# taz.de -- Protest gegen Straße durch die Wuhlheide: Auf Bäumen gegen Autos
       
       > In der Wuhlheide wollen Aktivist*innen die Tangentiale Verbindung Ost
       > (TVO) verhindern. Unterstützung kommt aus Politik und Zivilgesellschaft.
       
 (IMG) Bild: Sitzen nicht im gemachten Nest, sondern klettern auf Kiefern: UmweltschützerInnen in der Wuhlheide
       
       BERLIN taz | „Herzlich willkommen in der Wuhli“ steht auf einem großen
       Banner am Eingang zum Protestcamp der Besetzer*innen der Wuhlheide in
       Köpenick. Davor herrscht am Montagmittag reger Autoverkehr, der Weg in den
       Wald über die Rudolf-Rühl-Allee ist angesichts fehlender
       Fußgänger*innenwege nicht ungefährlich.
       
       Weniger Autos, darum geht es auch den Aktivist*innen, [1][die das Waldstück
       seit Freitagnacht besetzt halten]. Auf Trampelpfaden, vorbei an
       provisorischen Barrikaden aus Ästen und einem ausgehobenen Graben, gelangt
       man tiefer in den Wald. Hier hängen in mehreren Metern Höhe ein Baumhaus
       und vier mit Planen überspannte Plattformen, eine weitere befindet sich
       gerade in Bau. Darunter sitzen gut zwei Dutzend Menschen im Kreis und
       machen Plenum, andere entspannen gemütlich in Hängematten. An einem Baum
       hängt ein schwarzes Brett mit benötigtem Material: Schrauben, Holz, Sägen,
       und was man noch so braucht, um ein Baumhaus zu bauen.
       
       Denn die Umweltschützer*innen haben nicht vor, so schnell wieder zu
       gehen. „Wir bleiben so lange hier, wie wir können“, sagt Aktivist*in Sol
       bei der kurzfristig anberaumten Pressekonferenz. Oder bis sie ihr Ziel
       erreicht haben: die Verhinderung der geplanten Schnellstraße Tangentiale
       Verbindung Ost (TVO). Dem seit Jahrzehnten geplanten Mammutprojekt zwischen
       Biesdorf im Norden und der Spindlersfelder Brücke in Köpenick sollen
       nämlich rund 15 Hektar Wald zum Opfer fallen, ein Drittel davon wertvoller
       Eichenwald.
       
       Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) stellte am Montag klar,
       dass er den Bau der TVO aus mehreren Gründen ablehnt. Zum einen müsste die
       „Hochleistungsstraße“ im Gegensatz etwa zur A100 größtenteils aus
       Landesmitteln finanziert werden, so Geschäftsführer Tilmann Heuser. Bei den
       aktuell geschätzten 351 Millionen Euro werde es erfahrungsgemäß nicht
       bleiben.
       
       „Dieses Geld muss angesichts der Klimakrise in Maßnahmen für den
       klimaneutralen Umbau Berlins fließen.“ Zudem gefährde der Bau ganz konkret
       Flora und Fauna, gerade in der Wuhlheide. Dirk Schäuble, Fachreferent für
       Artenschutz beim BUND, warnte davor, dass „Lebensräume zerstört und
       Wanderungsmöglichkeiten von Tieren eingeschränkt“ würden. Das könne neben
       Hase, Fuchs und Reh auch besonders geschützte Arten betreffen, wie den
       Eremit-Käfer oder den Schwarzspecht.
       
       ## Weniger Eichen sollen weichen
       
       Der letzte öffentlich gemachte Planungsstand der Senatsverkehrsverwaltung
       beziffert die Fläche, die für das Projekt gerodet werden müsste, mit 14,6
       Hektar – wovon 4,2 Hektar zur Wuhlheide gehören. Allerdings werde nach der
       Eröffnung der TVO auch die ein Stück weiter östlich parallel durch das
       Waldgebiet verlaufende Rudolf-Rühl-Allee zurückgebaut, wodurch eine größere
       unzerschnittene Fläche entstehe. Auch betonte die Verkehrsverwaltung, sie
       habe die geplante Straßentrasse so verschwenkt, dass viele der Eichen
       stehenbleiben könnten und stattdessen weniger ökologisch wertvolle Kiefern
       gefällt würden.
       
       Ein Problemfall ist die TVO seit langem. Was zumindest nach einer technisch
       simplen Maßnahme klingt – eine 6,5 Kilometer lange vierspurige Stadtstraße
       entlang einer bestehenden Fernbahnstrecke zu bauen –, kommt seit
       Jahrzehnten nicht wirklich voran und wurde Jahr für Jahr teurer. Schon zu
       DDR-Zeiten sollte die Nord-Süd-Verbindung als Forstsetzung der Märkischen
       Allee im Norden und der Spindlersfelder Straße im Süden gebaut werden. Nach
       der Wende geschah lange nichts, dann wurde 2014 der Bedarf neu
       festgestellt. Die Vorplanungen unter Beteiligung der Anwohnenden ziehen
       sich seit 2018 in die Länge.
       
       Während die Parteien rechts der Mitte ebenso wie Unternehmerverbände immer
       wieder laut für das Projekt trommelten, waren die Grünen in der Koalition
       mit SPD und Linken ein klar bremsender Faktor – auch wenn grüne Abgeordnete
       und Kreisverbände aus dem Osten der Stadt immer für die Entlastung vieler
       Wohnviertel durch die TVO warben. Unter der im Februar verfrüht
       abgebrochenen rot-grün-roten Ägide war aber klar: Die Tangentialverbindung
       kommt – als Doppelpack mit einer S- und Regionalbahntrasse.
       
       Die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Antje Kapek, sagte
       der taz am Montag, ihre Partei habe der Straßenverbindung immer kritisch
       gegenübergestanden. Auf der anderen Seite habe man erkannt, dass es im
       Osten der Stadt ein starkes Bedürfnis nach einer funktionierenden
       Nord-Süd-Verbindung gebe. „Darum haben wir gesagt: Die TVO funktioniert nur
       in Verbindung mit der Nahverkehrstangente.“ Auch die ehemalige
       Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch habe diesen Kombination mit der
       Bahnstrecke als absolutes Muss vertreten.
       
       Nun hat Schwarz-Rot das Bekenntnis zur Nahverkehrstangente aus dem
       Koalitionsvertrag gestrichen. „Damit ist unsere Hauptbedingung nicht
       erfüllt“, so Kapek. Sie befürchtet, dass die „Betonlobby“ nun eine Planung
       durchsetze, die eine Realisierung der zusätzlichen Schienenstrecke auf
       Dauer unmöglich mache. „Das ist eine reale Gefahr“, so die Abgeordnete,
       „deshalb verstehe ich, wenn Leute jetzt zutiefst beunruhigt sind.“ Sie
       selbst will die Protestierenden in der Wuhlheide in Kürze aufsuchen.
       
       Ob die Nahverkehrstangente tatsächlich stillschweigend beerdigt wurde, wie
       die Grünen glauben, ist allerdings unklar. Offiziell gibt es keine
       derartige Aussage der neuen Senatsverwaltung unter Manja Schreiner (CDU),
       nur das Fehlen einer Aussage im Koalitionsvereinbarung deutet darauf hin.
       Gleichzeitig beantwortet der verkehrspolitische Sprecher der SPD, Tino
       Schopf, die Frage der taz, ob seine Fraktion noch auf der
       Nahverkehrsverbindung bestehe, knapp, aber eindeutig: „Selbstverständlich
       wollen wir auch die Schienen-TVO realisieren.“
       
       Für die Umweltaktivist*innen sind die Pläne auch mit Schienen-TVO aus
       der Zeit gefallen. Angesichts der Klimakrise sehen sie sich dazu
       verpflichtet, das Straßenprojekt aufzuhalten und den Wald zu schützen.
       „Noch ist das möglich, das Planfeststellungsverfahren ist noch nicht
       abgeschlossen“, sagt einer der Besetzer, der sich Kiefer nennt. Bereits vor
       zwei Jahren [2][gab es einen Besetzungsversuch], der sei aber wegen
       geringer Beteiligung schnell geräumt worden. Dieses mal hoffen sie, dass es
       anders läuft: Für den späten Nachmittag haben sich der Förster und ein*e
       Vertreter*in der Senatsverwaltung für Verkehr, Klimaschutz und Umwelt
       angekündigt.
       
       ## Entlastung? „Nur kurzfristig“
       
       Auch mit den Nachbar*innen habe man schon gesprochen, sagt Kiefer. „Uns
       ist bewusst, dass die Menschen hier unter dem Verkehr leiden“, sagt er.
       „Ihnen werden jedoch falsche Versprechen gemacht.“ Denn die Schnellstraße
       würde, wenn überhaupt, nur kurzfristig eine Entlastung mit sich bringen, so
       der Umweltingenieur. Studien würden zeigen, dass neue Straßen auf lange
       Sicht immer mehr Verkehrsaufkommen mit sich bringen.
       
       Die einzige Lösung sehen die Aktivist*innen daher neben dem Ausbau des
       öffentlichen Nahverkehrs in einer Reduzierung des Individualverkehrs. Das
       sieht auch der Linke-Abgeordnete Ferat Kocak so, der, ebenso wie andere
       Abgeordnete von Grünen und Linkspartei, als parlamentarischer Beobachter
       vor Ort ist: „Es ist klar, dass es eine Entlastung für die Menschen vor Ort
       braucht, dazu müssen wir den Autoverkehr reduzieren.“
       
       Kocak hofft, dass sich in den kommenden Tagen noch mehr Menschen dem
       Protest anschließen und das Baumhausdorf immer größer wird. „Lützi lebt in
       der Wuhlheide“, sagt er mit Blick auf die Proteste gegen die Zerstörung des
       rheinischen Dorfes Lützerath für den Kohleabbau, das über den Winter zum
       Symbol der Klimabewegung wurde.
       
       Ob es dazu kommt, hängt auch von der Polizei ab. Die will erst einmal
       prüfen, ob polizeiliche Maßnahmen nötig sind, so eine Sprecherin zur taz.
       Bislang sei die Lage ruhig. Die Besetzer*innen wollen den Förster nun
       im persönlichen Gespräch überzeugen, keine Räumung zu beantragen. Trotzdem
       befürchten sie, dass eine Räumung bereits am Dienstag in den frühen
       Morgenstunden beginnen könnte. Sollte es dazu kommen, wollen sie auf jeden
       Fall Widerstand leisten – und wiederkommen. „Das ist der Wald meiner
       Kindheit. Er darf nicht zerstört werden“, sagt Besetzer*in Ricky.
       
       15 May 2023
       
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