# taz.de -- Die Wahrheit: Im Klub der Kotzbrocken
       
       > Wie viel Wahrheit enthält die soeben erschienene Autobiografie des
       > ehemaligen „Bild“-Chefredakteurs Kai Diekmann? (Teil 2 und Ende).
       
 (IMG) Bild: Historisches Penisometer zum historischen Penisprozess
       
       Ein ganzes Kapitel widmet der einstige Bild-Impresario in „Ich war Bild“
       der taz unter dem Titel: „Genosse Diekmann.“ Auf Einladung der
       taz-Chefredaktion durfte er am 26. September 2003 für einen Tag die taz
       „feindlich“ übernehmen. Diekmann rückte mit einigen Halb- und
       Dreiviertel-Prominenten an, um die „Feindes-taz“ zu einem seiner größten
       Erfolge zu machen, wie er nicht müde wird zu wiederholen.
       Selbstverständlich verschweigt er dabei all die Kuriositäten, die der
       Wahrheit-Redakteur als Co-Chef der „Feindes-taz“ an diesem Tag persönlich
       erlebte.
       
       Diekmann gab, wie zu erwarten, bei der Produktion den Zampano und warf
       beispielsweise immer wieder eines seiner Handys quer durch den Raum den
       mitgebrachten Bild-Lakaien zu, die dann für ihn die Nummer von Angela
       Merkel oder Oskar Lafontaine wählen mussten, um einen Text zu bestellen. Er
       würde sie alle kriegen, prahlte er. Merkel aber nahm den Anruf gar nicht
       erst entgegen, und Lafontaine lieferte zwar einen Kommentar, aber erst,
       nachdem ihm die verlangten 5.000 Euro zugesagt wurden. Eine halbe Stunde
       später kam ein belangsloses Gewäsch auf 80 Zeilen. Hauptsache, sein Name
       war im Blatt.
       
       „Die ‚Feindes-taz‘ ist ein Riesenerfolg“, jubelt Diekmann in seinem Buch,
       „schon am Mittag des nächsten Tages ist die komplette Auflage ausverkauft,
       wir müssen nachdrucken.“ Gefüllt wurde die Ausgabe mit jeder Menge
       konservativem Stuss, bei dem allein die Prominenz der Verfasser zählte.
       
       Ein Erfolg des Geldbeutels, auf den Diekmann immer wieder setzte, selbst
       als er später taz-Genosse wurde, was sich im Buch so liest, als ob er die
       ach so ärmliche Genossenschaft quasi im Alleingang in eine blühende Zukunft
       führen wollte, wozu ihm jedoch nicht die Gelegenheit gegeben wurde. Es ist
       dieser Tonfall von oben herab, der Lesern nach einer Weile schwer auf die
       Eier und Eierstöcke geht.
       
       Für ihn selbst war es eine gute Zeit damals, nostalgiert er. Er ließ sich
       gern im alten taz-Café nieder und schoss Selfies, während im Hof des
       früheren taz-Gebäudes in der Berliner Rudi-Dutschke-Straße Touristen
       standen, die das Wandkunstwerk des Bildhauers Peter Lenk knipsten: „Friede
       sei mit Dir“.
       
       Eine Anspielung auf die Verlegerin Friede Springer, zu deren Konterfei sich
       ein gigantischer lachsfarbener Penis hinaufschlängelt, weshalb das Werk
       auch „Der Pimmel über Berlin“ genannt wird und in Reiseführern als Berliner
       Sehenswürdigkeit verzeichnet ist. „Zu Besuch bei meiner Penis-Skulptur. Wer
       hat das schon, ein Denkmal zu Lebzeiten, mitten im Herzen von Berlin?“, ist
       Diekmann ernsthaft begeistert.
       
       Alles war Friede Springer, Freude, Eierkuchen. Zumindest für ihn, der trotz
       aller pädagogischen Maßnahmen der Wahrheit ungerührt weitermachte. Doch
       dann erschien die „Kotzbrocken“-Geschichte. „Kürzlich erst haben sie mich
       neben Adolf Hitler zu einem der fünf größten ‚Kotzbrocken, Unsympathen und
       Ekelpakete Deutschlands‘ gekürt“, murrt Diekmann im Buch.
       
       Die Passage wird illustriert mit einem Faksimile der Wahrheit-Seite vom 4.
       Februar 2011. Die Schlagzeile lautet: „Willkommen im Klub der
       Kotzbrocken“. Zu sehen sind nebeneinander fünf Fotos, darauf von links nach
       rechts Florian Silbereisen, Guido Westerwelle, Kai Diekmann, Dieter Bohlen
       und Adolf Hitler. Vom Führer geblendet, übersieht Diekmann das sechste Bild
       auf der Seite. Das die eigentliche Hauptperson zeigt.
       
       ## Ein weißer Elefant musste her
       
       Die Kotzbrocken-Seite hat nämlich eine spezielle Vorgeschichte: Im Jahr
       2006 musste der Wahrheit-Kolumnist Wiglaf Droste nach einer Kolumne unter
       der Gürtellinie den Kreis der freien Wahrheit-Mitarbeiter verlassen. Die
       Querelen waren immens, Droste terrorisierte die Wahrheit-Redaktion eine
       Weile, die hielt das aus und der Sturm im Whiskey-Glas ließ langsam nach.
       
       Fünf Jahre später kam Droste auf die Idee, eine Anzeige für ein neues Buch
       auf der Wahrheit-Seite zu schalten: Wenn ich keinen Platz zum Schreiben
       bekomme, kauf ich mich einfach ein. Eine feindliche Übernahme der anderen
       Art, die es intelligent zu kontern galt. Die Wahrheit hat als Zeitungsseite
       sechs Spalten, die sechste füllte die Anzeige mit dem Bild des Buch-Covers,
       das Drostes Gesicht halb verdeckt im Schilf zeigte. Gesicht zeigen? Gute
       Idee für die übrigen fünf Spalten. Ein weißer Elefant musste her.
       
       ## Etwas Monströses, das alles überstrahlt
       
       Ein weißer Elefant ist ein journalistisches Mittel aus der Zeit der
       Diktaturen und wurde ursprünglich genutzt, um die Zensur zu umgehen. Wenn
       du in einem Artikel eine versteckte Botschaft unterbringen willst oder
       jemandem zu verstehen geben willst, dass er ein Arschloch ist, ohne ihn ein
       Arschloch zu nennen, dann brauchst du etwas, das so monströs ist, dass es
       alles überstrahlt. Nur so wird die codierte Nachricht durchgehen. Der weiße
       Elefant war hier Hitler. Die übrigen „Kotzbrocken“ wie Diekmann waren
       austauschbar, sollten aber von der eigentlichen Botschaft ablenken.
       
       Die Resonanz war heftig. Besonders bei der FDP. Der damalige
       Parteivorsitzende Westerwelle schickte den früheren Geheimdienstchef und
       Außenminister Klaus Kinkel vor, der empört die taz-Chefredaktion anrief und
       sämtliche taz-Abos der Liberalen abbestellte. Fünf Abokündigungen wären bei
       einer normalen Zeitung schon ein Kündigungsgrund, aber FDP-Bashing geht in
       der taz immer.
       
       Aus der Geschäftsführung der taz wurde schließlich kolportiert, dass sich
       Drostes Verleger als Anzeigenkunde über das schreckliche Werbeumfeld
       beschwert hatte. Die Botschaft war also angekommen, was der
       taz-Chefredakteur Thomas Eyerich in seiner unnachahmlich coolen Art mit nur
       einem Wort kommentierte: „Chapeau!“
       
       ## „Ich, Ich, Ich war Bild“
       
       Er hatte den weißen Elefanten verstanden. Im Gegensatz zu Kai Diekmann,
       dessen Buch besser „Ich, Ich, Ich war Bild“ heißen sollte, weil er alles
       auf sein Ego bezieht, selbst wenn es gar nicht um ihn geht. Er verkauft
       sich am liebsten als großer Blattmacher, tatsächlich aber ist er kein
       herausragender Journalist, sondern nur ein, wie man das früher nannte,
       „Scheckbuchjournalist“. Als unfassbar eitler Fatzke hat er für die wahren
       Zwischentöne des Gewerbes kein Gespür.
       
       Rechtliche Auseinandersetzungen wie der Penis-Prozess oder zuletzt die
       Klage des Fleischbarons Tönnies, den die Wahrheit in einem Albtraum
       schlachtete wie ein Schwein, sind zwar sehr lustig, aber auch hochriskant,
       weil für die taz oft existenzbedrohende Summen auf dem juristischen Spiel
       stehen. Bislang ist noch immer alles gut gegangen. Auch in der Causa
       Diekmann, der in der öffentlichen Meinung als Verlierer vom Platz ging, in
       seiner Autobiografie jedoch einen Krieg auf der Hintertreppe gewinnen
       möchte.
       
       Sein schwerstes Geschütz: als Ironie getarnte Arroganz. Mit der er meistens
       durchkommt. Kürzlich stellte ihn sogar die Londoner Times ihren Lesern
       beinahe mitfühlend als den Mann vor, den die taz „just below Adolf Hitler
       on a list of Germany’s ‚five greatest vomit chunks, curmudgeons and gross
       scumbags‘“ platziert hatte. Fehlt eigentlich nur noch Adolf Hitler, der
       sich posthum über den Diekmann-Vergleich beschwert.
       
       Die für Kai Diekmann so wichtige Eingangsfrage „Wer hat den Längeren?“
       lässt sich jedenfalls leicht beantworten. Den längeren Atem hat die
       Wahrheit.
       
       20 May 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Ringel
       
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