# taz.de -- Rechte Gewalt in Deutschland
       
       > Die achte Ausgabe von „Jalta“ beschäftigt sich mit den Anschlägen von
       > Halle. „Jalta“, herausgegeben unter anderem von Micha Brumlik und Max
       > Czollek, erscheint nun nicht mehr wie bisher als Halbjahreszeitschrift,
       > sondern als Buchreihe
       
       Von Till Schmidt
       
       Nach fast drei Jahren erscheint eine neue Ausgabe von Jalta. Der
       talmudischen Überlieferung zufolge war Jalta eine rebellische Frau, die
       sich immer wieder gegen die Ungerechtigkeit von Männern wehrte. In dieser
       Bedeutung steht der Titel für das feministische, selbstermächtigende und
       wütende Moment der Publikation. Gleichzeitig ist „Jalta“ auch der Name des
       Badeorts auf der Krim, wo die Alliierten 1945 über die Aufteilung
       Deutschlands berieten.
       
       Die Jalta-Herausgeber:innen haben stets betont, der gängigen Reduzierung
       von Jüd:innen auf die Themen Antisemitismus, Schoah und Israel etwas
       entgegensetzen zu wollen. Antisemitismus ist inzwischen medial und
       politisch stärker präsent. Große Teile der nichtjüdischen
       Mehrheitsgesellschaft blicken darauf jedoch häufig mit nur mit kurzzeitiger
       moralischer Empörung, ereignisbezogen, viktimisierend und insgesamt
       entpolitisierend. Beobachten ließ sich das auch beim antisemitischen,
       misogynen und rassistischen Terroranschlag von Halle.
       
       Dem rechtsterroristischen Attentat an Jom Kippur 2019 widmet sich die neue
       Jalta-Ausgabe. Darin geht es weniger um die Tat als solche oder um die
       Weltanschauung des Täters. Im Fokus stehen vielmehr der gesellschaftliche
       Umgang mit dem Attentat und seine Auswirkungen auf die direkt Betroffenen.
       Ein weiterer thematischer Strang der Ausgabe sind die mal mehr, mal weniger
       gelungenen, in jedem Fall komplizierten Versuche, Solidaritäten und
       Allianzen mit anderen aufzubauen und zu festigen. Der Titel „Nachhalle“ ist
       insgesamt sehr treffend gewählt.
       
       Die Kontinuität rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt seit den
       1990ern beschreibt Heike Kleffner in ihrem Beitrag. Marina Chernivsky und
       Friederike Lorenz-Sinai plädieren dafür, die strukturelle Kontinuität des
       Antisemitismus als dauerhaftes Gewaltverhältnis jenseits extremistischer
       Anschläge in den Blick zu nehmen. Sie zeigen, wie die teils eklatanten
       Perspektivendivergenzen von Betroffenen und Nichtbetroffenen dazu führen,
       dass in der deutschen Post-Schoah-Gesellschaft permanent um die Einordnung
       antisemitischer Gewalt gerungen wird.
       
       Auf Grundlage von Beratungsgesprächen fragt Romina Wiegemann vom
       Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment der Zentralwohlfahrtsstelle
       der Juden in Deutschland nach Auswirkungen des Anschlags auf jüdische
       Familien. Dabei geht sie auch auf den häufig äußerst unzureichenden Umgang
       mit Antisemitismus an den Schulen ein.
       
       Rebecca Blady, Ezra Waxmann, Naomi Henkel-Guembel und Rachel Spicker
       thematisieren das eigene Überleben des Anschlags sowie ihre Erfahrungen und
       Beobachtungen während des Prozesses gegen den Attentäter.
       
       Da die amtlichen Audiomitschnitte vom Halle-Prozess für mindestens 30 Jahre
       unter Verschluss gehalten werden, hat erst die zivilgesellschaftliche
       Prozessbeobachtung eine wissenschaftliche, politische und gesellschaftliche
       Auseinandersetzung ermöglicht, betonen Linus Pook, Grischa Stanjek und
       Tuija Wigard. Mit dem Verein democ haben die Autor:innen ihre
       Prozessmitschriften inzwischen als eigenständiges Buch herausgegeben
       (Spector Books, 2021). Frederek Musall, Massimo Perinelli sowie Hannah
       Peacemann nähern sich dem Thema Allianzen und solidarische Praxis aus
       stärker theoretisch-konzeptuellen Perspektiven, die identitätspolitischen
       Fundamentalismus genauso ablehnen sowie das Unsichtbarmachen der eigenen
       Verortung.
       
       Darja Klingenberg zieht schließlich Bilanz zum Fest- und Gedenkjahr „1.700
       Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“. Die Migrationsforscherin arbeitet
       differenziert Widersprüche zwischen der in Imagekampagnen proklamierten
       „Vielfalt jüdischen Lebens“, unterkomplexen Darstellungen sowie
       ausschließenden Strukturen heraus. Ihr Beitrag ist dabei nicht nur eine
       kurze – und politische – Geschichte der russischsprachigen Jüd:innen in
       Deutschland. Sie plädiert auch dafür, die Verflechtungen eines
       postkolonialen, postfaschistischen, postsozialistischen und migrantischen
       Lebens in Deutschland neu zu erzählen. Jenseits großer Zahlen und
       Erfolgsgeschichten sowie ohne übertriebene Gesten und Formulierungen.
       
       13 May 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Till Schmidt
       
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