# taz.de -- Überwachung und Lager
       
       > Mathias Bölingers Buch zeigt das dichte Netz von Lagern in Chinas Provinz
       > Xinjiang und dokumentiert mit Gefangenenberichten und Leaks das
       > Verbrechen an den Uiguren
       
 (IMG) Bild: Ein Lager in Chinas Westen mit modernster, totaler Überwachung
       
       Von Till Schmidt
       
       Was genau in den chinesischen „Umerziehungslagern“ passiert, spielte sich
       lange Zeit im Verborgenen ab. Inzwischen schildern jedoch immer mehr
       Geflohene den Terror, dem sie als Uiguren und Angehörige anderer ethnischer
       Minderheiten ausgesetzt sind. Mathias Bölinger, langjähriger
       China-Korrespondent und Sinologe, hat nun ein Buch veröffentlicht, das die
       flächendeckende Überwachungs- und Internierungsmaschinerie in Xinjiang
       genauer in den Blick nimmt.
       
       „Der Hightech-Gulag“ ist eine Überblicksdarstellung. Zunächst beschreibt
       Bölinger die politische Geschichte der Uiguren und anderer muslimischer
       Volksgruppen in China und der Region. Ein weiteres Thema ist die
       Ideengeschichte der chinesischen Ethnopolitik, die heute auf eine radikale
       Assimilation von Minderheiten zielt. In seinen historischen Einordnungen
       holt Bölinger mitunter sehr weit aus; sie decken fast die Hälfte des
       250-seitigen Buches ab.
       
       Dies geht auch zu Lasten einer stärker theoretischen Perspektive auf das
       mit modernster Technologie operierende Repressionssystem. Eine
       vergleichende Diskussion seiner Spezifika, wie es der titelgebende Verweis
       auf das sowjetische Lagersystem nahelegt, nimmt Bölinger nicht vor. Was
       „Der Hightech-Gulag“ auszeichnet, ist vor allem die Quellenauswahl. Sie
       umfasst detaillierte Zeugnisse von ehemaligen Gefangenen, eigene Recherchen
       vor Ort sowie Leaks aus dem Repressionsapparat.
       
       Bölinger betont, dass die chinesische Regierung auf internationalen Druck
       bislang durchaus reagierte. So wurden in Xinjgiang etwa die sichtbare
       Repression ein Stück weit abgebaut, PR-Offensiven gestartet und versucht,
       den Masseninternierungen einen legalen Anschein zu verleihen. Viele
       Regierungen hielten sich in ihrer Kritik an China auffällig zurück.
       Bölinger erklärt das vor allem mit den engen wirtschaftlichen
       Verflechtungen. Diese würden selbst von Regierungen priorisiert, die sich
       in anderen Fällen häufig als Schutzmacht der Muslime präsentieren, wie etwa
       Pakistan oder Saudi-Arabien.
       
       Auch die Bundesregierung unter Angela Merkel hatte den ökonomischen
       Beziehungen mit der Supermacht Vorrang eingeräumt. Bölinger setzt daher vor
       allem auf eine gezielte Sanktionspolitik durch die USA und auch die EU.
       
       Er macht mehrfach deutlich, dass dem chinesischen Staat sein öffentliches
       Image nicht egal ist und Druck von außen das brutale Vorgehen in Xinjiang
       zumindest abbremst. Die Chinapolitik der aktuellen, immerhin seit Ende 2021
       amtierenden Bundesregierung hat leider keinen Eingang in Bölingers Buch
       gefunden.
       
       „Der Hightech-Gulag“ bewegt sich zwischen einer klaren Analyse der
       Geschehnisse in Xinjiang und einer politischen Handlungsaufforderung.
       Dazwischen findet sich viel Ernüchterung angesichts des Fortdauerns des
       „Jahrhundertverbrechens“ – das, so legt Bölinger nahe, inmitten der
       multipolaren Weltordnung zu einer Fußnote der Geschichte zu werden droht.
       
       22 Apr 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Till Schmidt
       
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