# taz.de -- Meisterwerk von João Donato: Gänsehaut auf dem Arsch
       
       > „A Bad Donato“, das bedeutendste Werk des Künstlers João Donato wird
       > wiederveröffentlicht. Warum seine Musik immer noch unerreicht klingt.
       
 (IMG) Bild: So lässig, so melancholisch sweet, so hart funky: Joao Donato auf dem Cover
       
       Leider passiert es nicht oft, dass ein aufstrebendes junges Label einem
       Musiker, den es toll findet, eine „Carte blanche“ gibt, ihm sagt: Was immer
       du machen willst: Mach es! Wir sorgen dafür, dass du es kannst. – So wird
       in der Musikindustrie eigentlich nicht agiert, aber wenn es dann doch
       mal passiert, kann dabei ein generationenüberdauerndes Meisterwerk
       entstehen, ein Album wie „A Bad Donato“.
       
       Das Jahr war 1970 und der brasilianische Pianist und Komponist João Donato
       lebte seinerzeit schon seit elf Jahren in den USA. Dort angekommen war der
       Begriff „Bossa Nova“ außerhalb Brasiliens noch völlig unbekannt.
       
       Er hielt sich also an andere lateinamerikanische Musiker und Stile, spielte
       eine Weile in der Band des Vibrafonisten Cal Tjader und mit Mongo
       Santamaria, auf Alben von Jazzgrößen wie Cannonball Adderley und Bud Shank,
       bis ihn schließlich doch noch der Bossa-Boom erwischte und er für eine
       Weile musikalischer Direktor von Astrud Gilberto wurde.
       
       ## Angemieteter Ersatzbegleiter
       
       Nun war die brasilianische Welle langsam am Abebben. Also dachte er nicht
       lange nach, als ihm angeboten wurde, mit der Band Bossa Rio auf
       Japan-Tournee zu gehen. Als angemieteter Ersatzbegleiter waren Donatos
       musikalische Freiheiten auf der Tour naturgemäß begrenzt.
       
       Sein Glück war, dass es sich Bob Krasnow, Chef des Labels Blue Thumb, auf
       dem die Bossa-Rio-Platten veröffentlicht wurden, nicht nehmen ließ, die
       Tour persönlich zu begleiten. Donato bekam zwar selten mehr als acht Takte,
       um sich solistisch zu entfalten, aber das reichte, um Krasnow zum Fan zu
       machen.
       
       Wie Donato dem US-Musikmagazin Wax Poetics erzählte, sagte Krasnow
       irgendwann zu ihm: „Jedes Mal wenn du ein Solo spielst, bekomme ich eine
       Gänsehaut auf dem Arsch.“ Und er lud Donato ein, ein Soloalbum für Blue
       Thumb zu realisieren, „was auch immer du machen willst und mit wem auch
       immer du es machen willst“.
       
       Zurück in Kalifornien hatte Donato das Angebot schnell wieder vergessen,
       bis ihn eines Tages der Percussionist Emil Richards anrief und sagte: „Bob
       Krasnow dreht durch, weil er dich nicht findet. Ich soll mit dir die Platte
       machen, die er dir versprochen hat.“ [1][Zu dem Zeitpunkt hatte Donato seit
       fünf Jahren keine eigenes Album mehr gemacht.] Die letzte war das
       Bossa-Easy-Listening-Album „The New Sound Of Brazil“, das der Münchner
       Arrangeur Claus Ogerman (Jobim, Frank Sinatra) betreut hatte, und auf dem
       der Künstler eigentlich weniger in Erscheinung getreten war als der
       Arrangeur.
       
       Das sollte jetzt anders werden – Donato entwickelte einen Matchplan. Auf
       dem Album sollten nicht wieder „schöne Lieder mit schönen Streichern“
       landen, sondern die Musik sollte den aktuellen Stand der Dinge einfangen
       wie charakterisiert durch Jimi Hendrix’ Gitarrenlärm und Janis Joplins
       rauen, expressiven Gesang: Sie sollte lärmig werden.
       
       Also kaufte sich Donato einen Stapel aktueller Werke, aber das Hippiezeug
       gefiel ihm nicht. Die einzige Platte aus dem Stapel, die ihn inspirierte
       und mit der er sich eingehend beschäftigte, war ein Album von
       Soul-Godfather James Brown. Auftritt: Emil Richards. Richards war zu diesem
       Zeitpunkt einer der am besten beschäftigen Studio-Percussionisten, Mitglied
       der legendären L. A. Wrecking Crew und darüber hinaus seit vielen Jahren
       festes Mitglied von Frank Sinatras Tourband.
       
       ## Komplette Gamelan-Gong-Sets
       
       Wenn Sinatra auf Konzertreise ging, pflegte er in einem Privatflugzeug zu
       fliegen, und das hatte für Richards den Vorteil, dass er sich auf Tourneen
       tonnenweise Percussions kaufen konnte, darunter auch komplette
       Gamelan-Gong-Sets, ohne sich um etwaige Gepäckrestriktionen Sorgen machen
       zu müssen.
       
       Richards begeisterte sich aber nicht nur für die Instrumente, sondern auch
       die musikalischen Konzepte, die zu den Percussioninstrumenten gehören. So
       begann er auf seinen eigenen Alben nicht nur mit ungeraden Takten zu
       experimentieren, sondern auch mit Mikrotonalität, also einer
       Musikauffassung, bei der anders als bei der wohltemperierten europäischen
       Tonalität, die Tonleiter nicht aus zwölf, sondern aus viel mehr Schritten
       besteht.
       
       In den 1960er Jahren freundete er sich mit dem Avantgardisten,
       Instrumentenbauer und Musiktheoretiker Harry Partch an, der ein tonales
       System entwickelt hatte, bei dem die Tonleiter aus 43 Schritten bestand. Um
       dieses System hörbar zu machen, musste Partch neue Instrumente entwickeln,
       und Richards wurde Teil von Partchs Cloud Gate Ensemble, das dessen
       Kompositionen auf diesen Instrumenten aufführte und aufnahm. Diesen
       außergewöhnlichen Musiker wählte Bob Krasnow aus, um Donatos Album zu
       produzieren.
       
       ## Wurlizer, Fender, Hohner
       
       Donato fehlten derweil, nachdem er sich mit zeitgenössischen Alben
       eingedeckt hatte, nun noch die amtlichen Sounds. [2][Also besorgte er sich
       das Neueste, was die explodierende Ökonomie elektronischer Keyboards zuvor
       ausgespuckt hatte]: Orgeln, E-Pianos sowie allerlei Effektgeräte – alles,
       was zuletzt in den Laboratorien von Wurlitzer, Fender und Hohner zur
       Marktreife getrieben worden war. Er hatte eine Woche Zeit, bevor die
       Aufnahmen beginnen sollten, um den Umgang mit den neuen Tools zu lernen,
       was nicht zuletzt deshalb kompliziert war, weil er die
       Bedienungsanleitungen nicht immer verstand.
       
       Hört man sich „A Bad Donato“ an, hat er jedoch alles richtig gemacht: die
       passenden Instrumente ausgesucht und sie mit den jeweils passenden
       Effektpedalen und Spieltechniken verknüpft. Anscheinend hatte es ihm vor
       allem ein Instrument angetan: das Hohner Pianet, eine Art vernachlässigte
       Stiefschwester des legendären Hohner Clavinet. Donato verknüpfte es mit
       Gadgets, etwa dem Wah-Wah-Pedal, sehr wirkungsvoll zu hören im Auftaktsong
       „The Frog“.
       
       Emil Richards packte einen dampfenden Percussionsumpf darunter, der von bis
       zu drei Schlagzeugern gleichzeitig sowie Richards selbst und
       Wrecking-Crew-Drummer Joe Porcaro gefüttert wurde. Seine Kompositionen
       reduzierte Donato auf ein Stakkato nackter Akkorde, die gewissen
       rhythmischen Pattern folgten, aber kaum noch erkennbare Melodielinien mehr
       hatten, und die kontrastiert wurden von mal lieblichen, mal aggressiven,
       rhythmisch stets herausfordernd gesetzten Bläsersätzen.
       
       ## Ausflüge in den puren Noise
       
       Regelmäßig unternahm Donato dabei Ausflüge in den puren Noise: Wie er etwa
       in „Lunar Tune“ die Orgel aufjaulen lässt, erinnert an die zeitgleichen
       Experimente seines britischen Kollegen Mike Ratledge mit der Band Soft
       Machine oder an Larry Youngs Spiel bei Tony Williams Lifetime.
       
       Wie kein anderes Album verbindet „A Bad Donato“ die melancholische
       Sweetness brasilianischer Musik mit knüppelhartem Funk, Noise-Experimenten
       und bewahrt sich dabei trotzdem eine souveräne, mitunter fast verspielte
       Lässigkeit. Dass das ganze Gebilde zähmbar war und aufnehmbar wurde, war
       eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Aber irgendwie bekam Emil Richards
       zusammen mit Krasnow und Tommy LiPuma von Blue Thumb das hin.
       
       Eigentlich passte das Album hervorragend in die beginnende Jazzrock-Ära und
       hätte als ein wichtiges Statement neben den zeitgleich veröffentlichten
       Arbeiten von Miles Davis, Tony Williams und Larry Coryell seine Wirkung
       entfalten müssen. Es dauerte jedoch Jahrzehnte, bis die Crate Digger der
       Rare-Groove-Subkultur auf die Musik aufmerksam wurden.
       
       Donato erfreute sich in späteren Jahren einer Existenz als Elder Statesmen
       der Bossa Nova und des brasilianischen Jazz und durfte gerade in seinen
       letzten Lebensjahren (er starb Mitte Juli 2023) Album um Album
       unterschiedlichster Art veröffentlichen. So funky und wild wie auf „A Bad
       Donato“ hörte man ihn allerdings nie mehr.
       
       18 Nov 2023
       
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