# taz.de -- Stuttgart21-Kritiker Dietrich Wagner tot: Die unfreiwillige Galionsfigur
       
       > Das Foto mit seinen blutenden Augen machte ihn zum Symbol des Protests
       > gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart21. Nun ist Dietrich Wagner gestorben.
       
 (IMG) Bild: Der Strahl des Wasserwerfers hat das Augenlicht von Dietrich Wagner zerstört
       
       KARLSRUHE taz | Das Bild von seinen Verletzungen ging buchstäblich um die
       Welt. Es machte [1][Dietrich Wagner zu einer Art Märtyrer-Figur des
       Protests gegen das Bahnprojekt Stuttgart21] – und veränderte die politische
       Landschaft in Baden-Württemberg wohl nachhaltig.
       
       Das Foto ist auch 13 Jahre später noch schwer zu ertragen. Der bärtige
       ältere Mann, gestützt auf zwei junge Männer, dem das Blut aus den
       aufgequollenen Augenhöhlen über sein Gesicht läuft. Der schwer verletzte
       Dietrich Wagner wurde so zum Symbol für den gnadenlosen und später auch vom
       [2][Verwaltungsgericht Stuttgart als rechtswidrig erklärten Polizeieinsatz]
       am schwarzen Donnerstag im September 2010. Ein Jahr später löste der Grüne
       Winfried Kretschmann dann den verantwortlichen CDU-Ministerpräsident Stefan
       Mappus ab – und bildete die erste Regierung unter grüner Führung.
       
       Dietrich Wagner ist allerdings nur unfreiwillig zur Symbolfigur geworden.
       Der pensionierte Ingenieur war in seinem Leben politisch nie besonders
       aktiv. Das ungeliebte Bahnhofsprojekt hatte er am Anfang sogar befürwortet
       und sich erst später überzeugen lassen, wie unsinnig und teuer der
       Stuttgarter Tiefbahnhof eigentlich ist.
       
       Bei der Demonstration im Schlossgarten am 30. September 2010 hatte Wagner
       nach eigenen Angaben eigentlich versucht, Jugendlichen zu helfen, die vom
       Strahl der Wasserwerfer „weggefegt worden“ seien. Dabei hat ihn der Strahl
       selbst ins Gesicht getroffen, seine Augenlider zerrissen, die Netzhaut
       eingerissen und seine Linsen zerstört. Wagner war danach auf beiden Augen
       fast blind.
       
       ## Wagner klagte gegen das Land
       
       160 Verletzte hatte der unerbittliche Polizeieinsatz zur Räumung der
       künftigen Baustelle gefordert. Wagner gehörte zu den Klägern vor dem
       Verwaltungsgericht gegen das Land. Das Gericht entschied, dieser Einsatz
       hätte nie stattfinden dürfen, die spontane Demonstration sei vom
       Versammlungsrecht geschützt gewesen. Wagner sagte damals: „Mein Vertrauen
       in den Rechtsstaat ist zumindest ein wenig wieder hergestellt“.
       
       Doch er musste weiter streiten, bis er und andere [3][Opfer der
       Polizeigewalt 2016 Schadensersatz] zugesprochen bekamen. 120.000 Euro
       erhielt Wagner. Das klinge zwar nach viel Geld, sagte er, aber für eine
       blindengerechte Wohnung in Stuttgart reiche es sicher nicht.
       
       2015 entschuldigte sich Ministerpräsident Kretschmann offiziell bei Wagner
       für den Polizeieinsatz und das entstandene Leid. Kretschmann war immer ein
       Gegner des Bahnhofsprojekt und hatte noch während des Polizeieinsatzes im
       Schlossgarten per Handy versucht, den damaligen [4][Innenminister Heribert
       Rech] (CDU) davon zu überzeugen, seine Beamten abzuziehen.
       
       ## Jetzt solle der Bahnhof zu Ende gebaut werden
       
       Wagner, laut Wikipedia Jahrgang 1944, zeigte sich in den letzten Jahren
       versöhnlich. Zwar ging er immer wieder zu den Montagsdemonstrationen gegen
       S21, aber zuletzt sagte er auch, jetzt solle der Bahnhof, der 2025
       eingeweiht werden soll, auch zu Ende gebaut werden. Wagner zog sich immer
       mehr aus der Öffentlichkeit zurück.
       
       Er war mit seiner langjährigen Lebensgefährtin zusammengezogen, die er vor
       wenigen Monaten auch geheiratet hat. Von einem Schlaganfall hatte er sich
       vor einigen Jahren noch erholt. Am vergangenen Donnerstag ist Dietrich
       Wagner in einem Stuttgarter Krankenhaus an den Folgen einer
       Lungenentzündung gestorben.
       
       30 Jun 2023
       
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 (DIR) Benno Stieber
       
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