# taz.de -- Interessenkonflikte bei Abgeordneten: Zwischen Aktien und Amt
       
       > Abgeordnete haben Zugang zu exklusiven Informationen, die an der Börse
       > Vorteile bringen können. Doch die Regeln für Aktien sind im Bundestag
       > lax.
       
 (IMG) Bild: Die gläserne Kuppel steht eigentlich für Transparenz: Die Sitze im Deutschen Bundestag
       
       Es war der 13. Februar 2020, die USA verzeichneten gerade erst ihren 15.
       bestätigten Corona-Fall, da entschloss sich Senator Richard Burr zu einem
       groß angelegten Verkauf von Aktien. Fast alles flog aus seinem Depot. Am
       Ende hatte er Papiere im Wert von 1,65 Millionen US-Dollar veräußert. Er
       rief seinen Schwager an. Auch der warf Aktien aus dem Portfolio seiner
       Frau. Das Timing war ausgezeichnet. Eine Woche später crashten weltweit die
       Börsenkurse. Der Republikaner hatte sich und seiner Familie den Absturz
       ihrer Anlagen erspart.
       
       Doch die beeindruckende Geschichte des Mannes, der die Folgen der
       Covid-Krise für die Finanzmärkte vor fast allen anderen erkannte und davon
       profitierte, hatte einen Haken: Burr saß im Geheimdienst- und im
       Gesundheitsausschuss des US-Senats. [1][Er war mehrfach vertraulich über
       die Gefahr durch das Virus informiert worden.] Es begannen Ermittlungen
       gegen ihn wegen Verdachts auf Insiderhandel. Nach Einschätzung der
       Börsenaufsicht kannte er „wesentliche nicht-öffentliche Informationen über
       Covid-19 und seine möglichen Auswirkungen auf die Wirtschaft der USA und
       der Welt“. Burr sagte, er habe bei seiner Verkaufsentscheidung nur
       öffentliche Nachrichten berücksichtigt. Die Ermittlungen wurden ohne Angabe
       von Gründen eingestellt.
       
       Der Fall ist nur einer von vielen in den USA. Das Handeln mit Aktien und
       anderen Finanzinstrumenten ist bei Kongressmitgliedern und ihren
       Angehörigen ein verbreiteter Nebenjob. Rund ein Drittel von ihnen kaufte
       oder verkaufte zwischen 2019 und 2021 Wertpapiere, ergab eine
       [2][Auswertung der New York Times]. Im Deutschen Bundestag könnte es
       ähnlich aussehen. Doch öffentlich wie in den USA sind diese Daten
       hierzulande nicht.
       
       Nicht jeder Aktienbesitz eines Politikers führt zu einem
       Interessenkonflikt. Bei langfristig angelegten, breit gestreuten passiven
       Fonds (ETFs) ist die Gefahr etwa geringer als beim aktiven Handel mit
       Aktien einzelner Unternehmen. Kurse von Firmen reagieren anfälliger als die
       aus vielen Unternehmensaktien bestehenden ETFs. Diese bilden lediglich
       einen Index nach. Um ETFs handelte es sich bei den untersuchten Investments
       der US-Kongressmitglieder allerdings nicht. Aktienfonds wurden nicht
       mitgezählt. Der Anteil an möglichen Interessenkollisionen war am Ende
       alarmierend: Rund ein Fünftel aller Senatoren und Abgeordneten handelten in
       den drei Jahren Papiere, die sich mit der Arbeit ihrer Ausschüsse
       überschnitten.
       
       Dass das bekannt werden konnte, liegt an der Offenlegungspflicht in den
       USA. Kongressmitglieder müssen jedes Geschäft mit Finanzinstrumenten von
       ihnen oder Angehörigen ab 1.000 Dollar offenlegen. Auch in anderen
       Demokratien gibt es strenge Regeln. In Frankreich müssen Abgeordnete und
       Regierende jegliche Aktien nach Amtsantritt darlegen, Parlamentarier des
       Unterhauses in Großbritannien ab 70.000 Britischen Pfund Wert oder ab 15
       Prozent der Unternehmensanteile.
       
       Von so viel Transparenz ist Deutschland weit entfernt. Die
       Bundestagsabgeordneten haben ihre Aktiengeschäfte nahezu komplett gegen
       Kontrolle abgeschirmt. Das Abgeordnetengesetz schreibt zwar vor, dass sie
       direkte und indirekte Beteiligungen ab einem Anteil von 5 Prozent einer
       Kapital- oder Personengesellschaft der Bundestagspräsidentin angeben
       müssen. Doch beim üblichen Börsenwert einer Aktiengesellschaft ist eine
       5-Prozent-Beteiligung einer Person ein in der Regel unerreichbarer
       Grenzwert.
       
       Das zeigen Rechenbeispiele. Der durchschnittliche Börsenwert einer der über
       1.500 Konzerne im Industrieländerindex MSCI World beträgt rund 32
       Milliarden Euro. Ein 5-Prozent-Anteil würde 1,6 Milliarden Euro kosten.
       Erst ab dieser Höhe müsste ein Abgeordneter Aktien eines Konzerns aus dem
       MSCI World im Schnitt melden – keine realistische Größenordnung. Selbst bei
       kleineren Aktiengesellschaften, sogenannten Small Caps, kostet eine
       5-Prozent-Beteiligung im Schnitt noch rund einen zweistelligen
       Millionen-Euro-Betrag – zu viel für die allermeisten Parlamentarier für
       eine einzige Position. Die Folge: Wertpapierbesitz muss fast nie
       offengelegt werden. „Eigene Interessen von Abgeordneten werden hier nicht
       sichtbar“, kritisiert Léa Briand, Geschäftsführerin der
       Transparenzinitiative [3][Abgeordnetenwatch].
       
       Es ist nicht die einzige Lücke in puncto Aktien im Abgeordnetengesetz. Auch
       Dividenden bleiben fast immer verborgen. Anzuzeigen sind auch sie nur, wenn
       der Anteil am Unternehmen 5 Prozent übersteigt und sie Schwellenwerte
       überschreiten. Ebenso wenig Sichtbarkeit schafft die Vorgabe für
       Aktienoptionen. Sie gewähren das Recht, Anteile zu einem bestimmten Preis
       zu kaufen oder verkaufen. Offengelegt werden müssen sie nur, wenn sie als
       Gegenleistung für eine Tätigkeit gewährt werden. In Fachausschüssen gibt es
       für die Abgeordneten immerhin die Pflicht, direkt vor einer Wortmeldung
       eine eigene Interessenverknüpfung anzusprechen. Im Bundestagsplenum gilt
       das aber nicht.
       
       ## Hedgefonds fragen Parlamentarier
       
       Einer, der als Bundestagsabgeordneter nach eigenen Angaben auf aktive
       Finanzanlagen verzichtet hat, ist Ex-Linken-Fraktionsvize Fabio De Masi.
       Vier Jahre lang konnte er bis zu seinem Ausscheiden 2021 aus der Nähe
       beobachten, wie seine Kollegen mit Aktieninvestments umgingen. „Ich weiß
       von etlichen Abgeordneten, die über Einzeltitel verfügen und zuweilen
       darüber Scherze machten, wie sich diese oder jene Entscheidung auf ihr
       Portfolio auswirken wird“, sagt der studierte Volkswirt, der mit Ende
       seines Mandats ETFs kaufte und diese sowie sein Vermögen (rund 70.000 Euro)
       [4][offenlegte]. Namen nennt er nicht.
       
       De Masi findet es „bemerkenswert“, dass sich Bundestag und Regierung
       laschere Regeln geben als international und teils selbst in der
       Privatwirtschaft üblich. „Abgeordnete erhalten permanent börsenrelevante
       Informationen“, sagt er. Viele hätten Kenntnisse über Diskussionen in
       Ministerien zu Gesetzen. Parlamentarier-Delegationen ins Ausland dienten
       oft für Gespräche über Pläne deutscher Unternehmen. Selbst professionelle
       Investoren versuchten, vom Informationsvorsprung von Bundestagsmitgliedern
       zu profitieren – mit Anfragen nach unveröffentlichten Daten.
       
       So hätten Hedgefonds öfter die Antworten auf parlamentarische Anfragen De
       Masis haben wollen, noch bevor diese öffentlich zugänglich wurden.
       Abgeordnetenwatch hält es für „sehr realistisch“, dass solche Informationen
       häufig auch ausgehändigt werden. Auch eigene Entscheidungen wie für das
       Sondervermögen der Bundeswehr oder jegliche Regulierung könnten sich auf
       Kurse auswirken, führt De Masi aus.
       
       Geht er davon aus, dass es viele unentdeckte Fälle von Interessenkonflikten
       bei Aktiengeschäften im Bundestag gibt? „Selbstverständlich“, sagt er.
       „Wenn Abgeordnete schon mit Schutzmasken dealen, werden einige dies auch
       gezielt mit Aktien tun.“ Er vermutet, dass besonders der
       Verteidigungsausschuss zuletzt „von hohem Interesse für Glücksritter“ war.
       
       ## taz-Umfrage unter Abgeordneten
       
       Überprüfen anhand öffentlicher Daten lässt sich das nicht. Also fragte die
       taz stichprobenartig 38 Parlamentarier aller Parteien an, welche
       Einzeltitel, Fonds oder andere Finanzinstrumente sie in dieser
       Legislaturperiode besessen oder damit gehandelt haben. Ausgewählt wurden
       die Personen anhand der biografischen Selbstauskünfte auf der
       Bundestagswebseite, etwa bei einer Tätigkeit in der Finanzbranche. Das
       Ergebnis: Keiner von ihnen legte Aktiennamen offen. 28 Abgeordnete, knapp
       drei Viertel, antworteten gar nicht, darunter Carsten Linnemann (CDU),
       Parsa Marvi (SPD), Frank Bsirske (Grüne), Frank Schäffler (FDP), Alice
       Weidel (AfD) und Klaus Ernst (Linke). Vier teilten mit, dass sie keine
       Aktien besitzen. Sechs schrieben zwar zurück, beantworteten die Frage aber
       nicht.
       
       Bundesbildungsministerin und Abgeordnete Bettina Stark-Watzinger (FDP) etwa
       lässt ausrichten, sie setze sich dafür ein, dass mehr Menschen von einer
       Anlage am Kapitalmarkt profitieren können, etwa durch die Aktienrente.
       „Konsequenterweise“ sorge sie auch mit Aktien vor. Mit welchen, beantwortet
       sie nicht. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) verweist nur auf ihre
       veröffentlichungspflichtigen Angaben und ihre Website. Dort macht sie ihren
       Steuerbescheid publik. Keinen Einblick gewährt Ex-Analyst Lennard Oehl
       (SPD), auf dessen Website in großen Buchstaben [5][„Gläserner
       Abgeordneter“] steht. Er „bittet um Verständnis, dass er grundsätzlich
       Fragen zu seinen privaten Finanzanlagen nicht beantwortet“.
       
       Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), ebenfalls Abgeordneter, lässt
       übermitteln, er habe sich der Dienstanweisung seines Ministeriums für
       Finanzgeschäfte unterworfen. Darüber hinaus handele er nicht mit
       Einzelaktien. Gefragt nach der vorigen Legislaturperiode teilt sein
       Sprecher mit, weitergehende Angaben „können wir nicht machen“. Mehr
       Auskunft zu dieser Zeit gab Lindner im Netz. 2019 bezeichnete er sich auf X
       [6][„als glücklicher Aktionär“] des Fleischersatz-Produzenten Beyond Meat.
       2021 erzählte er im Podcast „Ohne Aktien wird schwer“, er investiere vor
       allem in ETFs, habe bei einer Onlinebank aber auch kurzfristige Trades mit
       Einzelaktien und Optionsscheinen durchgeführt. Die Größenordnung sei immer
       „ein Abendessen oder maximal ein Wochenendurlaub“ gewesen. Als Minister
       legt er laut Äußerungen, unter anderem im Börsenmagazin [7][Der Aktionär],
       nur noch in ETFs an.
       
       Größter ETF-Anbieter weltweit ist Ishares. Er gehört dem US-Konzern
       Blackrock. Aufsichtsratschef dessen deutschen Ablegers war von 2016 bis
       2020 CDU-Chef Friedrich Merz. Ob er dabei auch Wertpapiere bekam,
       beantwortete das Unternehmen auf Anfrage nicht. Sicher ist allerdings, dass
       er als Verwaltungsratsmitglied des Zug-Herstellers Stadler Rail Aktien
       erhielt und zukaufte. 2019 besaß er laut dem Anlegerprospekt zum Börsengang
       150.000 Stück. Wert wären sie etwa 5 Millionen Euro. Öffentlich machen
       müsste Merz eine Beteiligung gemäß der 5-Prozent-Regel derzeit erst ab rund
       170 Millionen Euro. Ob er die Anteile an Stadler Rail noch hält, ist nicht
       bekannt. Eine taz-Anfrage zu seinem derzeitigen Aktienbesitz beantwortete
       er nicht.
       
       Auch Parteifreund Jens Spahn reagierte nicht. Die Frage, wie der
       Unions-Fraktionsvize und sein Ehemann sich 2020 die Finanzierung einer –
       inzwischen wieder verkauften – 4,1-Millionen-Euro-Villa in Berlin leisten
       konnten, beschäftigt Journalisten seit Jahren. Als „gelernter Bankkaufmann“
       habe er „größere Teile seines Einkommens über zwei Jahrzehnte in
       Wertpapieren und Immobilien angelegt“, [8][sagte er 2022 dem Spiegel]. In
       welche Papiere zuletzt? Ein Geheimnis.
       
       ## Die schnelle Reform
       
       Dabei ist es noch nicht lange her, dass der Bundestag bei der Transparenz
       ein völlig neues Kapitel aufschlagen wollte. Erst hatte 2020 der Skandal um
       [9][Lobbytätigkeiten und Aktienoptionen von Philipp Amthor] (CDU) die
       Republik aufgeschreckt, dann 2021 die Maskengeschäfte von Unionspolitikern.
       Der Bundestagswahlkampf stand bevor. Bei den Christdemokraten herrschte
       Panik. Sie wollten das Thema aus den Medien haben – und machten der SPD
       Zugeständnisse für neue Verhaltensregeln. Es ging schnell wie selten. Schon
       im Juni 2021 beschloss die Große Koalition die Reform mit Grünen und
       Linken.
       
       Eine der Neuerungen war, dass Beteiligungen an Kapital- und
       Personengesellschaften nicht mehr ab einem 25-Prozent-Anteil offengelegt
       werden müssen, sondern schon ab den erwähnten 5 Prozent. Die Verschärfung
       war eine Idee der SPD. Die 5 Prozent wählte sie willkürlich. Sie wollte
       nach den Affären der Union ein Signal setzen. Die war erst dagegen. Dann
       willigte sie ein.
       
       Doch die neue Regel hat den selben Grundfehler wie die alte: Sie greift
       zwar bei kleineren Firmen wie Kanzleien, bei denen Abgeordnete oft
       Teilhaber sind. 5 Prozent Beteiligung ist hier schnell erreicht. Bei
       Anteilen an Konzernen läuft die Regelung aufgrund hoher Unternehmenswerte
       allerdings ins Leere.
       
       Eine 0-Prozent-Regelung, die Offenlegung aller Beteiligungen, kam auch für
       die SPD nicht in Frage. Sie fürchtete nicht nur zu viel Bürokratie, sondern
       vor allem einen Eingriff in die Privatsphäre der Abgeordneten. Bei einer
       Klage wollte sie mit dem Gesetz nicht vor dem Bundesverfassungsgericht
       scheitern. Auslöser dieser Sorge war ein Urteil von 2007. Damals hatten
       neun Abgeordnete, darunter Merz, gegen eine Verschärfung der
       Verhaltensregeln geklagt. Die Klage wurde zwar abgewiesen, aber nur durch
       ein Patt zwischen den acht Richtern.
       
       Kaum einer kennt sich mit Parlamentsrecht und Abläufen im Bundestag aus wie
       Wolfgang Zeh. Der habilitierte Verwaltungswissenschaftler, Sozialdemokrat
       und Vater der Autorin Juli Zeh hatte ab 1971 eine lange, steile Karriere in
       der Verwaltung des Hohen Hauses. Von 2002 bis 2006 war er ihr Leiter,
       Direktor beim Deutschen Bundestag. Dass den Abgeordneten eine
       Offenlegungspflicht auferlegt ist, rechtfertige sich durch ihr öffentliches
       Amt, sagt der 81-Jährige. So eine Pflicht müsse aber die
       verfassungsrechtliche Handlungsfreiheit der Parlamentarier als Bürger
       beachten. Sie dürfe auch nicht dazu führen, dass Bundestags-Mandate so
       unattraktiv würden, „dass relevante Teile der Bevölkerung eine Bewerbung
       nicht mehr in Betracht ziehen“.
       
       Zeh skizziert eine Möglichkeit, Aktien von Konzernen ohne
       0-Prozent-Regelung besser offenzulegen. „Wollte man nach dem Börsenwert der
       Unternehmen differenzieren, um bedeutende Anteile an großen
       Aktiengesellschaften zu erfassen und Anteile an kleineren auszunehmen“,
       sagt er, „könnte man allenfalls an eine Stufenregelung denken, etwa in der
       Weise, dass die Offenlegungspflicht mit dem Unternehmenswert steigt: Je
       höher der Unternehmenswert, desto niedriger die Prozentgrenze, ab der
       offenzulegen wäre.“
       
       ## Bundestag prüft sich selbst
       
       Nicht nur die 5-Prozent-Regel ist ein Problem, auch die Kontrolle. Denn der
       Bundestag beaufsichtigt sich selbst. Die Volksvertreter müssen ihre Angaben
       der Bundestagspräsidentin melden. Ihr untersteht die Bundestagsverwaltung.
       Diese teilt mit, sie prüfe mögliche Verstöße gegen die Verhaltensregeln
       „regelmäßig“ – etwa aufgrund von Plausibilität, Rückfragen von
       Abgeordneten, missverständlichen Angaben, Presseberichten, Bürgeranfragen
       und Selbstanzeigen.
       
       Die Bewertungskriterien seien „eine Blackbox, ein großes Fragezeichen“,
       kritisiert Léa Briand von Abgeordnetenwatch: „Selbstkontrolle ist keine
       gute Lösung.“ In vielen anderen Ländern übernehme eine externe Instanz die
       Prüfung. Die Verwaltung habe „eher den Reflex, Abgeordnete abzuschirmen“,
       sagt auch De Masi. Das Anti-Korruptionsgremium des Europarats fragte, „ob
       sich die Bundestagsverwaltung nicht in zu großer Nähe zur Macht befindet,
       als dass sie Abgeordnete wirksam kontrollieren“ könne.
       
       Ihr Ex-Leiter Zeh betrachtet den Vorschlag einer externen Kontrollinstanz
       jedoch mit Skepsis. Er sieht „vor allem ungelöste Fragen“, etwa wer sie
       einsetzen solle, an welche Institution sie angegliedert sein solle, wer
       ihre Mitarbeiter auswähle und ob das verfassungsrechtlich überhaupt
       zulässig sei. Letzten Endes sei es der Bundestag selbst, der „verpflichtet
       und damit auch befugt“ sei, sich mit dem Verhalten der Abgeordneten im
       Rahmen ihres Mandats zu befassen, sagt er.
       
       ## In Frankreich liegt fast alles offen
       
       Frankreich hat diese Fragen für sich gelöst. Das Nachbarland gilt als
       besonders gründlich bei Transparenz. Nach der Aufdeckung von
       [10][Schwarzgeldkonten des Haushaltsministers Jérôme Cahuzac] wurde 2013
       die unabhängige [11][„Hohe Behörde für die Transparenz des öffentlichen
       Lebens“] gegründet. Ihr Kürzel HATVP ist seitdem bei Abgeordneten und
       Regierungsmitgliedern im ganzen Land gefürchtet. Ob Präsident oder
       Bürgermeister – tausende Staatsbedienstete müssen nach Amtsantritt eine
       Vermögenserklärung einreichen. Enthalten sind etwa Konten, Immobilien,
       Geldvermögen, Schulden, Lebensversicherungen, Schmuck, Autos und Aktien.
       Die HATVP prüft und veröffentlicht sie. Das hatte schon weitreichende
       Folgen, beendete Karrieren von Ministern und führte zu Verurteilungen vor
       Gericht.
       
       Auch in anderen Demokratien wächst die Sensibilität für Befangenheit durch
       Aktien. In Norwegen verloren kürzlich die Außenministerin und der
       Forschungsminister wegen Skandalen ihre Posten. Ex-Ministerpräsidentin Erna
       Solberg räumte ebenfalls ein, dass ihr Mann in ihrer Amtszeit [12][mehr als
       3.000 Mal an der Börse gehandelt hatte] – teils Firmen, über die sie
       entschied. In Großbritannien wurden jüngst bei [13][über 50 Abgeordneten
       mögliche Interessenkollisionen durch Aktien] bekannt. So besaß der Mann von
       Theresa May Papiere des Telekommunikationskonzerns BT, während sie als
       Ministerin Gespräche mit dem Unternehmen führte.
       
       Selbst in den USA, wo die Meldepflicht strenger ist als in Großbritannien
       und Deutschland, wird eine Verschärfung diskutiert. Politiker beider
       Parteien haben gemeinsame Vorschläge vorgelegt, die Kongressmitgliedern und
       Angehörigen den Handel von Einzelaktien verbieten würden. Die Mehrheit der
       Bürger unterstützt das.
       
       Hierzulande findet das Thema bisher lediglich auf Plattformen wie X, Reddit
       oder Abgeordnetenwatch Beachtung. „Es bewegt viele Wähler“, sagt Briand.
       Sie kommt aus Frankreich und plädiert für Vermögenserklärungen nach
       dortigem Vorbild, zumindest aber Offenlegung aller Beteiligungen.
       
       De Masi hält den Besitz von Aktien, die vor dem Mandat erworben wurden, für
       vertretbar – ebenso breit gestreute, passive Investments wie ETFs. Auf
       aktive Anlagen und Zu- oder Verkäufe sollten Abgeordnete aber verzichten,
       sagt er. Nötig sei eine Meldepflicht mit Zweitschriftverfahren. Banken
       müssten dann die Kopie einer Order an eine Behörde übermitteln. Das solle
       auch in Ministerien gelten.
       
       Dass das bald Realität wird, ist nicht zu erwarten. Die Anwendung der
       geänderten Verhaltensregeln wird derzeit im Bundestag evaluiert. Spricht
       man das Thema dort in Hintergrundgesprächen an, heißt es, Deutschland habe
       bei Transparenzbestimmungen einen zögerlicheren Ansatz als andere Länder.
       Es laufe alles gut, deshalb brauche es keine strengen Vorschriften.
       Geregelt werde, wenn etwas nicht laufe. Ohne Skandal komme es zu keiner
       Reform.
       
       2 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Insidergeschaefte-von-US-Republikanern/!5673039
 (DIR) [2] https://www.nytimes.com/interactive/2022/09/13/us/politics/congress-stock-trading-investigation.html
 (DIR) [3] https://www.abgeordnetenwatch.de/
 (DIR) [4] https://www.fabio-de-masi.de/de/topic/37.transparenz.html
 (DIR) [5] https://www.lennard-oehl.de/berlin
 (DIR) [6] https://twitter.com/c_lindner/status/1134170848624033792?lang=de
 (DIR) [7] https://www.deraktionaer.de/artikel/maerkte-forex-zinsen/christian-lindner-wir-sollten-die-chancen-des-kapitalmarkts-nutzen-20252899.html
 (DIR) [8] https://www.spiegel.de/panorama/jens-spahn-und-seine-millionen-villa-der-schatz-vom-attersee-a-89fae952-e5d7-49d2-a5b9-35bba4d4ef9e
 (DIR) [9] /Korruptionsvorwurf-gegen-Philipp-Amthor/!5689623
 (DIR) [10] /Korruptionsurteil-in-Frankreich/!5361883
 (DIR) [11] https://www.hatvp.fr/en/
 (DIR) [12] /Korruption-in-Norwegen/!5962710
 (DIR) [13] https://www.theguardian.com/politics/2023/jul/09/revealed-shares-held-in-secret-by-scores-of-mps-raise-questions-about-vested-interests
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Timo Hoffmann
       
       ## TAGS
       
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