# taz.de -- Die Wahrheit: Die Herrentasche des Grauens
       
       > Das aktuell inflationär getragene Accessoire des schlechten Geschmacks
       > ist die nahe Bauch baumelnde Herrentasche. Alles bleibt „nah am Mann“.
       > Graus.
       
       Meine Oma, die ihrerzeit noch nicht hat wissen können, dass derlei Rede
       mehrere Jahrzehnte später als diskriminierend bezeichnet werden würde,
       nannte die Dinger in ihrem rheinischen Dialekt schmunzelnd
       „Schwulentäschchen“. Als Kind fand ich das faszinierend. Was könnten
       Schwule in ihren dezenten Handtaschen wohl an geheimnisvollem
       Schwulenzubehör mit sich herumtragen? Und was sind „Schwule“?
       
       Derzeit erlebt die Herrentasche eine Wiedergeburt in den Fußgängerzonen,
       oder, um’s in der feinen Näselsprache von Louis Vuitton auszudrücken, das
       Necessaire eine Renaissance. Vermutlich ist es einfach necessary, wie
       wiederum der Angelsachse sagt, notwendig zur mitführenden Unterbringung von
       Smartphone, Geldbeutel, Wohnungsschlüssel, Zigarettenschachtel, Feuerzeug,
       fünf Gramm Haschisch und klobigem Piepsdingens zum ferngesteuerten Auf-
       oder Abschließen des in zweiter Reihe vor dem Wettbüro geparkten Mercedes
       mit Hochleistungsauspuff.
       
       Getragen wird das inflationäre Accessoire entweder klassisch als
       Bauchbeutel auf neckischer Hüfthöhe oder als „Cross Body Bag“, also mit
       einem Riemen quer um den Leib und auf Höhe der Rippen. Dort, wo bei
       Geheimagenten das Halfter für die Pistole hängt. Es krönt sozusagen den
       Siegeszug des Praktischen. Wer seine praktische Jogginghose wegen ihrer
       toleranten Gummibündchen schätzt, hat eben keinen weiteren Stauraum mehr am
       Leib und greift nur ungern auf den unpraktischen Rucksack zurück, weil man
       sich selbst nur schlecht auf den Rücken greifen kann.
       
       ## Pestbeule an der Silhouette des modernen Mannes
       
       Der Dummbeutel ist daher so etwas wie ein Pickel, eine Pestbeule, ein
       Pfropf an der Silhouette des modernen Mannes. Und ein Zeichen für seinen
       Müßiggang. So läuft niemand zur Arbeit, und so geht niemand zum See. Es ist
       ein Gegenstand zum ziellosen Herumlatschen, darf aber keinesfalls mit einer
       „Handtasche“ femininer Prägung verwechselt werden – das wäre ja dann wieder
       schwul.
       
       Nein, die Ausstülpung signalisiert maskuline Sportlichkeit und
       Leistungsbereitschaft. Die Arme bleiben frei zur allfälligen Gestikulation,
       sich sofort in einen Faustkampf zu begeben oder in den Schritt zu fassen.
       Die Habseligkeiten bleiben dabei immer „nah am Mann“, was nicht nur das
       Outfit abrundet, sondern auch Dieben ihr Handwerk erschwert. Theoretisch
       könnte mit dem, Zitat, „modischen Statement“ auch die Flucht ergriffen
       werden, trüge ihr Träger nicht in der Regel Adiletten oder diese ebenfalls
       topmodischen Weichgummistempel an den Füßen.
       
       Aufmerksame Leserinnen und Leser werden längst gemerkt haben, dass ich hier
       ein wenig die Zügel meines Ressentiments habe schleifen lassen. Um mir vom
       Leib zu schreiben, was ich natürlich dringend brauche – die Hände frei, zum
       Schreiben.
       
       30 Jun 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Arno Frank
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Männerbäuche
 (DIR) Männer
 (DIR) Mode
 (DIR) Schwule
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die Wahrheit: Welches Land hätten Sie denn gern?
       
       Wo zum Teufel ist eigentlich dieses Deutschland, von dem alle reden?
       Verschiedene Betrachter kommen zu unterschiedlichen Schlüssen.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Ich als bekiffte Neurochirurgin
       
       Jetzt, da Kiffen nach jahrelangem Warten endlich erlaubt sein wird, da geht
       es nicht mehr. Es ist endgültig vorbei mit Bong und Joint.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Im Auenland der Industrie
       
       Ein beruflicher Ausflug führt ins „Land“ und eben nicht ins „Ländle“.
       Baden-Württemberg von der blubbernden Moto Guzzi aus betrachtet.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Schmuckstück aus der Radiohölle
       
       Unterwegs Radio hören kann zu verstärktem Ohrenglühen führen. Wer da so
       alles Plattitüden zum Besten gibt: Rapper, Studenten, Politiker …
       
 (DIR) Die Wahrheit: Der Relevanzliterat von Leipzig
       
       Ein Roman wie eine Neutronenbombe. Ein Autor wie ein Atompilz. Sein
       Gesicht, seine Kleidung und sein Buch stehen im Mittelpunkt der Buchmesse.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Im Laberlabor des Krieges
       
       Die Worte melden sich zum Einsatz bereit: Der russische Angriff auf die
       Ukraine hat auch die deutsche Sprache verändert.