# taz.de -- Die Wahrheit: Räuber mit Katapultpistolen
       
       > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (178): Die entsetzlich
       > nervigen Bremsen bringen sogar wahre Rossnaturen um den Verstand.
       
 (IMG) Bild: Wehrlose Pferde suchen die Bremsen am liebsten heim
       
       Dasselfliegen, auch Bremsen genannt, „sind breit gebaute, schnelle
       Raubfliegen, die durch ihre großen Augen auffallen“, heißt es auf
       medpets.de. Ein US-Tierethiker schildert seinen Umgang mit den Tieren: Wenn
       eine in das Haus eindringt, erschlägt er sie, draußen verscheucht er sie
       nur.
       
       Dasselfliegen sind eine „echte Plage“, schreibt der Entomologe Marco di
       Domenico im „Brevier der Verwandlungen“ (2023). Besonders in Italien, wo
       man ihre Fressfeinde, die Singvögel, zum Fressen gern hat. Ich hatte dort
       ständig blutige Hände, weil ich die Bremsen an meinem Pferd totschlagen
       musste: Sie legen ihre Eier an Hufen und Flanken. Wenn es juckt, leckt das
       Pferd sich dort und die Eier gelangen ins Maul, wo die Maden schlüpfen,
       sich häuten und in den Magen wandern, wo sie sich erneut häuten, um dann
       mit den Pferdeäpfeln in den Boden zu gelangen, wo sie sich verpuppen.
       
       ## Göttlicher Käfer
       
       „Schließlich schlüpfen aus den Puppen Fliegen ohne Mundwerkzeuge, die nur
       wenige Tage leben, ohne zu fressen, sich aber paaren und neue Eier an einem
       Säugetier legen. Dafür müssen die Weibchen den Wirt nicht mal berühren.
       Dank einem stark gebogenen Hinterleib werden die klebrigen Eier wie mit der
       Pistole auf ihn katapultiert.“ Ich brauchte die Tür des Pferdestalls in
       Italien nie zu schließen, sobald die Stute tagsüber ins Freie trat, wurde
       sie von Bremsen angefallen, woraufhin sie mit einem Satz in den Stall
       zurück sprang.
       
       Andere Vertreter aus der Familie der Dasselfliegen fallen Rinder und Schafe
       an. Diese magern dadurch ab und geben nicht mehr genug Milch. „Und hier, so
       denke ich mir, kam der Skarabäus ins Spiel“, schreibt Domenico – der
       ägyptische Mistkäfer: Er rollte den Kot dieser Nutztiere zu einer Kugel,
       die er und seine Nachkommen unter der Erde fraßen. „Damit fehlte den
       Dasselfliegenmaden ein entscheidendes Mosaiksteinchen in ihrem
       Lebenszyklus.“ Die ägyptischen Viehzüchter müssen in dem Skarabäus „einen
       wichtigen Partner im Kampf gegen die Dasselfliegen“ erkannt haben, denn er
       wurde von ihnen verehrt: „Ein Käfer im Rang einer Gottheit“, das gefällt
       dem Entomologen.
       
       ## Kollektivierte Insekten
       
       2020 fand im Tieranatomischen Theater der Berliner Humboldt-Universität
       eine Ausstellung mit dem Titel „Tiere (Be)Handeln. Parasitologie zwischen
       Ökonomie und Ökologie“ statt. Es ging um die Parasitenforschung in der DDR
       und in der Mongolischen Volksrepublik. Der waren Abmachungen zwischen den
       Ministerpräsidenten vorausgegangen, verbunden mit einem
       50-Millionen-Mark-Kredit der DDR. Es sollte damit eine „Aufbauhilfe“ für
       die Parasitenbekämpfung sowie eine Modernisierung der Wollteppich- und
       Lederindustrie geleistet werden. Die zu liefernde Technik sollte „mit
       Exporterzeugnissen ausgeglichen“ werden. Der „Zweck“ war eine „Steigerung
       der Produktion tierischer Erzeugnisse“. Die DDR war der wichtigste
       Handelspartner der Mongolei für Lederbekleidung und Teppiche. Im Gegenzug
       lieferte die DDR Maschinen, Saatgut, Milchkühe und Mittel zur
       Schädlingsbekämpfung.
       
       Damals wurde die „nomadische Viehwirtschaft“ der Mongolei in eine
       „industrielle Produktion mit Massentierhaltung“ umgewandelt. Dass sich
       daraufhin die Parasiten derart in den kollektivierten Herden verbreiten
       konnten, erklärten die Ausstellungsmacher mit den „zu engen
       Haltungsbedingungen, wodurch besonders die Lämmer gefährdet waren“, auch
       die in zu großen Herden geborenen Kamel- und Pferdefohlen sowie die Kälber.
       In den Ausstellungsvitrinen befanden sich konservierte Larven und Puppen
       der für Rinder besonders unangenehmen Dasselfliege – Hypoderma bovis, deren
       Larven sich durch die Haut und den Körper fressen, um zuletzt durch den
       Rücken des Rinds als Fliege ins Freie zu gelangen.
       
       Die deutsch-mongolische Kooperation bei der Parasitenforschung geht zwar
       weiter, bleibt aber anscheinend bei der im Westen vorherrschenden Meinung,
       wonach der Übergang vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit, woraus die ersten
       Stadtstaaten entstanden, ein zivilisatorischer Fortschritt war. Dabei war
       eher das Gegenteil der Fall.
       
       ## Blöder Herr
       
       Die Stadtstaaten in China, im Zweistromland und in Ägypten mussten
       Getreidesteuern erheben. Davor liefen ihnen jedoch die Bauern weg,
       woraufhin ihre bewaffneten Organe ausschwärmten und Sklaven herbeischaffen
       mussten. Bis zu den Griechen, den Römern und den US-Südstaaten wurde jede
       Arbeit von Sklaven erledigt. Aber nicht nur Steuern und Überfälle, auch die
       Krankheiten, Epidemien und Parasiten der auf engem Raum in einem Mauerring
       zusammengedrängten Menschen und Tiere veranlassten die Bewohner,
       fluchtartig das Stadtgebiet zu verlassen und sich den „Barbaren“
       anzuschließen. Die ersten Stadtstaaten existierten nicht lange, sie
       zerfielen in dezentrale kleine Gemeinschaften. Da halfen auch keine
       Mauern, die nicht nur gegen Überfälle von außen, sondern auch zur
       Verhinderung der Flucht aus dem Inneren errichtet wurden.
       
       Der Direktor des agrarwissenschaftlichen Programms der Yale Universität,
       James Scott, zitiert in seinem Buch „Die Mühlen der Zivilisation“ (2019)
       aus der Bibel: „Wo ein König viel Volks hat, das ist seine Herrlichkeit; wo
       aber wenig Volks ist, das macht einen Herrn blöde (Sprüche, 14:28)“. Scott
       spricht vom „Goldenen Zeitalter der Barbaren“, das jedoch nur so lange
       galt, bis sich die Staaten stabilisiert hatten, was immerhin bis ins 16.
       Jahrhundert dauerte.
       
       ## Stabilisierende Schädlinge
       
       Bezogen auf die mongolische Parasitologie, die identisch mit der an den
       Berliner Universitäten HU und FU gelehrten sein dürfte, hieße das, der
       Frage nachzugehen, ob die nomadische Lebensweise für Mensch und Tier nicht
       die bessere Krankheiten- und Parasitenbekämpfung ist? Zumal man nach der
       Wende die Kolchosen sowieso aufgelöst hat. Jeder Mongole bekam 100 Stück
       Vieh. Je nachdem: Schafe, Ziegen, Rinder, Yaks, Pferde, Kamele.
       
       Der mongolische Staat veröffentlicht jedes Jahr genaue Zahlen, danach
       richten sich seine Einnahmen durch die Besteuerung der wieder halbwegs
       nomadisierenden Viehzüchter. Allein in der Wüste Gobi gibt es heute 80
       Genossenschaften, alle werden von Frauen geleitet. Eine erzählte mir:
       „Unsere Genossenschaften ähneln zwar den Kolchosen, aber jetzt bestimmen
       wir selbst, was zu tun ist.“ Weil es naturgemäß nur wenige Mistkäfer und
       Singvögel in der Gobi gibt, müssen die dortigen Neunomaden notfalls
       weiterhin chemische Schädlingsbekämpfungsmittel einsetzen.
       
       Die Tierproduktion habe eine Schlüsselfunktion in der mongolischen
       Gesellschaft, hieß es in der Ausstellung der HU-Veterinärmediziner, wenn
       man die Parasiten nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch begreife,
       dann seien sie nicht bloß Schädlinge, sondern auch „Stabilisatoren“. Das
       wurde jedoch nicht weiter ausgeführt.
       
       18 Sep 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Helmut Höge
       
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