# taz.de -- Die Wahrheit: Lob der gehaltenen Schnauze
       
       > Meinungen sind überall, vor allem in den sogenannten sozialen Medien. Es
       > ist ein einziges nicht enden wollendes Geschrei von Frau Hinz und Herrn
       > Kunz …
       
       Ich habe Meinungen. Mir ist das peinlich. Ich habe Meinungen, wie andere
       Leute Herpes oder Fußpilz haben. Ich kann nichts dafür. Wie Herpes oder
       Fußpilz sind Meinungen ansteckend. Ich lese hier etwas, höre dort zu, zack,
       schon habe ich mir eine weitere Meinung eingefangen. Wetter, Tiefkühlpizza,
       Fußfetisch, FDP, Beyoncé, Gendern, Gaza, Israel, Klima. Ganz egal, wozu.
       Und ganz egal, welche Meinung genau. Gern lasse ich mich von meiner Meinung
       abbringen, sofern mir eine andere Meinung plausibel erscheint.
       
       Ich unterscheide nicht zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung.
       Auch sind mir keine „unterdrückten Meinungen“ bekannt. Wer einen „verengten
       Meinungskorridor“ beklagt, hat meiner Meinung nach meistens nur allzu
       breite Meinungsschultern. Schließlich werden ständig Meinungen verbreitet,
       die auf keine Kuhhaut gehen – zu der ich übrigens auch eine Meinung habe,
       die ich hier aber nicht verbreiten möchte. Es könnten strenge Veganer
       mitlesen, und dann ist das Geschrei wieder groß.
       
       Das größte Geschrei dringt übrigens aus „sozialen“ Medien – die
       Anführungszeichen sollen meine Meinung illustrieren, dass derzeit kaum ein
       verlogeneres Adjektiv im Umlauf ist. Nicht nur stehen dort die digitalen
       Bierkästen, von denen herab Frau Hinz und Herr Kunz einander ihre Meinungen
       geigen. Es sind inzwischen regelrechte Meinungsmolkereien geworden. Wer
       sich dort nicht „positioniert“, gilt als verdächtig. Wer schweigt, schweigt
       „dröhnend“. Wer einen offenen Brief zu Israel oder Palästina unterschrieben
       oder auch nicht unterschrieben hat, egal, der hat wohl den Arsch offen! Wer
       seine Meinung ändert, ist ein Fähnchen im Wind.
       
       Fortwährend soll „die Welt“ hier oder da „nicht wegschauen“. Wer
       hingeschaut hat, veröffentlicht schlimmstenfalls diesen von künstlicher
       „Intelligenz“ aggegrierten Kitsch, bei dem ein süßer arabischer Junge ein
       niedliches hebräisches Mädchen umarmt. Oder eine jener „Kacheln“, mit denen
       andere Idioten ihre eigenen Meinungen aufwerten. Wenigstens aber doch ein
       schwarzes Quadrat als Ausweis der eigenen Sprach- und Hilflosigkeit. Geht
       heute auch schon als Meinung durch, die Welt möge ein menschlicherer Ort
       werden.
       
       Warum ist das so? Wieso findet dieses Kurkonzert der Knalltüten sein
       Publikum und überhaupt statt? Weil es anstrengend ist, sich eine Meinung zu
       bilden, den Anhauch einer Ahnung zu verschaffen. Von dieser Anstrengung
       entbindet uns der bequeme Akt, Meinungsstummel und Meinungsmüll aus dritter
       oder vierter Hand in die ohnehin bereits überquellenden Kloaken der
       Kommunikation einzuspeisen.
       
       Ich meine manchmal, ein Meinungsmoratorium würde dem Seelen- wie dem
       Weltfrieden gleichermaßen dienen. Mehr jedenfalls als weitere Hügelchen aus
       Mist, auf denen zu sterben ihre Urheber offenbar bereit sind.
       
       24 Nov 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Arno Frank
       
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