# taz.de -- Skandal in Jüdischer Gemeinde zu Berlin: Risse in der Gemeinschaft
       
       > Walter Homolka und Gideon Joffe, zentrale Figuren des Rabbinerkollegs und
       > der Jüdischen Gemeinde, sind skandalumwittert. Sie kleben an der Macht.
       
 (IMG) Bild: Gideon Joffe, umstrittener Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin
       
       BERLIN taz | Mehr als 1.000 Teilnehmer waren für den jüdischen Gemeindetag
       nach Berlin gekommen. Es war der vielleicht wichtigste Gemeindetag seit
       Jahren. Denn die jüdische Gemeinschaft ist seit dem 7. Oktober
       herausgefordert, sie ist bedroht und fühlt sich verunsichert, wie
       vielleicht noch nie seit Gründung der Bundesrepublik. Umso wichtiger war es
       jetzt, die Sorgen für einen Moment abzustreifen. Das Pogrom der Hamas wirkt
       stark nach. Die zahlreichen Übergriffe auf jüdische Menschen und
       Einrichtungen seit dem Terrorangriff, der Hass, der ihnen entgegenschlägt,
       all das hat Spuren hinterlassen.
       
       Angesichts dieser Lage verwundert es nicht, dass zwei handfeste Skandale,
       die die [1][Jüdische Gemeinde zu Berlin] und das liberale Judentum in
       Deutschland seit vielen Monaten erschüttern, in den Hintergrund gerückt
       sind. Doch wann, wenn nicht jetzt in dieser für die jüdische Gemeinschaft
       so existenziellen Krise, bedürfte es Führungspersönlichkeiten mit einem
       Höchstmaß an Professionalität, Integrität und Empathie, fragen sich viele.
       Führungspersönlichkeiten, die in erster Linie nicht an sich, sondern an die
       Gemeinschaft, in deren Interesse sie tätig sind, denken.
       
       Qualitäten, die die Protagonisten der beiden Skandale – der Berliner
       Gemeindevorsitzende Gideon Joffe und der ehemalige Leiter des Potsdamer
       Rabbinerkollegs, Walter Homolka, schmerzlich vermissen lassen. So zumindest
       der Tenor unter jenen Beteiligten, die sich aus Enttäuschung und
       Frustration über das Machtgebaren beider Männer von den durch sie geprägten
       Institutionen abgewendet haben. Von Ekel spricht eine Absolventin des
       liberalen Rabbinerkollegs.
       
       Im Mai 2022 erhob die Welt erstmals Vorwürfe gegen Homolka, den
       langjährigen Leiter des Abraham Geiger Kollegs, der mit seiner Omnipräsenz
       in der liberalen jüdischen Welt ungeheuren Einfluss besaß. Bei den
       Vorwürfen ging es um Machtmissbrauch, Diskriminierung sowie um sexuelle
       Grenzüberschreitungen seines Lebenspartners. Daraufhin beauftragte der
       Zentralrat der Juden in Deutschland als größter Mittelgeber des Kollegs die
       Kölner Rechtsanwaltskanzlei Gercke Wollschläger mit einer unabhängigen
       Untersuchung. Im September, pünktlich zum Jüdischen Neujahrsfest, wurde der
       mehr als 800 Seiten starke Untersuchungsbericht vorgelegt.
       
       ## Umfassendes System der Abhängigkeit
       
       Er zeichnet das Bild eines umfassenden Systems der Macht und Abhängigkeit.
       Er beschreibt ein Klima der Angst am Geiger Kolleg, berichtet von
       Drohungen, Einschüchterungen, verbauten Lebenswegen und psychischen
       Spätfolgen. Wie sexuelle Anzüglichkeiten seines Lebenspartners die
       Betroffenen verunsichert und teilweise traumatisiert hätten. Am Kolleg sei
       alles auf die Person Walter Homolka zugeschnitten gewesen, der quasi nach
       Gutsherrenart geherrscht und unbedingte Loyalität eingefordert habe.
       
       Sandra Anusiewicz-Baer leitet das Zacharias Frankel College, das
       Rabbinerinnen und Rabbiner für die konservative jüdische Strömung ausbildet
       und neben der Kantorenschule ebenso unter dem Dach des Geiger Kollegs
       firmiert. Sie hat vieles hautnah miterlebt. Der Bericht beschreibe ein
       vielfältiges Geflecht aus Abhängigkeiten. „Vor allem zeigt er, dass viele
       Entscheidungen hauptsächlich aus machtpolitischem Kalkül getroffen wurden“,
       resümiert Anusiewicz-Baer. „Und dieses Interesse schien stets im
       Vordergrund zu stehen.“
       
       Das Gutachten wird von vielen Betroffenen mit Erleichterung aufgenommen.
       Endlich werde für eine breite Öffentlichkeit sichtbar, wie das „Machtsystem
       Homolka“ funktioniert und welchen Schaden es angerichtet habe. Unabhängig
       davon, dass sich Walter Homolka mit der Gründung dieser und anderer
       Einrichtungen Verdienste erworben habe.
       
       ## Sexuell anzügliche Nachrichten
       
       Nick Hörmann gehört zu jenen, die ungefragt sexuell anzügliche Nachrichten
       und pornografisches Bildmaterial vom Lebenspartner Homolkas erhalten haben.
       Der Bericht sei Balsam für die Seele. Endlich hätten Dinge, die vorgefallen
       sind, eine rechtliche Würdigung erfahren. Doch noch immer gebe es Menschen,
       die hinter Homolka stünden.
       
       Gerade in nichtjüdischen Kreisen, in den Kirchen, manchen Medien, der
       Politik genieße er noch immer Ansehen. Für Hörmann ist das nicht
       nachvollziehbar. „Solche Dinge schmerzen, weil man sieht, hier wird
       versucht, Walter Homolka zu verteidigen.“ Die entscheidende Frage sei,
       welche Konsequenzen aus dem Gutachten folgen. Hörmann bleibt skeptisch.
       „Die Hoffnungen sind groß, die Erwartungen sind gedämpft.“
       
       Walter Homolka bestreitet sämtliche Vorwürfe und geht juristisch gegen
       Medienhäuser, den Zentralrat der Juden und Einzelpersonen vor. Seine
       Anwälte sprechen von einer vom Zentralrat und Medien orchestrierten
       „Hetzkampagne“. Man wolle ihn „als jüdische Stimme mundtot“ machen.
       
       Manch jüdischem Beobachter verschlägt es angesichts solchen Vokabulars die
       Sprache. Das Narrativ, das der Konvertit Homolka hier heraufbeschwört,
       erinnere an klassische antijüdische Stereotype. In einem mit seinem Anwalt
       geführten Podcast gibt sich Homolka indes geradezu triumphierend. All die
       Vorwürfe seien nur Schall und Rauch. Er könne sich nur auf die Schulter
       klopfen, so Homolka, „dass ich so viel wert bin, um aus dem Weg geräumt zu
       werden“.
       
       ## Etwas anderes könnte ihn zu Fall bringen
       
       Verpufft das 800 Seiten dicke Gutachten? Ja, sagt Manfred Görtemaker,
       emeritierter Geschichtsprofessor und ehemaliger Vizepräsident der
       Universität Potsdam. „Dieser Bericht ist zwar sehr umfangreich, aber leider
       inhaltsschwach.“ So eindeutig er von Machtmissbrauch spreche:
       Strafrechtliche Konsequenzen müsse Homolka nicht fürchten. Doch etwas
       anderes könnte ihn zu Fall bringen.
       
       Es geht um den Vorwurf, Homolka habe bei seiner Dissertation getäuscht. Auf
       gut 60 von 240 Seiten seiner 1992 am King’s College in London vorgelegten
       Dissertation über Leo Baeck und religiöse Identität soll sich Homolka bei
       einer an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München 1986 vorgelegten
       wissenschaftlichen Arbeit der Theologin Dorothee Schlenke bedient haben.
       Indem er ohne Quellenangabe passagenweise wörtlich ins Englische
       übersetzte. Homolka bestreitet auch diesen Vorwurf. Schlenkes
       Untersuchungen seien für seine Dissertation hilfreich gewesen, weshalb sie
       sowohl in der deutschen als auch in der englischen Veröffentlichung genannt
       werde.
       
       Manfred Görtemaker hat sich die Dissertation von Homolka näher angeschaut
       und für den Uni-Präsidenten Oliver Günther ein vertrauliches Gutachten dazu
       verfasst. Görtemakers Verdikt ist eindeutig: „Das ist ein Plagiat reinsten
       Wassers, wie man es sich gravierender gar nicht vorstellen kann.“ Die
       Uni-Leitung wiederum hält sich bedeckt und verweist den Fall an das formal
       zuständige King’s College, das sich wiederum noch nicht geäußert hat.
       Obwohl die Vorwürfe schon länger bekannt sind.
       
       Und Homolka? Er hat sich aus fast allen jüdischen Institutionen, in denen
       er in leitender Position tätig war, zurückgezogen. Doch an seinem Lehrstuhl
       an der Jüdischen Theologie in Potsdam hält er fest. Und so kommt es, dass
       Walter Homolka, trotz all der gegen ihn erhobenen Vorwürfe, am Uni-Campus
       in Potsdam präsent ist. Er hat einen Assistenten eingestellt, gibt
       Lehrveranstaltungen und nimmt an Institutssitzungen teil. Als sei nichts
       gewesen.
       
       ## Besonders hohe ethisch-moralische Standards
       
       Für Betroffene wie Nick Hörmann eine unhaltbare Situation. „Ich nehme ihn
       präsenter denn je wahr.“ Einmal habe Homolka sogar seinen Lebenspartner
       mitgenommen. „Das hat mich aufgeregt“, sagt Hörmann. „Ich kann es mir nur
       so erklären, dass er das nicht aus Pflichtgefühl macht, sondern aus reiner
       Chuzpe. Nach dem Motto: Jetzt erst recht. Weil er natürlich weiß, dass das
       Leute verletzt.“
       
       Eigentlich sei es doch beschämend, sagt Sandra Anusiewicz-Baer, wenn allein
       juristische Fragen über das weitere Wirken von Homolka entschieden. In
       einer Rabbinerausbildung ginge es schließlich um besonders hohe
       ethisch-moralische Standards. „Es muss doch möglich sein, dass man sehr
       klar und deutlich ausspricht: Hier hat jemand seine Fürsorgepflicht
       missbraucht. Hier hat jemand seine Vorbildrolle nicht ausgefüllt. Und
       deshalb ist diese Person für diese Ausbildungseinrichtung nicht tragbar.“
       
       Um das Geiger Kolleg vor dem Zugriff des Zentralrats zu schützen, hatte
       Homolka die von ihm 1999 als gGmbH gegründete Rabbinerschule im Januar 2023
       an die Jüdische Gemeinde zu Berlin übertragen. Eine besondere Pointe, steht
       deren seit Jahren umstrittener Vorsitzender Gideon Joffe doch derzeit
       selbst im Zentrum eines Skandals. Joffe ließ am 3. September eine
       Gemeindewahl durchführen, die vom Gericht beim Zentralrat der Juden
       aufgrund massiver Verstöße gegen Grundprinzipien einer fairen Wahl zuvor
       verboten wurde.
       
       Der Zentralrat betrachtet den Gemeindevorstand mit Joffe an der Spitze als
       illegal und hat Sanktionen eingeleitet. Das Verhältnis zwischen Zentralrat
       und Berliner Gemeindeleitung gilt als zerrüttet. An eine gemeinsame
       Neuaufstellung der liberalen und konservativen Rabbinerausbildung, wie sie
       bis zur umstrittenen Gemeindewahl ins Auge gefasst wurde, ist nicht mehr zu
       denken.
       
       ## Die Politik müsse endlich aufwachen
       
       Wie es mit den beiden Kollegs und der Jüdischen Theologie in Potsdam
       weitergeht, ist noch immer offen. Die Leiterin des Frankel College sagt,
       dass der Zentralrat Joffe in dessen Unwillen unterschätzt habe, irgendetwas
       Konstruktives für eine tragfähige Zukunft beizutragen. „Alles, worum es
       Gideon Joffe geht, ist zu zeigen: Ich kann machen, was ich will.“ Klar ist
       aber auch: Solange Homolka in Potsdam wirkt, wird die liberale Welt und mit
       ihr die Rabbinerausbildung nicht zur Ruhe kommen.
       
       Die Politik müsse endlich aufwachen, sagt Anusiewicz-Baer, die sich
       enttäuscht darüber zeigt, dass sowohl der Bund als auch die Länder Berlin
       und Brandenburg den Ball immer wieder zurückspielten. Dabei müsse sich
       gerade die Politik fragen, was sie in jemandem wie Walter Homolka gesehen
       habe. Er gilt als talentierter Netzwerker mit einem hervorragenden Gespür
       dafür, wer ihm schaden und wer ihm nutzen könnte. Nichtjüdische Kreise
       sahen und sehen in ihm, dem Konvertiten, einen Vorzeigerabbiner. Während
       dieser seiner Verachtung für orthodoxes und konservatives Judentum, für
       jüdische Werte an sich mitunter freien Lauf ließ.
       
       Doch in jüdische Angelegenheiten mischen sich politische
       Entscheidungsträger ungern ein. Dabei haben Bund und Länder als größte
       Mittelgeber einen entscheidenden Hebel in der Hand. Das gilt sowohl für die
       Finanzierung der Rabbinerausbildung als auch der Berliner Jüdischen
       Gemeinde mit ihrem gut dotierten Staatsvertrag von mehr als 14 Millionen
       Euro.
       
       So wie jüngst auf dem Gemeindetag bemüht sich die Politik gerade sehr, der
       jüdischen Gemeinschaft ihre Unterstützung zu versichern. Ob sie auch den
       Mut aufbringt, unbequeme Entscheidungen zu treffen, wenn es um die
       Beseitigung von Missständen und die Zukunft einer Jüdischen Gemeinde oder
       Rabbinerausbildung geht?
       
       12 Jan 2024
       
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