# taz.de -- Mobilität auf dem Dorf: Früher Trampen, heute Mitfahrbank
       
       > Menschen, die von A nach B wollen, setzen sich auf die Mitfahrbank und
       > warten. Mittlerweile gibt es davon bereits rund 1.000 auf dem Land.
       
 (IMG) Bild: Von hier aus ins nächste Dorf: Mitfahrbank in Baden-Württemberg
       
       PRIORT taz | Priort im Havelland, Brandenburg, Berliner Speckgürtel. Eine
       paar Straßen, viele Einfamilienhäuser und eine Auffahrt zur
       [1][Bundesstraße 5]. Viel ist hier nicht los, einige Autos fahren vorbei,
       die meisten Richtung Berlin. Eine einsame Bank steht etwas verloren am
       Straßenrand neben einer Bushaltestelle. An der Bank ist ein Schild.
       
       Es ähnelt einem Straßenschild. Aber anstelle von einem Straßen- stehen
       Ortsnamen darauf. Genauer: Es sind mehrere Schilder, die einfach
       aufgeklappt werden können. Zur Wahl stehen fünf Fahrtrichtungen: Elstal,
       Wustermark, Falkensee, Potsdam, Havelpark. Wohin man hier in Priort mit
       seinen 1.350 EinwohnerInnen halt am häufigsten will.
       
       Dann heißt es, hinsetzen und abwarten, bis jemand hält, der nichts dagegen
       hat, MitfahrerInnen zum Ziel zu bringen. Was zunächst wie eine ländliche
       Bushaltestelle aussieht, ist etwas ganz anderes. Nämlich eine Mitfahrbank,
       die [2][der Heimatverein vor vier Jahren gestiftet] hat. Das ist die
       infrastrukturelle Selbsthilfe von Priort.
       
       35 Kilometer. So weit ist es von hier bis nach Berlin gar nicht. Doch ohne
       Auto ist es für viele zu weit, direkte Busverbindungen gibt es nicht. Der
       einzige Bus kommt alle 60 Minuten. Höchstens. Die Bürger*innen helfen
       sich deshalb gegenseitig.
       
       ## Eine aus der Not geborene Lösung
       
       „Auf dem Land gibt es mehr Autos als Menschen, diese Autos müssen viel
       effizienter genutzt werden“, sagt Ursula Berrens zur Idee der
       [3][Mitfahrbänke]. Sie hat vor mittlerweile 9 Jahren die erste Mitfahrbank
       Deutschlands in Rheinland-Pfalz aufgestellt. „Das war eine aus der Not
       geborene Lösung und ist ein Armutszeugnis ländlicher Infrastruktur.“ Und so
       gibt es mittlerweile überall in Deutschland Mitfahrbänke. „Sie sind immer
       eine Ergänzung zum ÖPNV“, betont Berrens.
       
       Die Mitfahrbänke helfen auszugleichen, was die staatlich organisierte
       Infrastruktur in ländlichen Regionen versäumt. Dabei ist die Idee simpel:
       Menschen, die von A nach B wollen, setzen sich auf eine solche Bank, hängen
       das Schild mit ihrem Zielort auf und warten auf ein Auto, das in die
       gewünschte Richtung fährt. Modernes, organisiertes Trampen. Genau wie das
       klassische Den-Daumen-Raushalten ist das Ganze dezentral organisiert und
       funktioniert durch Kommunikation zwischen Fahrenden und Mitfahrenden.
       
       Doch der Weg zur Bank ist schwerer, als es scheint. Die Finanzierung müssen
       Kommunen oder Verbände selbst stemmen. Eine Mitfahrbank kostet im Schnitt
       1.000 Euro, sagt Berrens. Damit ist es noch nicht getan. Es ist auch viel
       Arbeit, alles am Laufen zu halten. Ohne die nötige Aufmerksamkeit werden
       die Bänke nicht genutzt. „Das System läuft nicht von allein“, sagt auch
       Martin Hovekamp, Vorstandsmitglied beim [4][Mitfahrverband], der sich für
       alternative Mobilität einsetzt.
       
       Denn: Viele auf dem Land wüssten oft gar nicht, dass die Bänke existieren.
       Hovekamp schätzt, dass derzeit rund 1.000 Mitfahrbänke in Deutschland
       stehen, davon ein Großteil an der Nordseeküste. Offizielle Zahlen gibt es
       nicht.
       
       ## Vorbild Frankreich
       
       Durch die Vereinheitlichung von Mitfahrgelegenheiten und einer App sollte
       es Fahrenden und Mitfahrenden einfacher gemacht werden, ihre Fahrten zu
       organisieren, schlägt Hovekamp vor. Frankreich ist dafür Vorbild. Dort
       bietet der Staat sogar finanzielle Anreize für die Mitnahme von Personen:
       Für 10 mitgenommene Gäste erhalten AutofahrerInnen 100 Euro. Außerdem
       würden dort mitgenommene Personen und Fahrten sogar protokolliert, da es
       eine App gibt, die alles aufzeichnet. So werde die Mitnahme effizienter und
       sicherer.
       
       Und natürlich auch klimafreundlicher: Im Schnitt ist ein Auto in
       Deutschland nur mit 1,4 Personen besetzt. Wenn diese Zahl durch
       Fahrgemeinschaften auf 1,8 Personen steigen würde, könnten pro Jahr 27
       Millionen Tonnen CO2 eingespart werden, rechnet Hovekamp vor. Das würde dem
       Verkehrssektor zumindest stark helfen, die deutschen Klimaziele zu
       erreichen.
       
       30 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Streit-um-Brandenburger-Erlebnisdorf/!5761468
 (DIR) [2] https://www.moz.de/lokales/brandenburg-havel/mobilitaet-erste-mitfahrbank-im-havelland-48983936.html
 (DIR) [3] /Betroffene-ueber-Fluthilfe-in-der-Eifel/!5864292
 (DIR) [4] https://mitfahrverband.org/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tim Kemmerling
       
       ## TAGS
       
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       Epirus.