# taz.de -- Neue Sprache, neue Medien, neuer Quatsch: Safe voll schwänz!
       
       > Meine alten Eltern haben Probleme mit Anglizismen und Podcasts, ich mit
       > Abkürzungen und Listen. Und jetzt? LMAA?
       
 (IMG) Bild: Kommunikation auf der Frankfurter Buchmesse: Dort war man schon 2013 am Puls der Zeit
       
       Einer der Lieblingsaufreger meines Vaters sind überflüssige Anglizismen. Er
       hat in der Schule in den 50er Jahren kein Englisch gelernt und es sich
       erstaunlicherweise – im Gegensatz zu den meisten anderen seiner vielen
       Fähigkeiten – nicht später selbst angeeignet.
       
       Von den Theaterstücken im Schauspielhaus oder von seiner Tageszeitung fühlt
       er sich mittlerweile [1][dauerdiskriminiert]. Sein Problem sind nicht
       Wörter wie Team oder Job, meine Eltern sagen auch selbst zappen, weil es
       seit dem Kabelfernsehzeitalter wirklich etwas anderes bedeutet als
       umschalten. Aber durch die inflationäre Verwendung von Begriffen, die wir
       genauso gut in unserer eigenen Sprache sagen könnten, wie Meeting, Screen
       oder Body, klingt es auf Englisch wohl einfach cooler.
       
       Meine Mutter fragte mich neulich, was eigentlich Podcast bedeutet. Seit
       Jahrzehnten hört sie dieselben Radioprogramme, entweder live (ein
       praktischer Anglizismus) oder aus der Mediathek. Doch seit einiger Zeit
       gibt es keine Sendungen mehr – jetzt ist alles [2][Podcast]. Ich fürchte,
       falls sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk damit bei jungen Hörern
       anbiedern möchte, kann er sich die Mühe sparen.
       
       Bei seinen Enkelkindern stört es meinen Papa glücklicherweise nicht, wenn
       sie etwa das schöne deutsche „abkacken“ durch das Denglische „ablosen“
       ersetzen. Doch wenn er in seiner Übersetzungs-App „stalk“ eingibt und ihm
       als deutsches Wort dafür „stalken“ angezeigt wird, flippt er aus.
       
       Erst bei Unterhaltungen mit meinen Eltern merke ich, wie viele englische
       Wörter ich selbst ständig in meine Sprache einwurste. Trotz leidlicher
       Englischkenntnisse komme ich bei der Bedeutung der vielen neuen Anglizismen
       selbst überhaupt nicht hinterher und bei den [3][Abkürzungen bin ich
       ohnehin raus]. Wenn ich endlich kapiert habe, dass „ASAP“ „as soon as
       possible“, also auf Norddeutsch „fix“ bedeutet (was kürzer ist als die
       Abkürzung), schreibt der nächste schon LMK unter seine Nachrichten, was
       „let me know“ bedeuten soll, also: „Sach’ an“.
       
       Am liebsten würde ich dann mit der einzigen mir aus Kindertagen bekannten
       Abkürzung kontern: LMAA! (Kleiner Tipp: Es steht nicht für „London Maritime
       Arbitrators Association“). Funfact (ein großartig furchtbarer Ausdruck):
       Neulich wollte ich etwas wie „Die 10 safe wichtigsten Englischen
       Abkürzungen, die Du unbedingt kennen musst“ lesen und bei Punkt 1 stand:
       RSVP, von „répondez s’il vous plaît “ (um Antwort wird gebeten) – ha, ha.
       
       Das ist überhaupt auch so eine behämmerte Mode, in Überschriften ständig
       eine Liste unentbehrlicher Hacks (Argh!) anzukündigen. Ich klicke auf
       nichts mehr mit Zahlen im Titel. Beim letzten Mal, als ich eine Liste mit
       fünf vermeintlich genialen Tricks geöffnet habe, wie man irgendwas im Wald
       findet (Zunderschwamm oder Kienspan oder so ein Hippiegedöns), stand auf
       Punkt 1, dass ich mir die Zeit nehmen solle, in die Natur zu gehen, und bei
       Punkt 2, dass ich dabei sehr achtsam sein müsse, und Punkt 3 lautete, dass
       ich Geduld bräuchte. Meine Geduld mit dem Artikel war da aber schon vorbei.
       
       Interessant, dass wir einerseits die Sehnsucht haben, alle Fragen in
       überschaubaren Listen mit 5 bis 20 Punkten abzuarbeiten und es andererseits
       einen Markt gibt für unzählige Podcasts, in denen Leute stundenlang
       herumlabern. Am Schlimmsten finde ich, wenn es gleich mehrere Hosts gibt
       (Gastgeber zu sagen, wäre lame), die sich Gesprächspartner einladen,
       trotzdem die ganze Zeit von sich selbst reden, und denen ich dann noch beim
       Essen zuhören soll.
       
       Das finde ich dann „schwänz“ (um es mal in der aktuellen Jugendsprache
       unserer Tochter auszudrücken). Wie „schwänz“ geschrieben wird und ob es
       sich dabei um einen „Deutschlicism“ handelt, der vielleicht auch noch
       männerfeindlich ist, weiß ich übrigens nicht zu sagen. Das wäre dann aber
       immerhin mal was Neues.
       
       2 Aug 2023
       
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