# taz.de -- Essay von Judith Butler: An der israelischen Realität vorbei
       
       > Judith Butler wirft Israel „kolonialen Rassismus“ vor. Nur leider passt
       > das Denk-Schema nicht auf das multiethnische Land.
       
 (IMG) Bild: Linke VordenkerInnen wie Butler und ihre Jünger? Fridays for Future in Lund, Schweden (Archivbild)
       
       Die Philosophin Judith Butler bemüht sich, die moralische Empörung über den
       Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober [1][in die Bahnen eines Diskurses der
       „Geschichte der Gewalt“ zu lenken], wobei sie – entgegen ihrem eigenen
       Anspruch – ein sehr verzerrtes Bild der Realität zeichnet. Butler
       verurteilt [2][in ihrem Essay im Freitag] zwar den Angriff der Hamas,
       möchte ihn aber als Teil einer „Geschichte der Gewalt“ verstanden wissen.
       Ihre Aufforderung, sich in die Geschichtsbücher zu vertiefen, wird jedoch
       dadurch konterkariert, dass sie an „Schrecken der letzten siebzig Jahre“
       ausschließlich palästinensisches Leid beschreibt.
       
       Kein Wort von den Angriffskriegen, die Israels arabische Nachbarländer
       einen Tag nach der Gründung des jüdischen Staates oder 25 Jahre später an
       Yom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, vom Zaun brachen, oder von den
       zahllosen Terroranschlägen auf die israelische Zivilbevölkerung in den
       vergangenen Jahrzehnten. Für Butler ist Israel nur ein Staat, der „in
       Gewalt gegründet wurde“. Dabei war der Zionismus, also die Idee eines
       eigenen jüdischen Staates, im Kern eine Befreiungsbewegung des jüdischen
       Volkes gegen den Antisemitismus, den es in der Diaspora, vor allem in
       Europa, erfahren musste.
       
       Dass rund die Hälfte der jüdischen Bevölkerung Israels ihre Wurzeln in
       Nordafrika und dem Nahen Osten hat, scheint Butler in ihrem Vorwurf des
       „kolonialen Rassismus“ nicht nachdenklich zu machen. Während Butler
       wiederholt antipalästinensischen Rassismus anprangert, spricht sie
       gleichzeitig nur von „dem böswilligen Vorwurf des Antisemitismus“ im
       Zusammenhang mit „Israelkritik“-Kritik – eine mehr als bedenkliche
       Leerstelle angesichts des weltweit grassierenden und durch die Ereignisse
       in Nahost sprunghaft angestiegenen Antisemitismus.
       
       Butler ist unbestreitbar [3][eine bedeutende zeitgenössische Philosophin],
       aber ihr Essay über den Terror der Hamas (den sie nicht als solchen
       benennt) lässt an das lateinische Sprichwort „Si tacuisses, philosophus
       mansisses“ (Wenn du geschwiegen hättest, wärest du ein Philosoph geblieben)
       denken.
       
       5 Nov 2023
       
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