# taz.de -- Landtagswahl in Bayern: Die Jammer-Bayern
       
       > In Ostbayern erhält die AfD besonders viel Zuspruch. Dabei ist die Region
       > alles andere als strukturschwach. Warum wählen die Menschen dort rechts?
       
 (IMG) Bild: Wahlkampf ohne Inhalt: AfD-Kandidatin Katrin Ebner-Steiner beim Volksfest Gillamoos
       
       FREYUNG UND KARPFHAM, NIEDERBAYERN taz | Es gibt Dinge, gegen die würde
       kein Mensch wetten. Zum Beispiel, dass die CSU den Ministerpräsidenten in
       Bayern stellt, seit 1957 wird das Land stets von einem Konservativen
       regiert. Auch bei den [1][anstehenden Landtagswahlen] am 8. Oktober wird
       das wohl wieder so sein, bei der Partei von Ministerpräsident Markus Söder
       werden voraussichtlich mindestens 35 Prozent der Wählerschaft ihr Kreuz
       machen. Die einzig spannende Frage ist deshalb: Wer wird zweitstärkste
       Kraft im flächengrößten Bundesland? Drei Parteien liegen in Umfragen
       ungefähr gleichauf ([2][zwischen 12 und 17 Prozent]), es könnten die Grünen
       werden, die Freien Wähler – oder doch gar die AfD, mit der eine Koalition
       allerdings ausgeschlossen ist.
       
       Ministerpräsident Markus Söder (CSU) betont zwar gerne stolz, dass die AfD
       in Bayern keine große Rolle spiele und nicht so viel Zustimmung wie in
       anderen Bundesländern erhalte. Im Juli veröffentlichte das
       Meinungsforschungsinstitut Wahlkreisprognose jedoch [3][eine Umfrage], die
       Söders Bild ins Wanken bringt. Die AfD besitzt vier bayerische
       Stimmkreishochburgen, in denen für westdeutsche Verhältnisse ungewöhnlich
       viele Menschen ihr Kreuz bei der Partei setzen könnten.
       
       Ein Stimmkreis, Cham, liegt in der Oberpfalz, drei davon – Deggendorf,
       Passau-West und Freyung-Grafenau – liegen im angrenzenden Niederbayern. In
       Freyung-Grafenau könnten nach diesen Umfragewerten 31,5 Prozent der Stimmen
       auf die AfD entfallen, sie wäre dort nur einen halben Prozentpunkt hinter
       der CSU.
       
       Und diese Werte kommen nicht aus dem Nichts. Bei den Bundestagswahlen 2017
       und 2021 war der Osten Bayerns bereits das stärkste Gebiet der AfD, und
       ganz besonders der Stimmkreis Deggendorf. Bei beiden Wahlen wurden hier die
       höchsten AfD-Werte verzeichnet. 2021 waren es 14,4 Prozent, 2017 sogar über
       19 Prozent, im Landkreis Freyung-Grafenau – welcher bei der Bundestagswahl
       zum Stimmkreis Deggendorf gehört – durchbrach die Partei bereits vor sechs
       Jahren die 20-Prozent-Marke. Wie kann man sich den Erfolg der AfD hier
       erklären?
       
       In den USA wird gerne das Bild eines Gürtels herangezogen, um Regionen nach
       Merkmalen einzuteilen. Es gibt beispielsweise den „Bible Belt“, den
       Bibelgürtel, der Teile der Südstaaten beschreibt, wo besonders viele
       evangelikale Protestant*innen leben. Wenn man der ostbayerischen Region
       einen Namen geben wollte, könnte man sie den „Keine-Autobahn-Gürtel“
       taufen. Von Cham über Regen nach Freyung-Grafenau durchquert man drei
       Landkreise, die im Osten von Tschechien begrenzt werden, Freyung-Grafenau
       teilt sich sogar noch ein Stück Grenze mit Österreich. Zusammen besitzen
       sie eine Fläche von etwa 3.500 Quadratkilometern, ungefähr so groß wie das
       Saarland und Berlin zusammen – und haben keinen Autobahnzugang.
       
       Will man dort von einem Ort zum anderen, bleibt meist nur das Auto. Die
       Schienenanbindung in der Region gehört zu den schlechtesten Deutschlands
       und so zuckelt man über zweispurige Bundesstraßen hinter Lastwägen durch
       den Bayerischen Wald, der sich in der Region über eine Länge von 100
       Kilometern ausdehnt. Menschen, die dort leben, sagen meist, sie kommen aus
       dem „Woid“, dem Wald.
       
       Freyung ist eine kleine Kreisstadt mit knapp über 7.000 Einwohner*innen.
       Seit 15 Jahren leitet Olaf Heinrich die Geschicke der Stadt. Der CSU-Mann
       ist populär, bei der letzten Kommunalwahl 2020 wurde er mit über 94 Prozent
       der Stimmen im Amt bestätigt, zudem ist er Bezirkstagspräsident von
       Niederbayern. Bis 2006 war er Mitglied der Ökologisch-Demokratischen
       Partei, die er damals aufgrund inhaltlicher Differenzen verließ. Als er
       2013 in dieses Amt kam, war er mit damals 34 Jahren der jüngste
       Bezirkstagspräsident Bayerns nach dem Zweiten Weltkrieg.
       
       Im Rathaus von Freyung trägt er einen dunkelgrünen Anzug mit dicken
       Knöpfen, der halb nach Trachtenanzug, halb nach Försterkleidung aussieht.
       Der Vater war auch Forstbeamter, er selbst hat über die kommunale
       Profilierung von Freyung im ländlichen Raum promoviert. Wenn er spricht,
       dann in klaren, aber kurzen Sätzen. Er muss sich seine Zeit auch gut
       einteilen bei seinen zwei Jobs, er arbeitet 50 Stunden pro Woche in seinem
       Hauptamt als Bürgermeister – und 30 in seinem Nebenamt als
       Bezirkstagspräsident. Wie die Stimmung vor Ort ist? „Ich nehme schon wahr,
       dass die Zustimmungswerte für die AfD relativ hoch sind“, sagt Heinrich.
       Ein verfestigtes Wahlverhalten ist das für ihn aber nicht, er kenne
       niemanden, der überzeugt davon ist, dass die AfD Probleme gut lösen kann.
       
       Ein Unterschied im Vergleich zu anderen Teilen Bayerns liegt für Heinrich
       darin, dass der Wohlstand in die Region des Bayerischen Waldes sehr viel
       später gekommen sei. Dieser sei „extrem hart erarbeitet“. Dass die meisten
       Menschen eher einer körperlichen Arbeit nachgehen, belegen neue Zahlen der
       Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Wenn man im Bild der Gürtel bleiben will:
       Von der nördlichen Oberpfalz bis hin zum südlichen Niederbayern reihen sich
       einige der Landkreise mit der geringsten Akademisierungsquote. In
       Freyung-Grafenau liegt diese bei 7,31 Prozent, der zweitniedrigste Wert in
       ganz Deutschland. Zum Vergleich: In München haben 40 Prozent der Menschen
       einen Hochschulabschluss.
       
       Bei den letzten beiden Bundestagswahlen zeigte sich, dass die AfD kaum von
       Akademiker*innen gewählt wird. Bei der Wahl 2017 machten 7 Prozent der
       Akademiker*innen ihr Kreuz bei der Partei, vier Jahre später 6
       Prozent. Dennoch: Am beliebtesten bei Menschen mit einfacher Bildung waren
       mit weitem Vorsprung Union und SPD.
       
       „Es gibt Menschen, die sitzen am Tag vier, viereinhalb, fünf Stunden im
       Bus, um in einem großen Automobilwerk zu arbeiten“, sagt Heinrich. Das
       große Automobilwerk ist das von BMW, in Niederbayern hat das Unternehmen
       zwei Standorte, in Landshut und Dingolfing. Das Werk in Dingolfing ist
       eines der größten von BMW weltweit, 18.000 Mitarbeiter*innen sind dort
       beschäftigt. 115 Kilometer sind es von Freyung dorthin, die BMW-Werksbusse
       sind oft eine der wenigen Buslinien durch die Dörfer.
       
       Aber deswegen die AfD wählen? Heinrich führt an, diese Leute hätten jetzt
       einen gewissen Wohlstand erreicht, ein Haus gebaut und durch die „multiplen
       Krisen, die es momentan gibt, große Angst, das zu verlieren.“ Mechanismen,
       die der Politikwissenschaftler Tassilo Heinrich, der das Wahlverhalten in
       ostbayerischen Regionen untersucht hat, bestätigen kann. „Man hat Angst,
       etwas zu verlieren, wenn man tatsächlich etwas hat.“ Viele aus der
       AfD-Wählerschaft seien Ende 40, Anfang 50, da fange man an, sich Gedanken
       über die Rente und mögliche Altersarmut zu machen.
       
       Es ist eine typische Erklärung für den vermeintlichen Erfolg der AfD:
       Wähler*innen fühlen sich abgehängt. Dass dies auch auf die Menschen in
       Freyung-Grafenau zutrifft, das will Heinrich „überhaupt nicht
       unterschreiben“. Das sieht auch die Studie der FES so. Alle ostbayerischen
       Landkreise zählt sie zumindest zu der Kategorie „Deutschlands solide
       Mitte“. Die Mediangehälter liegen bei etwa 3.300 bis 3.400 Euro brutto im
       Monat, die Mietkostenbelastung ist durchschnittlich. Die Altersarmut
       pendelt zwischen 1 und 2 Prozent, die Kinderarmut bewegt sich meist im
       mittleren einstelligen Bereich, kein Vergleich zum Ruhrgebiet oder
       [4][Berlin], wo diese weit über 20 Prozent beträgt.
       
       Menschen ziehen eher in die Landkreise als davon weg, das Wanderungssaldo
       ist positiv. Gerade beim Nachwuchs an jungen Arbeitskräften ist der
       Unterschied zwischen Ostbayern und Ostdeutschland gewaltig. In weiten
       Teilen der neuen Bundesländer kommen auf 100 Beschäftigte im Alter von 50
       bis 65 Jahren nur meist 30 bis 40 Beschäftigte unter 30 Jahren, in
       Niederbayern überschreiten die Werte oft die 70er-Marke. Und auch bei den
       Investitionen gehört Niederbayern zur Bundesspitze. Je Einwohner*in
       werden dort meist über 800 Euro in den Kommunen investiert, in weiten
       Teilen Deutschlands werden nur wenige hundert Euro pro Bürger*in
       ausgegeben.
       
       Heinrich sieht drei Themen, welche die Menschen vor Ort bewegen und für
       Frustration sorgen: Migration, Energie und Wirtschaft. Themen, die sich oft
       auf regionaler Ebene kaum lösen lassen, da der Bund in der Verantwortung
       steht. Das spiegelt sich auch bei der AfD wider: Sie setzt vor Ort kaum auf
       lokale Themen. Unter Plakaten von Heinrich hängt der AfD Kreisverband
       Freyung-Grafenau beispielsweise eigene mit dem Konterfei ihrer
       Spitzenkandidat*innen Katrin Ebner-Steiner und Martin Böhm. „Nie
       wieder Lockdowns“ steht darauf geschrieben, obwohl es gerade überhaupt
       keine Coronamaßnahmen gibt. Und der Deggendorfer Kreisverband
       veröffentlichte [5][auf Facebook] ein Bild, auf dem steht, dass 75 Prozent
       der Bevölkerung unzufrieden mit der Ampelregierung seien.
       
       Dass der Wahlkampf so von bayerischen Themen entkoppelt wird, daran sind
       auch Mitglieder der Unionsparteien schuld. Ministerpräsident Söder
       twitterte Anfang September: „Ja zu Bayern, Nein zur Ampel!“ Für den
       Politikwissenschaftler Heinrich ergeben sich da Parallelen zur Landtagswahl
       2018. Schon da hätten „kaum bayerische Themen stattgefunden, es war
       definitiv ein Referendum über die Bundesregierung“.
       
       Auch ein Blick in das [6][148 Seiten umfassende Parteiprogramm] der AfD zur
       Landtagswahl zeigt: Mit vielen spezifisch bayerischen Forderungen geht die
       Partei nicht ins Rennen, stattdessen zieht sich der bundesweite Duktus
       durch das Blatt: Es werden Ängste vor einer „Islamisierung“ geschürt, gegen
       das Gendern und angebliche ideologische Zwänge gewettert. An den Auftritten
       der AfD im Internet und in sozialen Medien kann die Zustimmung auch kaum
       liegen. Während der Deggendorfer Kreisverband immerhin noch Veranstaltungen
       aus dem November 2021 auf seiner Termineseite ausweist, kann die Seite beim
       Chamer Ableger nicht korrekt dargestellt werden – und Freyung-Grafenau
       besitzt nicht einmal eine Website.
       
       Dass die AfD hier wegen bundespolitischer Themen gewählt wird,
       unterstreichen auch die Ergebnisse der letzten Kommunalwahl. 2020
       erreichten sie etwas über sechs Prozent bei der Wahl zum Kreistag, was vier
       Sitzen entspricht. „Unauffällig“ seien die Abgeordneten dort aber seitdem
       geblieben, besonders viele Anträge haben sie nicht gestellt. Vor zwei
       Jahren traten sie das einzige Mal in den Regionalmedien in Erscheinung. Sie
       versuchten vergebens, ein Ordnungsgeld gegen die Fraktion der Grünen
       durchzusetzen, weil sich deren Abgeordnete bei einer Abstimmung enthalten
       hatten, um ein Anliegen nicht zusammen mit der AfD durchsetzen zu müssen.
       
       Im Stadtrat von Freyung findet man gar keine*n Vertreter*in der AfD,
       sie waren nicht angetreten. Vor Ort sei die Partei kaum präsent, sagt
       Heinrich. Und das, obwohl der Stimmkreis Deggendorf der Heimatwahlkreis von
       Ebner-Steiner ist. „Veranstaltungen gibt es höchst selten, ich würde sagen
       eine im Jahr, Infostände sind es in den Wahlzeiten natürlich deutlich
       mehr.“ Die Leute, die dort hingehen, seien ein harter Kern von aktiven
       Wahlkämpfer*innen.
       
       Im kleinen Örtchen Karpfham im Landkreis Rottal-Inn, 30 Kilometer
       südwestlich von Passau, wird an einem Donnerstag Ende August das Karpfhamer
       Fest eröffnet. Ein Volksfest, wie es viele in [7][Bayern] gibt, ein Ort, wo
       Bier aus Maßkrügen die einzig legale Droge ist und das auch so bleiben
       soll. „Oans wie koans“, „eines wie kein anderes“, lautet der Wahlspruch des
       Festes. Angegliedert ist die Rottalschau, eine der größten
       Landtechnikmessen Deutschlands, Traktoren und anderes schweres Gerät stehen
       dort.
       
       Es ist Punkt 18 Uhr, das Fest hat gerade begonnen und der Kreisverband der
       AfD Rottal-Inn hat zum Treffen an der Polizeiinspektion neben dem Festplatz
       gebeten. Zahlreiches Erscheinen sei gewünscht, wurde auf Facebook
       angekündigt, alle in blauen T-Shirts würden ein Freibier bekommen. Vor dem
       Gebäude stehen drei Personen. Einer davon ist der Landtagskandidat Dietmar
       Seidl, weißes Haar und Hemd, dunkelblaue Trachtenweste, lange Lederhose und
       dunkelblaue Schuhe. Mit ihm gemeinsam wartet ein Mann mittleren Alters,
       ebenfalls lange Lederhose, Hut, AfD-Shirt, und eine Frau, die sich auch an
       den blauen Dresscode hält.
       
       Warum sie AfD wählen? „Die AfD steht für Heimatschutz, für das arbeitende
       Volk“, sagt der Mann mit Hut, Taxifahrer von Beruf. Und im selben Atemzug,
       ohne dass danach gefragt wurde: „Wir sind keine Nazis und auch keine
       Rechtsextremisten.“ In der Presse würden sie so dargestellt werden,
       pflichtet ihm die Frau bei. Dass sie in Niederbayern hohe Werte erzielen,
       liege ihrer Meinung nach an Leuten, die aus dem CSU-Lager wechseln. CSU und
       Freie Wähler seien für sie nicht wählbar, vor allem die Union sei unter
       Merkel nach links abgedriftet, sagt Seidl. „Wir hätten die AfD nicht
       gebraucht, wir waren früher CSU-Stammwähler“, seine Begleiter*innen
       stimmen zu. „Wenn der Franz Josef Strauß wieder auferstehen würde, wäre er
       in der AfD“, sagt der Mann mit Hut mit breitem niederbayerischem Akzent.
       „Oder wir alle in der CSU“, lacht die Frau.
       
       Die AfD würden sie nicht wählen, weil es ihnen aktuell schlecht gehe, sagen
       beide. „Aber es wird schlechter“, befürchtet der Taxifahrer. Er kann seine
       Zukunftsängste dann aber nicht näher begründen. Auch die FES-Studie sieht
       den Landkreis für die Zukunft eigentlich gut aufgestellt. Genau wie
       Freyung-Grafenau und alle anderen Landkreise in der Region bezeichnet die
       Studie Rottal-Inn als „resilienten ländlichen Raum“. Den meisten
       westdeutschen Gegenden und so gut wie allen ostdeutschen Kreisen werden
       schlechtere Zeugnisse ausgestellt.
       
       Ob die drei die AfD wegen der Bundespolitik wählen würden, oder wegen der
       Politik in Bayern? Zum ersten Mal muss Seidl stutzen. „Beides“, sagt er
       dann, obwohl er auf Nachfrage kein konkretes lokales Projekt nennt. Der
       Taxifahrer deutet auf die Straße, über welche die Menschenmassen Richtung
       Eingang des Festes strömen. Er zeigt auf die Trachten, man sieht viele
       Lederhosen, Westen, Jancker und Dirndl. „Bayern ist sehr mit der Tradition
       verbunden.“ Einmal bleibt ein Mann mit seinem Sohn kurz stehen, drückt
       seine Unterstützung aus. Er sei aber nicht von hier, komme aus dem
       fränkischen Bamberg. „Vor zwei Jahren war das noch anders“, meint der
       Taxifahrer. „Jetzt zeigt von 20 Leuten einer den Stinkefinger und die
       restlichen 19 recken den Daumen hoch.“
       
       Zwanzig Kilometer weiter, in Pfarrkirchen, steht am Ortseingang ein
       unscheinbares Haus. Hier im Lokal Grün sitzt der Kreisverband der Grünen
       Rottal-Inn, die Kreisrätin Mia Goller empfängt. Die 45-jährige vierfache
       Mutter hat als Landratskandidatin bereits 23 Prozent geholt, das beste
       Ergebnis der Grünen niederbayernweit. Die gelernte Journalistin bietet ihr
       eigenes Bier an, „Mia Bier“. Gibt’s das auch alkoholfrei? „Na, wir sind in
       Niederbayern“, lacht sie. „Ich verstehe es nicht, warum die Leute hier auf
       die Idee kommen, dass die AfD eine gute Idee ist, die Menschen in
       Niederbayern werden gehört von der Politik“, sagt sie. Es gebe ausreichend
       politische Bildung, den Leuten gehe es gut, man habe BMW, viele
       Arbeitgeber, den Tourismus.
       
       ## Grüne als Feindbild
       
       Dass man da im Bierzelt Stammtischparolen von sich gibt, könne sie ja
       gerade noch verstehen, aber „dass man wirklich sonntags hingeht und die
       wählt, das verstehe ich nicht.“ Schließlich mache die AfD feindliche
       Politik für die Leute, die sie wählen, mache „keine Politik für
       Geringverdiener, die kümmern sich eigentlich nur um die, die richtig gut
       verdienen.“ Auch die drei AfD-Abgeordneten, mit denen sie im Bezirkstag
       sitzt, seien keine schlecht situierten Menschen, sondern eine Lehrerin, ein
       Vertriebsleiter und ein Kaufmann.
       
       Gerade auf Facebook merkt Goller eine zunehmende Feindseligkeit, die Grünen
       sind das Hauptfeindbild der AfD-Anhänger*innen. Der Politikwissenschaftler
       Heinrich übt sich in einer Erklärung: Bei der Debatte über das
       Gebäudeenergiegesetz standen die Grünen mit dem zuständigen Minister Robert
       Habeck sinnbildlich für die nach wissenschaftlichen Fakten effiziente, aber
       gefürchtete Wärmepumpe. Katharina Schulze, die Spitzenkandidatin für die
       Landtagswahl, wurde zuletzt auf einer Veranstaltung beschimpft, gerade die
       Frauen bei den Grünen würden angegangen.
       
       Goller erzählt von einer Mitarbeiterin im Lokal Grün, die Angst habe, dort
       zu arbeiten. Auch Goller glaubt, dass die AfD vor Ort wegen
       bundespolitischer Themen gewählt werde. Niederbayern hänge sehr am
       Verbrenner, nicht zuletzt, weil BMW dort ein wichtiger Arbeitgeber ist.
       „Die denken, wenn sie AfD wählen, können sie den Klimawandel abwählen.“
       
       Während des Gesprächs mit Goller läuft gerade medial die Aiwanger-Affäre
       heiß: Ob Vizeministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) aufgrund der
       in seiner Schulzeit bei ihm gefundenen [8][antisemitischen Flugblätter]
       zurücktreten muss? Einer klaren Antwort weicht sie aus und betont, dass die
       Freien Wähler trotz allem die Leute abfangen können, bevor sie die AfD
       wählen. Wenige Tage später entscheidet Söder, ihn trotz schwammiger
       Antworten [9][im Amt zu behalten]. Die Freien Wähler gewinnen in Umfragen
       trotz des Skandals bis zu 4 Prozent dazu, ohne dass die AfD an
       Prozentpunkten verliert.
       
       Die Grünen-Politikerin stört, dass derzeit kein breites Bündnis der
       Demokrat*innen gegen die AfD in Sicht ist. Mitte August gab es im nahe
       gelegenen Eggenfelden eine Demonstration unter dem Motto „Gesellschaft
       schützen, Demokratie verteidigen“. Die Freien Wähler stellten nur ihr Logo
       für das Plakat zur Verfügung, die CSU war nicht einmal auf diesem
       vertreten. Dennoch verteidigt Goller die Partei. Sie komme aus einem
       CSU-Haushalt, sei mit Strauß’ Bild an der Wand aufgewachsen, ihr Vater habe
       um ihn getrauert. „Aber mit dem rechten Gedankengut zu flirten, das habe
       ich persönlich von der CSU bisher nicht erlebt. Das ist neu und sehr
       erschreckend.“
       
       Am Ende kann sich niemand wirklich erklären, wieso die AfD genau hier in
       Ostbayern so viel Zuspruch erfährt, nicht mal die AfD selbst. Die
       bayerische AfD ist einer der zerstrittensten Ableger, die Fraktion im
       Landtag spaltete sich fast während der Legislaturperiode. Sie ist auch eine
       der extremsten Landesverbände, erst kürzlich bestätigte der Bayerische
       Verwaltungsgerichtshof, dass der Verfassungsschutz die AfD in Bayern
       [10][als Gesamtpartei beobachten darf.] Auch der Politikwissenschaftler
       Heinrich sieht keine einfache Antwort, sondern einen Mix aus verschiedenen
       Faktoren. Die Regionen ohne große urbane Zentren, dazu die Angstnarrative
       vom Abstieg sowie die Migrationsströme, welche über die Bahnlinie durch
       Österreich 2015 nach Deutschland kamen.
       
       Eins scheint jedoch sicher: Eine AfD-Wahl ist keine Faktenwahl, sondern
       eine Emotionswahl. Auch in der eigentlich heilen ostbayerischen Welt
       kontrollieren die Ampelparteien angeblich das heimische Thermostat und
       zwingen zum Gendern. In dieser Welt ist Angela Merkel immer noch
       Schattenkanzlerin einer angeblich zu linken Union und nicht mal ein Hubert
       Aiwanger rechts genug. Egal ob Cham, Deggendorf, Freyung-Grafenau oder
       Rottal-Inn: Am 8. Oktober wird nicht München gewählt, sondern Berlin.
       
       21 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [4] /Kinderarmut-in-Berlin/!5943402
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 (DIR) CSU-Parteitag in München: „Schwarz-Grün isch over“
       
       Markus Söder hat seine Partei hinter sich – fast einstimmig wählt sie ihn
       erneut zum Chef. Eine Prozentzahl für die Landtagswahl verspricht er nicht.
       
 (DIR) Aiwanger im Interview: Fragen ohne Antworten
       
       Der bayerische Minister Aiwanger äußert sich in einem Interview zur
       Flugblatt-Affäre. Nicht alles, was er sagt, kann veröffentlicht werden.
       
 (DIR) Verfassungsschutz in Bayern: AfD unter Beobachtung
       
       Wenige Wochen vor der Landtagswahl stellt ein Gericht in Bayern fest: Die
       AfD steht im Freistaat als gesamte Partei im Fokus des Verfassungsschutzes.
       
 (DIR) Markus Söder im Wahlkampf: Der Würstchen-Populist
       
       Markus Söder schürt Ängste und nimmt es mit Fakten nicht so genau. Stellt
       sich in Bayern im Herbst ein kleiner Trump zur Wiederwahl?