# taz.de -- Ein Mann geht seinen Weg: Der streitbare Herr Marseille
       
       > Der Hamburger Unternehmer, der mit Pflegeheimen groß geworden ist,
       > handelt nach dem Motto: Viel Feind, viel Ehr. Ärger geht er selten aus
       > dem Weg.
       
 (IMG) Bild: Ulrich Marseille ist ein Unternehmer ohne Furcht
       
       Viel Persönliches ist über den Hamburger Unternehmer Ulrich Marseille nicht
       bekannt. Er taucht in der Klatschpresse auf, wenn es aus dem Cockpit seines
       Privatflugzeuges qualmt, man liest über Streitereien mit [1][Mitarbeitern]
       und [2][Aktionären], aber viel über den Menschen ist dabei nicht zu
       erfahren.
       
       Auch Fotos gibt es nur wenige. Einige ältere zeigen ihn zusammen mit dem
       Hamburger Law- and-Order-Politiker Ronald Barnabas Schill, für dessen
       Partei „Rechtsstaatliche Offensive“ Marseille bei den Landtagswahlen in
       Sachsen-Anhalt antrat. Das war im Jahr 2002, und aus dem damaligen
       Wahlkampf datiert [3][eines der wenigen Videos], die Ulrich Marseille,
       damals 46, in Aktion zeigen.
       
       Menschen sitzen an Tischen in einem Saal, Sektgläser werden angestoßen,
       Marseille, in grauem Anzug, überragt die anderen um einen Kopf und redet
       von seinen Vorbildern: den „großen Unternehmern Siemens und Krupp“, die für
       ihre Arbeiter viel getan hätten. „Warum sollte man ein Land wie
       Sachsen-Anhalt nicht führen wie einen Betrieb?“, fragt Marseille und schaut
       leutselig in die Kamera.
       
       Ein anderes Bild zeigt Gerichtsakten aus einem Verfahren, das sich in den
       Folgejahren abspielte. Marseille hatte schon vor seinem Wahlabenteuer
       mehrere tausend Plattenbauwohnungen in Halle (Saale) gekauft, darüber war
       ein Streit um Geldforderungen entbrannt. Marseille soll versucht haben,
       einen Zeugen durch fingierte Drohungen mit der Russenmafia zum Schweigen zu
       bringen, was ihm ein weiteres Verfahren wegen Nötigung einbrachte.
       
       ## Schmährufe im Gerichtssaal
       
       Das Verhalten Marseilles im Gerichtssaal, so steht es in den Akten, sei
       auffällig gewesen. Offenbar sei ihm egal, was für einen Eindruck er mache.
       Der Unternehmer habe „ausfällig gegen das Gericht, die Staatsanwaltschaft
       und Zeugen agiert“, Schmährufe vorgetragen, Zeugen der Lüge bezichtigt, sie
       ausgelacht und die „Scheibenwischer“-Geste angedeutet, was zahlreiche
       Ordnungsrufe zur Folge hatte.
       
       Anscheinend sah sich Marseille damals als Opfer einer Intrige. Er soll
       geäußert haben, hinter dem Verfahren stecke die Landesregierung, die seine
       Chance zerstören wollte, nach einem Wahlerfolg Ministerpräsident oder
       „Superminister“ zu werden. Die Schill-Partei war in Sachsen-Anhalt an der
       Fünfprozenthürde gescheitert.
       
       Ulrich Marseille, 1955 in Bremerhaven als Ulrich Hansel geboren, wuchs nach
       dem Tod seiner Eltern bei der befreundeten Unternehmerfamilie Marseille
       auf. Mit der Marseille-Kliniken AG (heute: MK Kliniken AG) stieg er in den
       1980er Jahren in das Geschäft mit Pflegeheimen ein, von dem er sich zuletzt
       allerdings Schritt für Schritt verabschiedet hat: Er habe keine Lust mehr,
       sich „im harten Tagesgeschäft zu bewegen“, sagte er 2017 der
       [4][Süddeutschen Zeitung].
       
       In Potsdam, wo eine Tochterfirma von Marseilles MK Kliniken AG die
       Josephinen-Wohnanlage für alte Menschen betrieb, wurde den über 100
       Bewohner*innen zu Weihnachten 2021 [5][gekündigt]. Der frei gewordene
       Wohnraum sollte zuerst [6][lukrativ an Student*innen vermietet] werden,
       dann wurden [7][Airbnb-Wohnungen] daraus.
       
       Auch an [8][ukrainische Kriegsflüchtlinge] sollen die Wohnungen vermieten
       werden. Marseilles Tochterfirma hatte in Potsdam eigens [9][Anzeigen
       geschaltet]: „Bitte, lasst uns nicht im Stich!“ steht groß unter dem Foto
       einer Flüchtlingsfrau mit Kind. Ulrich Marseille ist eben ein Unternehmer
       mit Herz.
       
       14 May 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.wiwo.de/unternehmen/dienstleister/enthuellungen-die-eigenartigen-geschaefte-der-marseille-kliniken-/7788154.html
 (DIR) [2] https://www.zeit.de/thema/ulrich-marseille
 (DIR) [3] https://www.faz.net/video/spitzenkandidat-ulrich-marseille-umstrittener-macher-11103616.html
 (DIR) [4] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/klinik-imperium-marseille-verkauft-sein-lebenswerk-1.3680508
 (DIR) [5] https://www.tagesspiegel.de/potsdam/landeshauptstadt/100-mietern-in-potsdamer-seniorenheim-gekundigt-7984042.html
 (DIR) [6] https://www.tagesspiegel.de/potsdam/landeshauptstadt/seniorenanlage-in-der-burgstrasse-soll-studentenheim-werden-7988791.html
 (DIR) [7] https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2022/08/potsdam-josephinen-anlage-senioren-airbnb-ferienunterkunft.html
 (DIR) [8] https://www.maz-online.de/lokales/potsdam/potsdam-erstmals-gespraeche-ueber-ukraine-gefluechtete-in-senioren-wohnanlage-burgstrasse-NUCUQ2PV6WAEB36VWLSCLON53M.html
 (DIR) [9] https://www.tagesspiegel.de/potsdam/landeshauptstadt/streit-um-potsdamer-josephinen-wohnanlage-betreiber-greifen-stadt-mit-werbekampagne-an-9382922.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Wiese
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Stadtland
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Alten- und Pflegeheime
 (DIR) Ronald Schill
 (DIR) Sachsen-Anhalt
 (DIR) Denkmalschutz
 (DIR) Eisenhüttenstadt
 (DIR) Schwerpunkt Stadtland
 (DIR) Pflegekräftemangel
 (DIR) Pflegekräftemangel
 (DIR) Schwerpunkt Pressefreiheit
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Hotel Lunik in Eisenhüttenstadt: Wie der Palast der Republik
       
       In der DDR war das Hotel Lunik ein beliebter Treffpunkt. Der Unternehmer
       Marseille erwarb das denkmalgeschützte Gebäude und lässt es verfallen.
       
 (DIR) Leerstehendes Traditionskino: Verfallende Pracht
       
       In Oldenburg sorgt eine Immobilie des Unternehmers Ulrich Marseille für
       Probleme. Das denkmalgeschützte Wall-Kino wird seit Jahren nicht mehr
       genutzt.
       
 (DIR) Pushback gegen alte Deutsche: MacDeath statt Pflege
       
       Wer genügend Geld hatte, wähnte sich früher im Alter auf der sicheren
       Seite. Doch 2044 kommt die 24-Stundenhilfe nur noch 24 Stunden im Jahr.
       
 (DIR) Qualität von Pflegeheimen: Mangelhafte Informationen
       
       Eine Studie sieht Mängel bei den Infos zur Qualität von Pflegeheimen. Unter
       den Bundesländern gibt es große Unterschiede, was die Transparenz betrifft.
       
 (DIR) Bericht über Jugendverfehlung zulässig: Pressefreiheit überwiegt
       
       Ein Unternehmer wollte verhindern, dass ein Magazin über seinen
       Uni-Täuschungsversuch berichtet – zu Unrecht, entschied das
       Verfassungsgericht.