# taz.de -- 48 Stunden Neukölln: Ein Bezirk als Kunstinstallation
       
       > Beim größten Kunstfestival Berlins gab es viel zum Mittun: „Playground“
       > war das Motto der 25. Ausgabe. Unser Autor begab sich ins kreative
       > Getümmel.
       
 (IMG) Bild: Kunst zum eintauchen, wie Carla Mercedes Hihns „ÇIKIŞ--EXIT“ in den Neukölln Arcaden 2014
       
       BERLIN taz | Lieber mit dem ausfaltbaren Veranstaltungsplan auf die
       48-Stunden-Neukölln-Tour oder sich einfach treiben lassen? Das Event
       „Schlammkuchen“ klingt gut, „Kunst & Kekse“ sowieso. Aber wo genau sind
       diese Shows? Und wo befindet man sich selbst eigentlich gerade? Am Ende
       gibt man es besser auf mit dem Plan. Neukölln ist groß, [1][das seit 1999
       stattfindende Kunstfestival] ist das größte Berlins, und dieses Jahr zeigen
       1.200 Künstler und Künstlerinnen an 300 Orten alles nur Erdenkliche von
       Mini-Aktzeichnungen bis hin zu immersiven Installationen im Großformat.
       Also los mit dem Fahrrad und zu Fuß irgendwo zwischen Kreuzkölln und
       Karl-Marx-Straße und sobald man einen Ort erblickt, an dem das bunte
       48-Stunden-Neukölln-Plakat hängt: Einfach rein.
       
       Manchmal läuft gerade eine Performance wie das Kunstevent in der
       Weserstraße, das sich „partizipative Ausstellung“ nennt, bei dem die
       Teilnehmenden gerade nicht gestört werden wollen. Von außen sieht man, wie
       sie angeregt interagieren. Wahrscheinlich arbeiten sie sich gerade an solch
       wirklich wichtigen Fragen des Lebens ab, wie sie beispielhaft an den Wänden
       aushängen: „Kommst Du eher zu früh oder zu spät?“ oder: „Wünscht Du Dir
       eher mehr Zeit für Dich oder mit anderen?“
       
       Ganz Nord-Neukölln wirkt während des Kunstfestivals wie eine begehbare
       Installation. Dazu passt auch das Motto des diesjährigen 25-jährigen
       Jubiläums: „Playground“. Teils fragt man sich: ist das ein Ort der Kunst
       oder ein noch geöffneter Tattooladen? Ein Imbiss bietet ein
       48-Stunden-Neukölln-Nachos-Special an und auch Kinder dürfen sich selbst
       als Künstler versuchen. Im Jugendclub „Manege“ etwa lautet die
       Aufgabenstellung für den künstlerischen Nachwuchs: „Neukölln bedeutet für
       mich…“. Und man erfährt, dass der oft als Problembezirk verschrieene Kiez
       sehr positive Assoziationen hervorzurufen vermag. Zu sehen sind etwa ein
       Einhorn, ein Frosch und wirklich sehr viele Herzen.
       
       Mal wird man enttäuscht, mal wirklich überrascht, wie das halt so ist mit
       der Kunst. In der Schönstedtstraße bieten Künstler und Künstlerinnen
       einfach Einblicke in ihre Arbeit und man steht neben riesigen Skulpturen,
       während die Bildhauer selbst an einem Tisch hocken und Weißwein aus
       Tetrapaks trinken. Gegenüber im queeren Atelierhaus Altes Finanzamt wurde
       dagegen mit viel Aufwand ein ganzer Raum wie eine verwunschene Parallelwelt
       gestaltet, mit sonderbaren Gerüchen und Projektionen von Naturbildern. Es
       kommt einem vor wie ein LSD-Trip. Voll der Knaller ist die Musikperformance
       in einem ehemaligen Wettbüro in der Karl-Marx-Straße, vor dessen Betreten
       man sich die Schuhe ausziehen muss. Drinnen klimpert eine ältere Dame, die
       aussieht, als wollte sie eigentlich zum Bingo-Abend gehen, auf allerlei
       elektronischem Gerät herum und singt mit verzerrter Stimme, während ein
       Klarinettist zu den undefinierbaren Klängen improvisiert.
       
       ## Eine überbordende Kreativzone, die verbindet
       
       48 Stunden lang verwandelt sich ein ganzer Bezirk in eine überbordende
       Kreativzone und setzt auf ein Miteinander, das nun doch mal aus mehr
       besteht als aus dem Konsum von irgendwas. Kunst verbindet, das scheint dann
       auch die Message dieser pneumatischen Skulptur ganz in der Nähe des
       Kunstraums im stillgelegten Wettbüro zu sein. Die bläht sich per Knopfdruck
       auf, aber dafür müssen tatsächlich vier Personen gleichzeitig auf Buttons
       drücken, nur dann passiert etwas.
       
       Gleich daneben behauptet einer, mit seiner „Wortschmiede“ in ein paar
       Minuten aus dem Stegreif ein Gedicht zu einem bestimmten Thema zu zaubern.
       Der Dichter bietet sich gewissermaßen als menschliches ChatGPT an. Er macht
       dann aus der Aufgabe, Erich Fried zu parodieren: „Es war nichts, was es
       wurde, es wäre das, was es isst.“ Kann man sich dann über das Bett hängen,
       das Gedicht. Allerdings will der Wortschmied für sein Werk auch bezahlt
       werden. Er sei kein Teil von 48 Stunden Neukölln, sagt er. Obwohl er es
       irgendwie natürlich schon ist.
       
       26 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://48-stunden-neukoelln.de/de/festival
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Hartmann
       
       ## TAGS
       
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