# taz.de -- Freier Eintritt mit Eins im Zeugnis: Schifffahrt für alle!
       
       > Das Deutsche Museum in München gewährt Einser-Schüler*innen gratis
       > Eintritt. In der bayerischen Schifffahrt ist das Tradition. Das muss sich
       > ändern!
       
 (IMG) Bild: Was auf dem Zeugnis steht, ist wurscht, hier sollen alle kostenlos einsteigen dürfen
       
       Die Sonne glitzert auf dem Starnberger See, Wespen kreisen ums Eis, und
       kurz bevor es aufs Schiff geht, bitte noch mal Sonnencreme nachlegen! Seit
       Jahrzehnten bekommen Bayerns Schüler*innen mit einer Eins im Zeugnis in
       den Sommerferien Freifahrten bei der Bayerischen Seenschifffahrt.
       Tegernsee, Starnberger See, Ammersee, Königssee: Alle ganz wundervoll. Das
       Leben der Einserschüler*innen, glanzvoll, verschwitzt und trotzdem
       runtergekühlt von der sanften Seebrise.
       
       Meine Familie war nie mit uns auf einem dieser Schiffe. Damit waren wir
       nicht allein. Mal abgesehen davon, dass vor allem Kinder von
       [1][Akademiker*innen] gute Noten haben, steigt die Wahrscheinlichkeit,
       dass eines der Kinder keine Eins hat, je mehr Kinder man hat. Dann wird’s
       nicht nur teuer, sondern vor allem unfair und demütigend für die, die
       ohnehin schon wenig Erfolgserlebnisse durch die Schule haben.
       
       Die kostenlose Schifffahrt ist Tradition in Bayern. Und das Deutsche
       Museum, also das Technikmuseum Münchens und Bayerns, hat sich entschieden
       mitzumachen: [2][Wer eine Eins hat, durfte am ersten Ferientag, dem 31.
       Juli, kostenlos rein]. Das ist erst mal sehr nett. Aber damit übernimmt das
       Museum einen fetten Denkfehler. Denn alle Schüler*innen haben eine
       Leistung erbracht, die gewürdigt werden sollte, nicht nur jene, deren
       Zeugnis das offiziell bescheinigt.
       
       [3][Das Museum selbst hat inzwischen klargestellt], dass nächstes Jahr
       denjenigen Schüler*innen kostenloser Eintritt gewährt wird, die eine 5
       oder 6 in einem MINT-Fach haben. Das hatten auch diverse
       Kommentator*innen im Internet gefordert. Diese Kinder und Jugendliche
       für Naturwissenschaften zu begeistern, sie zu verwundern, faszinieren – das
       klingt erst mal schön. Doch es ist ein Trostpflaster für jene, die in dem
       gängigen Schulsystem versagen, und unfair gegenüber allen, denn alle haben
       Zuwendung und ja, Entschädigung für die Schulzeit verdient.
       
       ## Ferien, die Zeit ohne Leistungsdruck
       
       Die Schulnote an sich ist bereits Belohnung für Leistung. Sie öffnet
       Chancen am Arbeitsmarkt, auf den Studiengang in der Traumstadt. Wer gute
       Noten hat, wird von Lehrkräften oftmals weiter gefördert. Diese Förderung
       haben die Schüler*innen verdient. Aber eben auch jene, die keine guten
       Noten bekommen. Eine weitere Belohnung durch Schifffahrtsunternehmen, durch
       Museen, durch kulturelle, sportliche, staatliche, zivilgesellschaftliche
       Organisationen, Vereine, Firmen, ist abstrus. Sie haben keinen Einblick,
       welche Leistung die Schüler*innen tatsächlich erbracht haben. Und holen
       überdies den ohnehin schon so dominierenden Faktor Leistung in die einzige
       Zeit, die für Kinder und Jugendliche leistungsbefreit sein sollte: die
       Ferien.
       
       Schüler*innen haben Anfeindungen und Mobbing durch Lehrkräfte, System
       und Mitschüler*innen ausgehalten, ebenso wie den Schmerz, jeden Tag
       neben der unerfüllten Liebe zu sitzen, ohne fliehen zu können.
       Schüler*innen haben Mathe durchgestanden trotz Pubertät, Deutsch trotz
       Thomas Mann, Kunst trotz zwei linker Hände. Sie haben Religion überlebt und
       Chemie; haben all das durchgemacht, was sich Staat und Gesellschaft als
       Arbeitsstelle für Kinder und Jugendliche ausgedacht haben; sind durch ein
       System gelaufen, das sie fit machen soll für den leistungsorientierten
       Arbeitsmarkt und haben dabei – so sehr sich manche Lehrkräfte auch bemühen
       – erlebt, dass zu wenig Rücksicht auf sie als Individuen genommen wurde.
       
       Egal was auf dem Zeugnis steht: Alle Schüler*innen sollten in den Ferien
       freien Eintritt bekommen. In Theater, Galerien, Freibäder, ins Deutsche
       Museum und auf dem Schiffchen, das sie über den Starnberger See schippert.
       
       31 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Expertin-ueber-soziale-Ungleichheit/!5927075
 (DIR) [2] https://twitter.com/DeutschesMuseum/status/1684853051968933888?s=20
 (DIR) [3] https://twitter.com/DeutschesMuseum/status/1685643539059810304?s=20
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Johannes Drosdowski
       
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