# taz.de -- Europawahl, Getreideabkommen und Pflege: Falsches Gebrüll
       
       > Die Aktivistin Carola Rackete will den Job wechseln und in die Politik.
       > In Berlin kommt die Einsicht: Die Suche nach einer Löwin war vergeblich.
       
 (IMG) Bild: Carola Rackete, Spitzenkandidatin der Linken zur Europawahl 2024
       
       taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche? 
       
       Friedrich Küppersbusch: Spanien auf der Wetterkarte glutrot.
       
       Und was wird besser in dieser? 
       
       Wenigstens da.
       
       [1][Eine vermeintliche Löwin] bricht in der Nacht zum Donnerstag aus und
       hält die Welt in Atem. Die Polizei rückt aus, um sie zu suchen. Der erste
       Klimaflüchtling? 
       
       Das wäre gut gebrüllt, Löwe. Das allergene Ambrosiakraut und die
       chinesische Wollhandkrabbe sind schon da, dafür macht sich die heimische
       Buche hinter die Fichte. Die EU-Liste der „unerwünschten Spezies“ führt
       bereits 88 Tiere und Pflanzen, und das, bevor die AfD noch mal
       drübergeschaut hat. Für diesmal war’s nur die invasive Art des
       Mikro-Poppschutzes, elf Senderlogos sprangen dem Kleinmachnower
       Bürgermeister ins Gesicht. Nachdem die Medien gehaust hatten, hatten wir
       die Wildsau, bleibt sein bis in weite Ferne leuchtender Merksatz stehen:
       „Wir haben viel zu spät das Video gemeinsam ausgewertet.“ The Lion sleeps
       tonight.
       
       [2][Carola Rackete], bekannt geworden als Kapitänin und
       Flüchtlingshelferin, kandidiert bei der Europawahl 2024 für die Linke. Eine
       Neuorientierung für die Partei? 
       
       Der Doppelwumms! Racketes Kandidatur ist die nette Art, Wagenknecht und den
       ihren ein herzliches „Dann geh doch nach drüben“ nachzurufen. Zur anderen
       Seite, nachdem die Ampelgrünen die EU-Asylreform abgenickt haben, geben die
       Linken nun ehedem grünen Idealen Asyl. Neben Rackete steht der
       Sozialmediziner Gerhardt Trabert, und wenn die Welt von oben nach unten
       gerechter werden könnte, wäre das auf einmal eine ziemlich geile Partei.
       Vielleicht ist es ein Start-up im marode gewordenen Mutterkonzern, die Idee
       hatte Christian Lindner schon mal – nicht zu Ende gedacht. Vielleicht
       folgen zivilgesellschaftliche Bewegungen den beiden Signalfiguren. Den Rest
       holt irgendwann der Klabautermann.
       
       [3][Der Kreml stoppt das Getreideabkommen] mit der Ukraine. Ist Russland
       bald für eine internationale Nahrungsmittelkrise verantwortlich? 
       
       Man kann sich noch mal auf der Hirnrinde zergehen lassen, wie die deutsche
       Außenministerin circa monatlich bekannt gibt, mit dem Russen gebe es nichts
       zu verhandeln. Während circa monatlich mit dem Russen verhandelt wird. Die
       Getreide- und Gefangenenaustausch-Abkommen, die statt ihrer
       Menschenrechtsaktivist Erdoğan makelte, bargen Hoffnung. Sowohl was die
       Nahrungsmittelnot angeht, wie auch die Not im Krieg, ist das russische Njet
       ein morbider Erfolg der Siegfrieden-Jünger. Auf beiden Seiten.
       
       Laut einer Umfrage sind die meisten Deutschen dafür, an Kinder gerichtete
       Werbung für ungesundes Essen einzuschränken. Auch die Bundesregierung
       möchte das einschränken. Eigentlich logisch, doch Rechte regen sich auf.
       Warum? 
       
       Jedes deutsche Kind sieht im Schnitt täglich 15 Werbespots für Ungesundes.
       Talk-Auftritte von Alice Weidel nicht mitgerechnet. Die AfD vertritt einen
       Sack voller Verbote: Zuwanderung, Gendersprache, Rundfunkgebühren,
       schlechtes Wetter. Unterm Strich sind Rechte gegen Verbote, die sie nicht
       selbst fordern.
       
       [4][Pflegeplätze werden immer teurer]. Können wir es uns leisten, alt zu
       werden? 
       
       Die Pflegeversicherung scheiterte 1995 fast am Unwillen der Arbeitgeber.
       Schließlich wurde ein Feiertag geopfert. Das reicht nur, um die
       eigentlichen Pflegekosten abzudecken. Unterbringung und Ernährung zahlen
       die zu Pflegenden allein. Die große Lösung wäre also eine Vollversicherung,
       die das Gesamtrisiko abdeckt. Die Lobby der Arbeitgeber wird sich sofort
       schwer pflegebedürftig und strebendkrank hinlegen. Na ja, die können das
       bezahlen.
       
       Wäre am Sonntag Bundestagswahl gewesen, hätten nur 13 Prozent der Befragten
       die Grünen gewählt. Andererseits geben 74 Prozent der Deutschen an, um
       Wasserknappheit besorgt zu sein. Überrascht Sie der Widerspruch? 
       
       Viele BürgerInnen denken: „Wieso Klimawandel? Ich hab doch die Grünen
       gewählt!“ Ein Ablasshandel, der danebenging. Die Grünen als
       Convenience-Produkt funktionieren nicht, das Thema ist mit einem Kreuzchen
       auf dem Wahlzettel nicht wegdelegiert. Die Politik bauscht gern Themen auf,
       weil sie polarisieren oder schlicht lösbar sind. In diesem Fall dagegen
       Fluch der guten Tat: Vor allem die Grünen haben mit dem Klima ein Thema
       gesetzt, das sie nach menschlichem Ermessen weder bald noch allein werden
       lösen können. Die Umfragewerte sind also Ohrfeigen der Ehre.
       
       Der Deutschlandtrend zeigt, dass 47 Prozent der Befragten kein Interesse an
       der Fußball-WM haben. Im Auftaktspiel gegen Norwegen gelingt den
       Neuseeländerinnen der erste Sieg jeher. Haben Sie zugesehen? 
       
       Ich nehme Anstoß an den Anstoßzeiten. Aber heute Vormittag 10.30 Uhr klingt
       zivil.
       
       Und was machen die Borussen? 
       
       Nachdem Marco Reus die Kapitänsbinde abgegeben hat, werden viele seine
       pointierten Seitenlinien-Statements vermissen. Er nicht.
       
       23 Jul 2023
       
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