# taz.de -- Rammstein-Konzert trotz #MeToo-Vorwürfen: Dunkle Wolken am Himmel
       
       > Die Vorwürfe gegen Sänger Till Lindemann beschäftigen die Fans beim
       > zweiten Konzert von Rammstein in München. Dieser äußert sich nur kurz auf
       > der Bühne.
       
 (IMG) Bild: Die Tour-Maschine läuft, als sei nichts gewesen. Rammstein-Konzert im Olympiastadion
       
       Am Ende des zweiten Konzerts in München macht Till Lindemann am Freitag
       dann doch noch eine Ansage. Denn den ganzen Abend haben Gewitterwolken das
       Olympiastadion umringt. Der Deutsche Wetterdienst warne, heißt es zu
       Beginn, eventuell müsse das Konzert unterbrochen werden.
       
       Die Blitze, die am Himmel zucken, sie wirken dann fast hineinchoreografiert
       in die Rammstein-Pyroshow. „Am Himmel dunkle Wolken ziehen“, singt
       Lindemann im Song „Puppe“. Aber es bleibt trocken. Und so sagt der
       Rammstein-Sänger, der eigentlich nur selten spricht, zum Schluss: „München,
       wir hatten ein Riesenglück mit dem angekündigten Unwetter. Glaubt mir, das
       andere wird auch vorbeiziehen.“
       
       Eine überraschend eindeutige Ansage für jemanden, bei dem man die
       politische Einstellung sonst eher zwischen den Zeilen suchen muss. Aber
       auch eine Kampfansage passend zur Meldung, die kurz zuvor durch die
       Nachrichten gedonnert ist. Lindemanns Anwaltskanzlei weist die
       [1][Vorwürfe], der Frontmann habe Frauen „mithilfe von K.-o.-Tropfen bzw.
       Alkohol betäubt“, „um sexuelle Handlungen an ihnen vornehmen zu können“,
       als „ausnahmslos unwahr“ zurück. Und auch die Verdachtsberichterstattung in
       den Medien werde man prüfen.
       
       Obwohl es zunächst wie eine ganz normale Rammstein-Show wirkt, ist dieses
       Konzert alles andere als normal. Die Frauen, die dem Rammstein-Sänger
       Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt vorgeworfen hatten – bei den Fans
       Gesprächsthema Nummer eins. Immer wieder geht es um die „[2][Row Zero]“,
       die Reihe null. Und als das Instrumental von „Deutschland“ erklingt, fragt
       sich ein Fan: „Glaubt ihr, er hat jetzt Sex?“
       
       Die Influencerin Kayla Shyx hatte zuvor Berichte publik gemacht, dass Till
       Lindemann sich auf den Pre-Partys eine betrunkene Row-Zero-Frau ausgesucht
       haben soll, damit sie ihm genau an dieser Stelle, dem langen Instrumental
       von „Deutschland“, unter der Bühne einen Blowjob gebe.
       
       ## 120 Euro pro Ticket
       
       Einige Rammstein-Fans halten das für Rock-’n’-Roll-Lifestyle. „Wenn du
       weißt, du bist da im Backstage-Bereich als Frau: da weißt du doch genau,
       was passiert“, meint ein männlicher Konzertbesucher. Die Band hatte in den
       sozialen Netzwerken noch darum gebeten, niemanden vorzuverurteilen, auch
       nicht die mutmaßlichen Opfer. Bei den Fans gelingt das nicht jedem.
       „Vergewaltige mich, für dich lass ich die Hose runter, Till“, grölt ein
       betrunkener Besucher und lacht. [3][Lacht er auch dann noch], wenn sich die
       Vorwürfe am Ende bewahrheiten?
       
       „Das wäre dann das Aus für die Band“, meint jemand anderes. „Ich bin
       ehrlich, ich hatte kein reines Gewissen, hierherzukommen“, sagt er. Aber
       die 120 Euro für das Ticket, die will man nicht verfallen lassen. Die
       Linie, auf die sich die meisten Fans geeinigt haben: Sollten die
       schlimmsten Vorwürfe stimmen, dann gehört Till Lindemann ins Gefängnis.
       „Wenn das stimmt, ist das superscheiße“, sagt eine Besucherin. Aber solange
       nichts bewiesen sei, gelte eben die Unschuldsvermutung.
       
       Und die Party geht weiter. Viele Fans reisen seit Jahren regelmäßig zu
       Konzerten, kommen von weither aus ganz Deutschland, haben die
       Rammstein-Shows zu Familien- oder Freundeskreis-Events gemacht. Auch an
       diesem Abend wird wieder deutlich: Es ist eine beeindruckende Liveshow.
       Feuer, Konfetti, Gitarren so laut, dass die Ohren selbst am nächsten Morgen
       noch pfeifen.
       
       Die circa 20 Gegendemonstranten, die sich um 18 Uhr vor dem Olympiastadion
       verabredet hatten, muss man im Meer der schwarzen T-Shirts dagegen erst
       suchen. Irgendwo am Rande des Wegs zwischen Olympiahalle und Olympiastadion
       stehen sie, halten Protestplakate und rufen „Gewalt gegen Frauen ist kein
       Einzelfall. Gegen Sexismus überall!“
       
       ## La Ola im Olympiastadion
       
       Unter ihnen auch ein enttäuschter Fan. Luca Barakat ist Delegierter bei
       Fridays for Future, seine meistgehörte Band der letzten Jahre war
       Rammstein, erzählt er. „Ich bin überzeugter Feminist und kann sie in
       Zukunft nicht mehr hören“, findet Luca. Man müsse endlich damit beginnen,
       den Frauen Gehör zu verschaffen und ihnen zu glauben.
       
       Die Demonstration hat allerdings einen schweren Stand. Man sei Anfeindungen
       ausgesetzt und werde beschimpft. „Warum muss ich da so einen riesengroßen
       Alarm fahren?“, beschwert sich ein Fan, der die Demo beobachtet. Sein
       Fazit: „Das sind 20 Leute, und wir sind 60.000.“ Und trotzdem, auch an der
       Band scheinen die Anschuldigungen nicht spurlos vorbeizugehen. Die
       Performance, sie wirkt anders als sonst. Energischer, vielleicht auch
       aufgeregter. Häufig stehen die Rammstein-Mitglieder relativ regungslos auf
       der Bühne, an diesem Abend ist mehr Bewegung drin. Und auch Till Lindemann
       singt vielleicht noch ein bisschen lauter.
       
       Vielleicht liegt das auch am enormen Zuspruch durch das Publikum, schon vor
       dem Konzert gehen La-Ola-Wellen durchs Stadion. Und mit der Zeit wirkt es
       fast so, als hätte sich das Olympiastadion verschworen zu einer „Jetzt erst
       recht“-Stimmung. So wie im Oktoberfest-Bierzelt, wenn die Blaskapelle das
       Layla-Lied anstimmt. Besonders laut wird Lindemann beim Song „Deutschland“.
       „Überheblich, überlegen, übernehmen, übergeben“, ruft er ins Mikrofon. Auch
       den Refrain ändert er leicht ab: „Meine Liebe kann ich dir nicht mehr
       geben.“
       
       Noch eine Botschaft, dieses Mal aber doppeldeutiger. Man kann sie beziehen
       auf die Vorverurteilungen, gegen die sich die Band wehren will. Oder auf
       die „Row Zero“, die wie angekündigt leer geblieben ist. Die Stadt hat ein
       Awareness-Team beauftragt, das ist allerdings nicht zu entdecken. Am Ende
       jubeln die 60.000 Fans im Münchner Olympiastadion. Und am Himmel ziehen
       dunkle Wolken.
       
       9 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Anschuldigungen-gegen-Till-Lindemann/!5939317
 (DIR) [2] /Nach-Vorwuerfen-gegen-Till-Lindemann/!5936325
 (DIR) [3] /Verharmlosung-von-Rammstein/!5938257
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ferdinand Meyen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt #metoo
 (DIR) Rammstein
 (DIR) Sexualisierte Gewalt
 (DIR) Konzert
 (DIR) Rockmusik
 (DIR) Schwerpunkt #metoo
 (DIR) Subkultur
 (DIR) Deutschrock
 (DIR) Schwerpunkt #metoo
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Debatte um Rammstein-Konzerte in Berlin: „Awareness muss von innen kommen“
       
       Nach Missbrauchsvorwürfen gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann mehren sich
       die Rufe nach Awareness-Teams. Kann das Frauen vor Übergriffen schützen?
       
 (DIR) Nach Vorwürfen gegen Till Lindemann: Staatlich verordnete Achtsamkeit
       
       Familien- und Frauenministerin Lisa Paus von den Grünen fordert
       Awareness-Teams bei Konzerten. Entlässt das die Musikbranche aus der
       Verantwortung?
       
 (DIR) Anschuldigungen gegen Till Lindemann: Youtuberin untermauert Vorwürfe
       
       In der Missbrauchsdebatte um Rammstein-Frontmann Till Lindemann melden sich
       neue Stimmen. Eine Rolle spielt die entlassene „Casting Direktorin“.
       
 (DIR) Verharmlosung von Rammstein: Eiertanz ums Eiserne Kreuz
       
       Die Provokation gehört genauso zur Band wie die Feuershow. Doch nicht nur
       der #MeToo-Skandal verdeutlicht, was an ihr problematisch ist.