# taz.de -- Alpen-Etappen der Tour de France: Auf der Abfahrt nach ganz oben
       
       > Carlos Rodríguez gewinnt die 14. Etappe der Tour de France. Nach einer
       > gewagten Abfahrt siegt der Spanier vor Tadej Pogačar und Jonas
       > Vingegaard.
       
 (IMG) Bild: Lässt's rollen: Carlos Rodríguez bei der Abfahrt
       
       So schnell kann es gehen. In einer einzigen Abfahrt wurde Carlos Rodríguez
       von der Zukunft des spanischen Radsports zu dessen Gegenwart. Bei seinem
       Etappensieg am Samstag in Morzine überzeugte zunächst sein
       Durchhaltevermögen bergauf. Er war es, der am längsten mit dem [1][Duo
       Tadej Pogačar und Jonas Vingegaard] mithielt. Auf der Abfahrt vom Col de
       Joux-Plan nach Morzine machte er dann aber sein Meisterstück und stellte
       selbst das überragende Duo dieser Tour in den Schatten. „Ich habe nur
       gedacht: Fahre ich doch einfach so schnell wie möglich herunter. Die vielen
       Jahre, die ich BMX-Rennen fuhr, haben mir sicher geholfen“, sagte er.
       
       Auf den Kehren ins Tal schien der erst 22-jährige Spanier sogar die Linie
       des alten Haudegens Richard Virenque gefunden zu haben. Der hatte nämlich
       [2][im Juli des Jahres 2000] sowohl Lance Armstrong als auch Jan Ullrich
       viel Zeit in der Abfahrt abgenommen und derart viel Druck ausgeübt, dass
       sein einziger Begleiter Roberto Heras sich verschätzte und stürzte.
       
       „Abfahren gehört zu unserem Sport dazu. Und wer die bessere Technik hat,
       die bessere Position auf dem Rad, der kann eben seine Konkurrenten dadurch
       an ihr Limit bringen“, knurrte vor dem Start Bernard Hinault, in den 70ern-
       und 80ern fünffacher Tour-Sieger. Er forderte die jüngere
       Radprofi-Generation, die über die Gefährlichkeit der Abfahrt besorgt ist,
       auf, „besser mit ihrem Rad umgehen zu lernen und vielleicht auch mal den
       Reifendruck zu überprüfen“. So spricht die ganz alte Schule.
       
       Aber die Bedenken der aktuellen Profis bezüglich der Abfahrt sind nicht von
       der Hand zu weisen. Der Organisator der Tour, die Amaury Sport Organisation
       (ASO), sah sich wegen der von der Fahrergewerkschaft CPA gesammelten
       Beschwerden sogar genötigt, neuen Asphalt auf gefährliche Stellen zu
       kippen, über die wahrscheinlich vor 23 Jahren schon Richard Virenque
       gefahren war.
       
       Carlos Rodríguez scheint von diesen Debatten unberührt. Der junge Mann aus
       Granada wirkt ohnehin wie jemand, der sich ungern in Dinge einmischt, die
       ihn nicht unmittelbar betreffen. Er ist zurückhaltend, höflich, zuweilen
       gar schüchtern. Und wenn man ihn in einem Promo-Video des spanischen
       Radsportverbands sieht, wie er von seiner jungen Karriere erzählt, dann
       wirkt er mit der großen runden Brille wie ein Abiturient aus den 90er
       Jahren.
       
       ## Ingenieur und ausgebildeter Rennfahrer
       
       Tatsächlich macht er auch noch Hausaufgaben: Seine freie Zeit verbringt er
       nicht mit Daddeln an der Playstation oder dem Befüllen der sozialen
       Netzwerke, sondern er studiert Ingenieurwesen, Fachrichtung
       Elektromechanik. Vielleicht hat ihm Fachwissen in Strömungslehre und
       Aerodynamik auch zu Vorteilen bei der Abfahrt verholfen.
       Extra-Abfahrttraining jedenfalls hat er nicht gemacht, versicherte Rod
       Ellingworth, Chef des [3][britischen Rennstalls Ineos Grenadiers]: „Er ist
       einfach ein rundum ausgebildeter Rennfahrer, der sich gut auf und mit dem
       Rad zu bewegen weiß.“
       
       Dass Rodríguez ein Großtalent ist, betont seit einigen Jahr schon Alberto
       Contador. Spaniens letzter Tour-Sieger holte Rodríguez in sein Jugendteam.
       „Diese Jahre waren für mich extrem wichtig. Ich habe sehr viel über den
       Radsport dort gelernt“, sagt Rodríguez. Er lernte so gut und so schnell,
       dass das Team Ineos ihn noch als Teenager zu sich holte. Dort lernte von
       weiteren Toursiegern wie Geraint Thomas und Egan Bernal.
       
       Jetzt fährt Rodríguez selbst wie ein Alter: Kräfte sparend, unauffällig –
       aber wenn es darauf ankommt, ist er plötzlich da. Und jetzt, nach seinem
       bisher größten Erfolg, bleibt er ebenfalls ruhig. „Ich will mich jetzt
       nicht mit dem Podium verrückt machen. Ich nehme es Tag für Tag, freue mich
       über diesen Moment und erinnere mich daran, dass für mich schon ein großer
       Traum in Erfüllung ging, als ich bei dieser Tour de France startete.“
       
       Sein Talent als Abfahrer zeigte sich übrigens schon früh. „Eigentlich
       begann es damit, dass mein Vater mir, als ich Kind war, eine kleine Abfahrt
       bei uns zu Hause zeigte und sagte: ‚Fahr runter.‘ Ich fuhr runter, und
       hatte nicht einmal gemerkt, dass er mir schon die Stützräder abmontiert
       hatte“, erzählte Rodriguez. Seitdem fährt er und fährt er, und wenn er
       eines Tages eine Tour de France sogar gewinnen sollte, würde dies niemanden
       mehr groß überraschen.
       
       16 Jul 2023
       
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