# taz.de -- Jugendliche ohne Ausbildungsplatz: 12 Monate nachsitzen
       
       > CDU-Bildungssenatorin Günther-Wünsch will ein 11. Pflichtschuljahr
       > einführen. Es soll Jugendliche nach der 10. Klasse beruflich orientieren.
       
 (IMG) Bild: Wer keinen Ausbildungsplatz hat, muss bald ein Jahr länger die Schulbank drücken (Symbolbild)
       
       BERLIN taz | Die Pläne der schwarz-roten Koalition, in Berlin ein elftes
       Pflichtschuljahr für Schulabgänger ohne Ausbildungsplatz einführen, werden
       konkreter: In die Pflicht nehmen will die CDU-Bildungssenatorin Katharina
       Günther-Wünsch damit vor allem die rund 3.000 Jugendlichen, die jährlich
       das zehnte Schuljahr beenden, ohne weitere Schulabschlüsse anzustreben oder
       einen Ausbildungsplatz in Aussicht zu haben, wie es aus der
       Senatsverwaltung auf taz-Anfrage heißt. Angesiedelt sein soll das Schuljahr
       ab dem Jahr 2024/25 an Berlins 46 Berufsschulen. Nach der Auffassung von
       Günther-Wünsch soll es vor allem der gezielten Vorbereitung auf Berufe
       dienen.
       
       Ein festes Konzept gibt es dafür allerdings noch nicht. Der Vorsitzende des
       Berufsschulleitungsverbands [1][Ronald Rahmig sagte dem rbb], dass er auch
       Sekundarschulen in der Verantwortung sehe und man sich nicht allein auf
       Berufsorientierung fokussieren könne, sondern auch Grundkenntnisse in
       Deutsch, Mathe und Englisch im Blick haben müsse. Ebenso mahnten
       Berufsschulleiter sozialpädagogisch und psychologisch geschultes Personal
       an – zumal es in dieser Gruppe häufig Schüler*innen mit häuslichen oder
       gesundheitlichen Problemen gebe.
       
       Personalmangel könnte tatsächlich ein großes Problem werden: Mit dieser
       Begründung hatte der schwarz-rote Senat zuletzt beim Streik Anfang Juni
       auch die Forderungen der Bildungsgewerkschaft GEW nach kleineren Klassen
       weggewischt. Die [2][GEW hat weitere Streiks angekündigt], falls der Senat
       nicht über die Forderungen verhandeln wolle. Fast 1.500 Lehrkräfte fehlen
       in Berlin trotz der wiedereingeführten Verbeamtung. Günther-Wünsch sprach
       davon, mit „starken Partnern aus der Wirtschaft“ zusammenarbeiten zu
       wollen. Sie wolle auf Quereinsteiger*innen setzen und
       Ein-Fach-Lehrkräfte zusätzlich qualifizieren.
       
       Die Grünen-Abgeordnete Klara Schedlich, zuständig für berufliche Bildung,
       kritisierte, dass dem Vorhaben ein konkreter Plan fehle. Das Ergebnis dürfe
       nicht sein, „dass die Jugendlichen einfach ein elftes Schuljahr im
       Klassenraum herumsäßen, wenn ihnen schon die zehn Jahre davor nichts
       gebracht haben“, so Schedlich zur taz.
       
       ## „Schule ist ein starres System“
       
       Den Ansatz, niemanden verlieren zu wollen, halte Schedlich für richtig,
       aber sie störe sich am Begriff „elftes Pflichtschuljahr“. Wenn das Jahr
       wirklich der beruflichen Orientierung dienen soll, müsse es einen bunten
       Strauß an außerschulischen Angeboten in einem „Perspektivenjahr“ geben. Als
       Beispiele nannte sie eine an Betriebe angeschlossene [3][integrierte
       Berufsvorbereitung] oder freiwillige soziale und ökologische Jahre.
       
       Ebenso könne man die Jugendberufsagenturen personell stärken. Schedlich
       schlug zudem vor, dass sich Schulen, Jugendberufsagenturen und die
       Jugendlichen selbst am Konzept beteiligen sollten. Die Abgeordnete mahnte
       ein grundsätzliches Umdenken an den Schulen an, weil dort zu wenig
       berufliche Orientierung stattfinde. „Schulen bereiten nicht immer aufs
       Leben vor, sondern sind ein starres System, das seit 100 Jahren fast
       unverändert ist.“.
       
       Sevim Aydin, SPD-Sprecherin für berufliche Bildung im Abgeordnetenhaus,
       plädiert dafür, über das elfte Pflichtschuljahr hinaus ein Datensystem
       einzuführen, in dem man Berufswünsche der Schüler*innen aufnehme und
       ihnen dabei helfen könne, diese zu verfolgen. Aydin sagte: „Wir brauchen
       die Fachkräfte und haben Menschen, die aus vielfältigen Ursachen nicht in
       eine Ausbildung kommen.“
       
       22 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2023/06/berlin-bildung-schule-elftes-schuljahr-pflicht-jugendliche-ohne-job-ausbildung.html
 (DIR) [2] https://www.gew-berlin.de/presse/detailseite/abgeordnetenhaus-beraet-ueber-aufnahme-von-verhandlungen-zu-tarifvertrag-gesundheitsschutz
 (DIR) [3] https://www.berlin.de/sen/bildung/schule-und-beruf/berufliche-bildung/integrierte-berufsausbildungsvorbereitung/
       
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 (DIR) Gareth Joswig
       
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