsorgane konnten diese „Höhleninsekten“ sich
       dann doch nicht so weit evolutionär durchringen, dass sie wie etwa die
       Seepferdchen auch die befruchteten Eier von den Männchen „ausbrüten“
       lassen, in der Hinsicht sind sie „menschlich“ geblieben: „Das Weibchen
       nimmt die Spermien des Männchens mit seinem Gynosom auf – es saugt sie mit
       ihrem penisartigen Anhängsel auf.“ Es ist also eine Art umgedrehtes
       Abspritzen. „Aber nicht nur das“, meint scinexx.de: Die Forscher haben
       Hinweise darauf gefunden, dass die Männchen mit ihrem Samen „auch
       nährstoffhaltige Substanzen an das Weibchen abgeben“.
       
       ## Sperma im Spätkapitalismus
       
       An dieser Stelle ging mit den japanischen Forschern das
       zuspätkapitalistische „Start-up“-Denken durch, denn sie vermuteten: „Im
       kargen Lebensraum dieser Insekten könnte das Männchen seine Nachkommen auf
       diese Weise mit Startkapital versorgen.“ Mit „Venture Capital“ oder
       „Alimentenzahlung im voraus“? Ähnliches fällt auch dem
       US-Naturwissenschaftsjournalisten Matt Simon ein, wenn er in seinem Buch
       über die „verrücktesten Überlebensstrategien der Tierwelt“ („The Wasp That
       Brainwashed the Caterpillar“, 2016) schreibt, dass das Weibchen der
       Neotrogla mit seinem Penis neben dem Samen vom Männchen auch noch „eine Art
       nährstoffreiches Starter-Kit“ einsaugt. Unsere nobelausgepreiste
       Genetikerin Christiane Nüsslein-Volhard hat ein solches Denken auf den
       Punkt gebracht, indem sie kraft ihrer Wassersuppe meinte, dass „die Natur
       in gewisser Weise kapitalistisch funktioniert“.
       
       In Wirklichkeit ist genau das Gegenteil der Fall: „Der Kapitalismus gibt
       sich als Natur aus.“ Mit den Worten des Semiologen Roland Barthes: „Die
       Bourgeoisie verwandelt ihre historische Klassenkultur permanent in
       universelle Natur“ – in einen „Mythos“: Dieser „leugnet nicht die Dinge,
       seine Funktion besteht im Gegenteil darin, von ihnen zu sprechen. Er
       reinigt sie nur, er macht sie unschuldig, er gründet sie als Natur und
       Ewigkeit, er gibt ihnen eine Klarheit, die nicht die der Erklärung ist,
       sondern die der Feststellung.“
       
       Kein Wunder, dass die Reichen nach Unsterblichkeit lechzen, für
       lebensverlängernde Maßnahmen werden alljährlich Milliarden gespendet, in
       die Forschung „investiert“. Darauf hofft auch das Proletariat als Klasse:
       Nach der russischen Revolution nannten sich deren Unsterblichkeitssucher
       „Immortalisten“, 1922 veröffentlichten sie einen Aufruf in der
       Staatszeitung Iswestija: „Wir stellen fest, dass die Frage der
       Verwirklichung persönlicher Unsterblichkeit jetzt in vollem Umfang auf die
       Tagesordnung gehört.“
       
       Zurück zu diesem kleinen interessanten Insektenpaar, nennen wir sie Yui und
       Mei, zu Ehren der japanischen Erforscher ihres Geschlechtslebens: „Die
       penistragenden Weibchen haben sich in dieser Gattung zu ‚Jägerinnen‘
       entwickelt, während die Männchen einen auf rar machen“, schreibt der
       Journalist Matt Simon und endet cis-artig im christlich-amerikanischen
       Familialismus, denn „sich rar machen“ – das tun höchstens gewissenlose
       Männer, wenn sie eine Frau geschwängert haben, mit der sie nichts weiter zu
       tun haben wollen.
       
       Das Wissenschaftsmagazin Spektrum erklärt sich und uns das „sich rar
       machen“ allerdings als eine Art „fading away“ bei lebendigem Leibe, denn es
       titelte „Evolutionäre Neuerung: Weibliche Höhleninsekten pumpen Männchen
       leer.“ Dazu haben die weiblichen „Staubläuse“ laut Spektrum Penisse „mit
       Widerhaken“, mit denen sie sich in der Vagina der Männchen regelrecht
       „verankern“, wie auch Simon das nennt.
       
       ## Aufspießung des Partners
       
       Im Gegensatz zu ihm weiß der Spektrum-Redakteur Lars Fischer, der übrigens
       auch noch den Youtube-Kanal „Wir Werden Alle Sterben“ mitbetreut, warum sie
       ihren Penis verankern: „damit der Sex länger dauert“. Er bezeichnet das
       seltsamerweise als „bizarren Sex“. Dazu hat er ein Foto von zwei im
       „doggy-style“ kopulierende Neotrogla („Staubläuse“) abgedruckt, wobei hier
       jedoch das Weibchen von hinten aufsitzt. „Anschließend pumpt die rabiate
       Dame, wie eine internationale Arbeitsgruppe um Alexander Blanke von der
       Universität Köln in eLife berichtet, zwei bis drei Tage lang Sperma aus
       ihrem aufgespießten Partner ab. Unklar ist, ob die Erfahrung für die
       Männchen besonders erfreulich ist.“
       
       Zumal das Weibchen „in bis zu elf getrennten Spermakammern den Samen
       mehrerer Partner in recht großen Mengen speichern und später nach Belieben
       verwenden kann“. Den beteiligten Männchen ist später also unklar, ob sie
       sich nicht völlig umsonst „rar gemacht“ haben, denn ihr „egoistisches Gen“
       (R. Dawkins) wurde vielleicht in den Wind geschossen beziehungsweise
       gepumpt.
       
       Schlimmer noch, meinen die Kölner Forscher, denen die japanische Entdeckung
       in Zeiten der Genderdebatte anscheinend keine Ruhe gelassen hat: „Das so
       abgemolkene Sperma nutzen die Weibchen nicht nur für die Befruchtung,
       berichtet Blanke. Einige Weibchen hätten den Inhalt manch frisch gefüllter
       Spermienkammer sofort wieder verdaut. ‚Nahrung ist in der Höhle ein rares
       Gut, und die Weibchen haben hier offensichtlich eine Strategie entwickelt,
       die Kopulationsprodukte der Männchen als Nahrungsquelle zu nutzen‘, so der
       Zoologe.“
       
       Allgemein bekannt ist das auch beim menschlichen Oralsex, wenn die Frau den
       Samen schluckt und das als eine „Eiweißbombe“ bezeichnet.
       
       3 Apr 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Helmut Höge
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Sex
 (DIR) Tiere
 (DIR) Geschlechter
 (DIR) Biologie
 (DIR) Tiere
 (DIR) Giraffe
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Die Wahrheit
 (DIR) Die Wahrheit
 (DIR) Biologie
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die Wahrheit: Gemeinsam auf einen Haufen kacken
       
       Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (170): Erachten sie es für
       nötig, treten Faultiere durchaus in Aktion und begeben sich zu Boden.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Aufstand gegen die Menschen
       
       Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (169): Kooperation gab es
       schon immer unter Tieren, sie gilt aber gerade als Neuentdeckung.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Im Passgang nach Paris
       
       Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (168): Giraffen sind zwar
       kaum zu übersehen, bleiben aber dennoch rätselhaft.
       
 (DIR) Trotz trockenen Sommers: Feldhasenbestand hierzulande stabil
       
       Auf Deutschlands Wiesen und Feldern ist der Bestand von Feldhasen zuletzt
       stabil geblieben – auch wenn die Temperaturen gestiegen sind.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Halb Pflanze, halb Tier
       
       Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (166): Seegurken sehen
       meist aus wie Gurken und profitieren von der Vermüllung der Weltmeere.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Gift, Gestank und andere Waffen
       
       Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (165): Wanzen sind äußerst
       geschickt bei der Abwehr von Fressfeinden.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Da! Ja, da! Nein, da! Daahaaa …
       
       Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (164): Über Tiere, die
       unsere Hinweise mit dem Zeigefinger verstehen oder auch nicht.