# taz.de -- Prozessauftakt nach Messerattacke: Ibrahim A. hält sich für unschuldig
       
       > In Brokstedt soll der 34-jährige Staatenlose auf mehrere Menschen
       > eingestochen haben. Nun hat der Prozess gegen ihn begonnen.
       
 (IMG) Bild: Der Angeklagte Ibrahim A.an seinem Platz im Gerichtssaal in Itzehoe
       
       ITZEHOE taz | Mit Handschellen und Fußfesseln führen drei Justizbeamte
       Ibrahim A. in den Verhandlungssaal, der dunkelhaarige Mann wirkt klein und
       schmal neben den Beamten. Der staatenlose 34-Jährige, der aus Palästina
       stammt, soll am 25. Januar in einem Regionalzug bei Brokstedt in
       Schleswig-Holstein [1][mit einem Messer auf sechs Menschen eingestochen
       haben]. Zwei starben noch am Tatort, die übrigen erlitten teils
       lebensgefährliche Verletzungen und bleibende Narben. Ein Opfer suizidierte
       sich einige Monate nach der Tat.
       
       In dem Prozess, der sich bis Weihnachten hinziehen könnte, wird es darum
       gehen, ob der psychisch kranke A. schuldfähig ist. Wird er wegen Mordes
       verurteilt, droht ihm eine lebenslängliche Haftstrafe, kommt er in die
       Psychiatrie, droht ihm Sicherheitsverwahrung auf unbestimmte Zeit. Er
       selbst erklärte sich für unschuldig.
       
       An jenem Januartag fuhr A., der gerade aus der U-Haft in Hamburg entlassen
       worden war, nach Kiel, um abgelaufene Papiere verlängern zu lassen – A.
       lebte seit 2014 geduldet in Deutschland. In der Kieler Behörde wurde er von
       Schalter zu Schalter geschickt. Vor der Rückfahrt nach Hamburg [2][stahl er
       ein Messer in einem Supermarkt].
       
       Staatsanwältin Janina Seyfert wertet das als Zeichen, dass die Tat geplant
       war. Sie wirft A. zweifachen Mord und vierfachen versuchten Mord mit
       Körperverletzungen vor: Er habe in dem Regionalzug aus Wut und „zum Zweck
       des Abreagierens wahllos auf Personen eingestochen“. Mit zahlreichen
       Stichen tötete er eine 17-Jährige und ihren 19-jährigen Freund, ging weiter
       durch den Zug, der gerade in Brokstedt einfuhr, und verletzte zwei weitere
       Frauen und zwei Männer, darunter einen, der einem anderen Verletzten zu
       Hilfe kam. Auf dem Bahnsteig überwältigten ihn mehrere Mitreisende. Mehrere
       der Betroffenen oder deren Angehörige treten als Nebenklagende auf.
       
       ## Beleidigungen aus dem Fernseher
       
       Während der Anklageverlesung stützte A. das Gesicht in die Hände oder sah
       geradeaus. Auf die Frage des Richters Johann Lohmann, ob er etwas zu Tat
       sagen will, antwortete A. auf Deutsch und Arabisch: „Das ist alles nicht
       richtig.“ Statt von den Ereignissen am 25. Januar berichtete er von seiner
       U-Haft in Hamburg: Ständig sei er verfolgt worden, Leute hätten bei ihm
       geklopft.
       
       Sein Anwalt Björn Seelbach, der ihn bereits aus früheren Verfahren viele
       Jahre kennt, sagte: „Er wäre in einer Psychiatrie besser untergebracht als
       im Gefängnis.“ Ein Sachverständiger diagnostizierte eine Psychose. Doch er
       wie auch die Staatsanwältin gehen zur Zeit von der Schuldfähigkeit aus.
       „Aber das wird ein Thema sein“, sagte Seyfert.
       
       Seelbach glaubt, dass die Krankheit sich in den vergangenen Monaten
       „galoppierend“ verstärkt und A. auch während der „unzweifelhaften und
       schrecklichen“ Tat im Zug beeinflusst habe. So fühle A. sich angegriffen
       und höre aus dem Fernsehen Beleidigungen, berichtet der Anwalt in einem
       Pressestatement nach der Verhandlung.
       
       ## Faeser will ein Messerverbot in Zügen
       
       Sofort nach der Tat begann auch die politische Aufarbeitung. [3][Denn es
       stellten sich Fragen]: Warum wurde ein Mensch, der bereits mehrere
       Gewalttaten begangen hat, der während der Haft psychisch auffällig war und
       sich unter anderem mit dem Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, Anis
       Amri, verglichen haben soll, ohne Vorbereitung in die Obdachlosigkeit
       entlassen? Warum wussten die Kieler Behörden, bei denen Ibrahim A. gemeldet
       war, nichts von seiner Haft in Hamburg?
       
       Die Kritik traf vor allem die Hamburger Behörden, [4][die rasch
       reagierten]: Mitte Februar stellten Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne)
       und Innensenator Andy Grote (SPD) ein Konzept vor, um künftig Personen, die
       psychisch auffällig, aggressiv oder drogenabhängig sind, in der
       Untersuchungshaft besser zu betreuen. „Übergangscoaches“ [5][sollen die
       Haftentlassenen begleiten], dazu werden die entsprechenden Landesgesetze
       geändert.
       
       Die schwarz-grüne Regierung in Schleswig-Holstein will einerseits die
       Abschiebung gewalttätiger Ausländer*innen erleichtern, andererseits
       [6][mehr für die Prävention tun]. Auch die Justizministerkonferenz beriet
       Verbesserungen. So soll es auf Vorschlag von Hamburg und Schleswig-Holstein
       ein bundesweit einheitliches Verfahren für den Umgang mit straffälligen
       Ausländer*innen geben. Alle Straf- und Bußgeldsachen sollen künftig an
       eine zentrale Adresse geschickt und von dort an die zuständigen Behörden
       weitergeleitet werden. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) will zudem ein
       [7][Messerverbot in Zügen] durchsetzen.
       
       7 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Attacke-in-Zug-zwischen-Hamburg-und-Kiel/!5911540
 (DIR) [2] https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Messerattacke-von-Brokstedt-Was-wir-wissen,messerangriff342.html
 (DIR) [3] /Hamburg-diskutiert-Messerattacke/!5909563
 (DIR) [4] /Messerattacke-von-Brokstedt/!5936272
 (DIR) [5] /Nach-Angriff-im-Regionalzug/!5912849
 (DIR) [6] /Diskussion-um-Gewaltpraeventionsambulanz/!5941437
 (DIR) [7] /Innenministerkonferenz-in-Berlin/!5941328
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Geißlinger
       
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