# taz.de -- Tote Hosen, Wells und Polt auf Tour: Punk mit Harfe
       
       > Die Toten Hosen, Gerhard Polt und die Gebrüder Well sind gute Freunde –
       > und mal wieder auf Tournee. Die Geschichte einer angekündigten Zumutung.
       
 (IMG) Bild: Die Toten Hosen, die Gebrüder Well und Gerhard Polt beim Proben
       
       Da stehen sie also am Freitagabend auf der Bühne des [1][Schlierseer
       Bauerntheaters]: neun alte Männer, die den Zenith ihrer Karriere längst
       überschritten haben. Der [2][Kabarettist Gerhard Polt hat sogar die 80
       schon hinter sich gelassen], die anderen sind allesamt klassische Boomer:
       [3][die Toten Hosen] und [4][die Well-Brüder Stofferl, Michael und Karli].
       Mitgebracht haben sie ein paar ihrer Evergreens: „Wünsch dir was!“ oder
       „Liebeslied“ von den Punks aus Düsseldorf, den „Willi“ oder „’s Lawinderl“
       von Polt und dazwischen das eine oder andere Gstanzl der Stubnmusiker aus
       Günzlhofen. Natürlich muss man da mit Polt fragen: Ja, [5][brauchts des]?
       
       Karten gibt es für die Tour eh kaum mehr, deshalb sei den oberflächlichen
       Lesern, die an dieser Stelle schon ausgestiegen sind, das gute Gefühl
       gegönnt, sie hätten nichts verpasst. Aber jetzt, wo sie weg sind, mal ganz
       unter uns: Natürlich braucht’s des! Natürlich handelt es sich nicht um eine
       allenfalls etwas schräge, genre-übergreifende Kompilation des Besten aus
       den Achtzigern, Neunzigern und von heute. Es ist die Fortsetzung einer
       langen Freundschaft, die hier auf der Schlierseer Bühne zelebriert wird –
       und das mit durchschlagendem Erfolg.
       
       ## Eine kulturelle Zumutung soll es sein
       
       Und Boomer? Ok. So what? Auch Bruce Springsteen rockt dieser Tage mal
       wieder die deutschen Stadien. Der Mann ist 73. Und zumindest eines hat er
       mit den neun Männern in Schliersee gemein: Sie haben’s alle noch drauf.
       Wobei diese recht spezielle Tour, auf die sich die Hosen-Polt-Well-Gang da
       begeben hat, ja nur deshalb zustande gekommen sein soll, weil Polt und die
       Well-Brüder unbedingt noch mal Nightliner fahren wollten. Behaupten sie
       zumindest in der Ankündigung. „Forever“ heißt die Tour und trägt den
       Untertitel „Eine kulturelle Aneignung“, wobei das Wort „Aneignung“
       durchgestrichen und durch „Zumutung“ ersetzt wurde.
       
       Dennoch hat man sich für das Programm kulturell allerhand angeeignet:
       Tote-Hosen-Schlagzeuger Vom und sein Gitarristenkollege Kuddel etwa
       Lederhosen. Breiti tauscht einmal die Gitarre gegen die Zither, Andi den
       Bass gegen das Hackbrett ein, und Campino spielt Alphorn. Polt wiederum
       trägt in einer fiktiven afrikanischen Sprache seinen Klassiker „Mambele“
       vor, und Karli Well führt einen Bauchtanz auf. Geht’s noch? Darf man das
       denn?
       
       ## Hosen und Brüder im Einklang
       
       Während die Toten Hosen sogleich „Entschuldigung, es tut uns leid“ singen,
       schimpft Polt los, wild mit einer Breze gestikulierend: Man dürfe ja heute
       überhaupt nix mehr sagen. Er entschuldige sich nicht. Stattdessen legt er
       dar, wie sehr ihm das Verständnis fehlt für eine Minderheit, die die
       Mehrheit schikaniert.
       
       Mit der Minderheit sind natürlich die „Kerndlfresser“ gemeint, also
       diejenigen, von denen CSU & Co. fürchten, dass sie uns bald alle
       zwangsveganisieren. Oder auch „die, wo sich hinbappen“ – im CSU-Sprech ist
       damit die sogenannte „Klima-RAF“ gemeint – aber keine Ahnung haben, „dass
       es in unserem Land Tausende und Abertausende gibt, denen es pressiert“. Und
       klar – der Kormoran, der Wolf, der Bär: Was wollen die alle hier? Und die
       Preißn! Überall sind sie, und „behaupten auch noch frech, sie wären wir“.
       Dabei sei es doch so einfach, erklärt Polt in bestechender Logik: „Kein
       Mensch ist bei uns gezwungen, eine Minderheit zu sein. Jeder kann sich der
       Mehrheit anschließen.“ Auch so ein Klassiker.
       
       ## Springen, johlen, tanzen
       
       Doch es ist keine Aneinanderreihung des Bewährten, die Nummern werden neu
       interpretiert, arrangiert. Polts „Willi“, [6][eine seiner frühesten
       Nummern], ist fast nicht wiederzuerkennen, offenbart aber einmal mehr Polts
       einzigartiges Talent als Darsteller des Menschen in all seiner Tief- und
       Abgründigkeit. Hosen und Brüder ihrerseits spielen fast immer miteinander,
       nicht – wie in der Vergangenheit mitunter – gegeneinander. Harfe und Tuba
       bereichern den Punk, Gitarre und Schlagzeug die Stube.
       
       Gemeinsam spielen sie „Du lebst nur einmal“ oder „You’ll Never Walk Alone“,
       aber auch den Schlager „Lass uns träumen am Lago Maggiore“. Und wo wir
       gerade bei Seen sind: Aus „Wannsee“, klar, wird Schliersee: „Schliersee,
       Schliersee, wann sehe ich dich endlich wieder?“ Ein Höhepunkt auch ein
       vermeintliches Mozartstück, das der Komponist in Hausen, dem ebenso
       vermeintlichen Heimatort der Wells, geschrieben haben soll, als er dort
       nach einer Kutschenpanne festsaß. Merke: Auf dem Weg von Wien nach Paris
       kommst du an Hausen nicht vorbei.
       
       Und als Campino schließlich „Forever Young“ von Alphaville anstimmt, ist es
       um das ohnehin dankbare Publikum gänzlich geschehen. Die rund 500
       Zuschauerinnen und Zuschauer springen auf, johlen, tanzen. Die Kombination
       aus Harfe, Punk und Satire sitzt.
       
       ## „Gleichverschiedenheit in Zusammenballung“
       
       Die Freundschaft der Toten Hosen mit den Wells und Polt dauert mittlerweile
       auch schon fast 40 Jahre. Beim Anti-WAAhnsinns-Festival gegen die
       Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf lernten sich die Punkband und die
       [7][Biermösl Blosn], in der Stofferl und Michael damals noch [8][mit ihrem
       Bruder Hans] spielten, kennen und spielten miteinander, wenn auch zunächst
       nur Fußball; Polt kam später dazu. Immer mal wieder traten sie miteinander
       auf, am Wiener Burgtheater, an den Münchner Kammerspielen, zuletzt 2017.
       
       Auf der Schlierseer Bühne nun beweisen alle Neune, dass Aristoteles eben
       doch recht hatte: Das Ganze ist mehr als seine Einzelteile. Oder um noch
       mal dessen Kollegen Polt zu zitieren: „Die Gleichverschiedenheit in unserer
       Zusammenballung verleiht uns die Pekularität!“ Die geradezu infektiös
       enthusiasmierte Stimmung auf der Bühne, das Jamsession-Artige, das Gaudium,
       das die Künstler ganz offensichtlich haben, tun das Ihrige.
       
       Es sind 15 besondere Orte, die man sich für die einmonatige Tour ausgesucht
       hat. Schliersee, gut 50 Kilometer südöstlich von München, ist nicht nur das
       Dorf, in dem Polt lebt und wo, wie Stofferl Well singt, Jennerwein die
       Jäger verdross und man den Problembären Bruno erschoss; auch die
       Veranstaltungsstätte selbst ist speziell: Das Bauerntheater gilt als das
       älteste Bayerns. Einst war es so berühmt, dass sein Ensemble sogar auf
       Amerika-Tournee ging, in der Metropolitan Opera spielte. Polt und seine
       Partner ihrerseits ziehen als nächstes weiter nach Freiburg, Altusried,
       Spalt und Jena.
       
       Zuletzt gab es noch Tickets [9][für Hamburg (Stadtpark, am 26.7.), Dresden
       (Junge Garde, 12.8.) und Hannover (Gilde Parkbühne, 13.8.)].
       
       17 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.schlierseer-bauerntheater.de/
 (DIR) [2] /Kabarettist-Gerhard-Polt-wird-80/!5851441
 (DIR) [3] https://www.dietotenhosen.de/
 (DIR) [4] https://well-brueder.de/
 (DIR) [5] https://www.keinundaber.ch/buecher/brauchts-des/
 (DIR) [6] https://yewtu.be/watch?v=ZeBWYCcwZno
 (DIR) [7] https://de.wikipedia.org/wiki/Bierm%C3%B6sl_Blosn
 (DIR) [8] https://www.hans-well.de/
 (DIR) [9] https://shop.dietotenhosen.de/index.php/n.213-Tickets/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominik Baur
       
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