# taz.de -- Die Wahrheit: Lockend krächzendes Kröck
       
       > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (184): Blässhühner
       > tauchen gern ab und anderswo wieder auf, wenn sie nicht vor sich hin
       > brüten.
       
 (IMG) Bild: Ein Blässhuhn in Begleitung schwimmt über einen Teich, begrünt von der gemeinen Wasserlinse
       
       „Das Blässhuhn ist eine rundliche Erscheinung“, heißt es im wildtierportal.
       Es hat über seinem weißen Schnabel eine weiße Blässe und ist ansonsten
       grau-schwarz. Auf den zig Seen und Kanälen in und um Berlin finden viele
       Blässhühner ihr Auskommen, das heißt diese zur Familie der Rallen zählenden
       Tauchvögel können sich hier gut über Wasser halten, zumal die Stadt in den
       achtziger Jahren ein „Röhrichtschutzgesetz“ verabschiedet hat – mit
       Barrieren gegen den Bootsverkehr.
       
       Im Kanalabschnitt vor dem U-Bahnhof Hallesches Tor lebt schon seit einigen
       Jahren ein Blässhuhnpaar. Ich sehe es mehrmals in der Woche, die beiden
       sind nie weit weg. Manchmal unterhalten sie sich.
       
       Auf bund-naturschutz.de findet sich eine Schilderung ihrer Lautäußerungen,
       die mir ganz unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt gefallen hat, sie hat
       Ähnlichkeit mit konkreter Poesie; die Laute sind zudem das einzig sichere
       Unterscheidungsmerkmal zwischen den Geschlechtern: „Ein krächzendes ‚kröck‘
       stammt vom Weibchen, das beim Locken der Jungvögel weicher klingt, aber bei
       Erregung kranichartig trompetend. Der Ruf des Männchens ist mehr schnalzend
       und bei Erregung ertönt als Warnruf ein sehr hohes und schrilles ‚pix‘, bei
       den Weibchen ein bellendes ‚köw‘. Auch wechselt ein platzendes ‚dp‘ mit
       ‚pssi‘ oder ‚pschi‘ und bei nächtlichen Flügen ertönt ein trompetendes
       ‚päau‘.“ Das soll ihnen erst einmal einer nachmachen!
       
       Der Landwehrkanal ist in ihrem Revier so flach, dass man bis auf den Grund
       sehen kann, sodass man leicht erkennt, warum das Blässhuhnpaar gerade
       diesen Ort gewählt hat: Es wachsen dort Wasserpflanzen.
       
       ## Aufwärts schießen wie ein Stöpsel
       
       Blässhühner bewohnen laut den bayerischen Naturschützern „Gewässer mit
       üppiger Unterwasservegetation“, die sie abweiden, „wobei sie mit einem
       charakteristischen Kopfsprung untertauchen und dann kräftig mit den Beinen
       rudern. Sie bleiben aber nur wenige Augenblicke unter Wasser, um auf dem
       Grund Pflanzenteile mit dem Schnabel abzurupfen und nach oben zu holen. Um
       längere Zeit unter Wasser zu bleiben ist ihr Körper zu leicht. Zum
       Aufwärtsschwimmen genügt ihnen der Auftrieb, wobei sie dann wie ein Stöpsel
       an die Wasseroberfläche schießen.“
       
       Ihre Jungen füttern sie mit Insekten, Kaulquappen, Schnecken und kleinen
       Fischen, die sie selbst auch nicht verschmähen. Der Naturschutzbund spricht
       von einem „vielseitigen Speisezettel“.
       
       Blässhühner haben „Schwimmlappen“ an den Füßen und nicken beim Schwimmen
       mit dem Kopf – wie die Tauben beim Gehen, die – nebenbei bemerkt – dort vor
       dem U-Bahnhof ihren Durst im Kanal löschen. Im und am Bahnhof leben viele
       Tauben. Und manchmal kommt auch noch eine Gruppe Enten und ein Schwanenpaar
       vom nahen Urbanhafen vorbei. Sie sind also in diesem Kanalabschnitt nicht
       allein.
       
       Blässhühner leben gern gesellig, nur während der Brutzeit sondern sie sich
       als Paar ab. Das hat auch das Blässhuhnpaar am U-Bahnhof getan, das sich
       zum Brüten ans gegenüberliegende Ufer unter einen Steg ins Halbdunkle
       zurückzog, das heißt das Weibchen, das Männchen schwamm davor auf und ab
       und hielt gewissermaßen Wache, nachdem es das Revier ausgesucht und das
       Nest gebaut hatte. Gelegentlich übernahm es auch das Brüten, damit das
       Weibchen sich Nahrung suchen konnte.
       
       Im Tegeler Hafen, wo viele Seerosen wachsen, sahen wir im Frühling ein
       Weibchen, das auf einem schwimmenden Nest aus Pflanzenteilen brütete. Das
       Blässhuhnpaar hatte es, folgt man dem bayerischen Bund, so an
       Wasserpflanzen befestigt, „dass es nicht vom Wind abgetrieben wird, aber je
       nach Wasserstand an den Stängeln nach oben oder unten gleiten kann“.
       
       Dem gerade beschäftigungslosen Männchen fiel plötzlich eine nette Idee ein:
       Es zupfte eine Seerose mit Stiel ab und legte sie dem Weibchen an den
       Nestrand. Wir konnten natürlich nicht sehen, auf wie vielen Eiern es saß,
       aber es heißt: „Gelege mit mehr als 14 Eiern stammen von mehreren Weibchen.
       Bei günstigen Wetterbedingungen erfolgt auch eine zweite Brut.“
       
       Der Blässhuhn-Experte des Bund Günter Geiß erwähnt ferner: „Die Jungen
       werden von ihren Eltern noch 4 bis 5 Wochen im Familienverband geführt und
       gefüttert, wobei sich ein Teil der Jungen an die Mutter und ein anderer
       Teil an den Vater hält. Die Eltern kümmern sich jeweils nur um ihren Teil.
       Das Männchen baut zusätzlich noch ein bis zwei Ruhe- und Schlafnester für
       die Jungen, auf denen sie noch länger gehudert [geschützt und gewärmt]
       werden. Sie sind nach 8 Wochen flügge und selbstständig, bleiben aber noch
       lange im Revier“, wo sie sich zu lockeren Gemeinschaften zusammenschließen.
       
       ## Unter Wasser gezogen von einem Räuber
       
       Früher musste ich die Tochter einer Freundin im Frühjahr immer mit einem
       Leihboot über den Neuen See im Tiergarten rudern, weil sie die Enten- und
       Blässhuhn-Küken aus der Nähe sehen wollte. Es gibt dort eine kleine Insel,
       wo deren Eltern ungestört brüten können. Einmal sahen wir ein Blässhuhn mit
       neun Küken, die hinter ihm herschwammen. Das letzte geriet aus dem
       Kielwasser der Mutter, als es nach einem Insekt schnappte – und war
       plötzlich verschwunden. Wahrscheinlich hatte es sich ein Hecht oder Wels
       geschnappt. Es ging so schnell, dass das Kind es gar nicht mitbekommen
       hatte.
       
       Es wusste zwar, dass Blässhühner zu den besonders geschützten Arten
       gehören, aber nicht, dass sie trotzdem von Mitte September bis Ende Februar
       gejagt werden dürfen. Der Nabu hat später wiederholt „die Streichung des
       Blässhuhns aus der Liste der jagdbaren Arten gefordert“, mit der
       Begründung, dass „für diese Art kein konsumtives Interesse bzw. eine
       sinnvolle nachhaltige Nutzung erkennbar“ sei. Das Kieler Umweltministerium
       hat daraufhin dem Blässhuhn, das der Landesjagdverband als „leckeren
       Bratvogel“ bezeichnet, eine „ganzjährige Schonzeit“ eingeräumt.
       
       Laut dem Tierschutzgesetz braucht es für das Töten eines Tieres
       grundsätzlich einen „vernünftigen Grund“. Dieser sei beim Blässhuhn nicht
       gegeben, argumentiert das Ministerium. Seine Verwertungsmöglichkeit sei
       „gering, außerdem seien Blässhühner nützlich, weil sich die seltenen
       Seeadler während der Brutzeit von ihnen ernähren“. Wohingegen die
       Vogeljäger im Gegensatz zu den streng geschützten Seeadlern leicht auf
       den Hühnerbrater Kentucky Fried Chicken ausweichen können, wovon es mehr
       als ein halbes Dutzend Filialen in Schleswig-Holstein gibt.
       
       Der Flensburger Birdwatcher Gerhard Kornowski beobachtete von 1953 bis 1955
       Blässhühner in den Gewässern Ostholsteins. Im Journal für Ornithologie
       schrieb er 1957: „Blässhühner wehren angreifende Seeadler dadurch ab, daß
       sie sich auf der Wasserfläche zu dichtem Gewimmel zusammenballen und
       (mitunter) dem Feind gemeinsam Wasser entgegenspritzen … Eine ererbte
       Abwehraktion des Blässhuhns besteht im Abwenden bzw. Verbergen des durch
       die weiße Blässe auffallenden Kopfes …“ Oder dass es abtaucht und woanders
       wieder auftaucht.
       
       8 Jan 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Helmut Höge
       
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