# taz.de -- Querdenker in Berlins Kulturszene: Schwurbel sucht alternative Räume
       
       > Ob Kreuzberger Galerie Zeitzone oder Drugstore: Die Querdenken-Szene
       > versucht sich in linken Kulturräumen festzusetzen. Manchmal aber geht das
       > schief.
       
 (IMG) Bild: Hendrik Sodenkamp, Herausgeber des „Demokratischen Widerstands“ und ein Putin-Look-alike
       
       Angela Merkel und Hillary Clinton schweben im All und prosten sich mit
       Champagner zu, während hinter ihnen die Welt in Flammen steht; ein clownesk
       anmutender Karl Lauterbach sitzt jubelnd in einer Rauchwolke zwischen
       Gerippen mit Engelsflügeln; Jens Spahn liegt, beobachtet von seinem
       Lebensgefährten, in einer Badewanne mit dem Griff zum Koks – drei
       Bildcollagen der Künstlerin Jill Sandjaja, Name der Serie: „Die
       Verbrecher.“
       
       Dass ausgerechnet jene Politiker:innen im Fokus der anklagenden Bilder
       stehen, ist kein Zufall; sie alle sind Projektionsfläche und Hassobjekte
       der verschwörungsideologischen Szene, als vermeintliche Strippenzieher von
       Lügenkonstrukten, zu denen auch die Corona-Pandemie gerechnet wird.
       
       Sandjaja ist Teil dieses Milieus, nicht nur als Lebensgefährtin von
       [1][Hendrik Sodenkamp, der zusammen mit Anselm Lenz ein Pionier der
       Coronademos ist], sondern auch als gelegentliche Autorin, in deren
       gemeinsamer Zeitung [2][Demokratischer Widerstand], die aktuell eine
       Diskussion über die Todesstrafe für „Verantwortliche des Spritzenregimes“
       diskutiert. Schon 2020 fabulierte Sadjaja in dem Blatt: „Ich hätte nicht
       gedacht, dass mein Untergang als freier Mensch auf einer internationalen
       Verschwörung basiert.“
       
       Seitdem ist einiges passiert und Teile der in ihren öffentlichen Auftritten
       oft dilettantisch agierenden Szene haben sich professionalisiert. So auch
       Sandjaja, von der ein Video auf einer Demo existiert, in dem sie in ein
       Mikro von „Stern TV“ sagt: „Spiegel TV lügt“, auf Nachfrage jedoch keine
       Antwort darauf hat, wieso.
       
       ## Agentur für Querdenken-Künstler
       
       Im vergangenen Jahr hat Sandjaja das Kulturprojekt „Internationale Agentur
       für Freiheit“ (IAFF) gegründet. Diese versucht Künstler:innen
       verschiedener Disziplinen einzusammeln, ihnen eine Plattform zu verschaffen
       und damit im Kampf um die kulturelle Hegemonie der Querdenker:innen
       weiter Raum zu gewinnen. Statt vieler roter Ausrufezeichen und allzu
       martialischer Sprache, setzt man etwa auf der Website auf ein möglichst
       seriöses Erscheinungsbild.
       
       Mit der Galerie Zeitzone, einer Institution der Kreuzberger
       Kulturlandschaft, die mit verschiedenen Ausstellungen in der Vergangenheit
       auch [3][in die alternative Szene des Bezirks eingebunden ist], hatte
       Sandjaja bereits Räume für ihre Verbrecher-Ausstellung gefunden.
       
       Ab kommenden Freitag sollten die Bilder in der Adalbertstraße für zehn Tage
       zu sehen sein, begleitet durch ein umfangreiches Begleitprogramm, darunter
       der Eröffnungsrede eines Politikers der Querdenken-Partei Die Basis. In den
       Folgetagen sollten diverse Auftritte von Musiker:innen, die sich bislang
       insbesondere auf Coronademos verdingt haben, folgen, so etwa von Bettina
       Lube (Bettina aus Berlin), bekannt auch für ihre Verbindung mit dem
       Schweizer Rechtsextremen [4][Ignaz Bearth], der derzeit in Ungarn
       „Stützpunkte“ für Deutschsprachige aufbaut. Auch Hendrik Sodenkamp sollte
       einen Beitrag leisten.
       
       ## Ausstellung abgesagt
       
       Eine Anfrage der taz von Ende vergangener Woche an die Galerie, wie es zur
       Bereitstellung der Räumlichkeiten kam, blieb unbeantwortet. Stattdessen
       teilte der Telegram-Kanal der Agentur IAFF dann am Freitag mit: Ausstellung
       und Veranstaltungsreihe werden „nicht wie geplant in der Galerie ZeitZone
       stattfinden.“ Grund sei eine „medial gestartete Hetz- und
       Verleumdungskampagne“, in deren Zuge der Galeriebetreiber „massiv unter
       Druck“ geraten sei. Eine erneute Anfrage der taz vom Montag ließ dieser
       ebenfalls unbeantwortet.
       
       In der Vergangenheit war die Agentur für Freiheit dagegen schon
       erfolgreich. Im vergangenen September firmierte eine erste Ausstellung
       unter dem Titel Berlin Art Weekend, sprachlich und optisch angelehnt an die
       Institutionen des Berliner Kulturlebens Berlin Art Week und Galerie
       Weekend. In der Musikbrauerei in der Greifswalder Straße tummelten sich
       allerlei Querdenker:innen, auch durfte im Rahmenprogramm der
       Corona-Dauerdemonstrant [5][Captain Future] auflegen. Im April war man dann
       drei Tage lang mit einer Ausstellung im Kunstraum Reuter in Neukölln zu
       Gast.
       
       Sandjaja ist nicht die einzige Querdenkerin, die versucht, sich in Berlins
       alternativer Szene breitzumachen. So teilte das linke Jugendzentrum
       [6][Drugstore], das derzeit im Rockhaus Lichtenberg untergekommen ist, am
       Freitag mit, die „extrem rechte Youtuberin und radikale Querdenkerin Lydia
       Dykier“ entlarvt zu haben. Seit Dezember habe diese zusammen mit Dominik
       Lenz, ebenfalls Aktivist der Coronademos, unter falschem Namen ein
       Theaterprojekt in den Räumen des Drugstore aufgebaut und dabei ihre wahre
       Identität und Gesinnung „gegenüber dem Kollektiv verschleiert“.
       
       Gegen Dykier begann am Montag ein Prozess vor dem Amtsgericht Tiergarten,
       weil sie auf einer „Hygienedemo“ im Mai 2020 zu
       Gegendemonstrant:innen „Heil Hitler“ gesagt und in einem Video dazu
       aufgerufen haben soll, die Volksbühne anzuzünden. Im vergangenen Jahr soll
       Dykier, dem Drugstore zufolge, zudem versucht haben, die selbstverwalteten
       linken Räumlichkeiten „Zwille“ an der Technischen Universität zu
       unterwandern. Nach ihrem Outing habe sie den Raum „mit NS-Symboliken wie
       SS-Runen verwüstet“.
       
       ## Neuer Ort gesucht
       
       Sicher ist: Auch mit den jüngsten Absagen wird die Szene nicht aufhören,
       Orte, gerade auch im Alternativmilieu zu suchen, die sie besetzen kann.
       Zurückzuführen ist das auf das linke Selbstverständnis einiger
       Protagonist:innen der Querdenker-Szene, die eine entsprechende
       Vergangenheit in linken Kontexten haben. Trotz offensichtlicher Hinwendung
       zu rechten oder antisemitischen Theorien, Querfront-Bestrebungen und Hass
       auf die etablierte Linke oder „die Antifa“, nehmen einige weiterhin für
       sich in Anspruch, die wahren Antifaschisten zu sein.
       
       Auch das IAFF betont sein Engagement für das Ziel, ein „inklusives,
       demokratisches und gleichberechtigtes Miteinander“ zu schaffen „sowie
       unterschiedliche Kulturen (zu) fördern und einen internationalen Austausch
       (zu) ermöglichen“. Für die Verbrecher-Ausstellung suche man, so heißt es
       bei Telegram, nun nach neuen Räumlichkeiten.
       
       8 May 2023
       
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