# taz.de -- Journalist über Repression im Iran: „Das ist auch mein Land“
       
       > Der in Deutschland tätige Journalist Farhad Payar über die Verhaftung
       > seiner Nichte Ghazaleh Zarea in Iran und die Drohungen gegen ihn.
       
 (IMG) Bild: Die iranische Journalistin und Sozialaktivistin Ghazaleh Zarea bei einer Reise in Deutschland 2019 mit Farhad Payar
       
       taz: Herr Payar, Ihre Nichte Ghazaleh Zarea ist Journalistin im Iran und
       setzt sich für bedürftige Frauen und Straßenkinder ein. Im Juli wurde sie
       vom Geheimdienst festgenommen, am 13. Januar hat das sogenannte
       Revolutionsgericht sie zu drei Jahren Haft verurteilt. Wie geht es ihr
       aktuell? 
       
       Farhad Payar: Ich habe das Gefühl, dass sie sich nach außen hin stark
       zeigt, aber innerlich ist sie geschädigt. Wenn man 23 Tage in Einzelhaft
       sitzt und Tag und Nacht verhört wird, ist das schrecklich. Dann wurde sie
       für zehn Tage in einen Trakt mit wegen Kriminalität verurteilten Frauen
       verlegt. Danach wurde sie auf Kaution freigelassen. Wir telefonieren fast
       täglich. Sie kann jederzeit wieder verhaftet werden. Sie hat zwar
       Widerspruch eingelegt, aber das Urteil kann bis zur Entscheidung des
       Revisionsgerichts vollzogen werden.
       
       Was wirft das Regime Ihrer Nichte vor? 
       
       Im Urteil wird ihr die Leitung einer Gruppe vorgeworfen, die die nationale
       Sicherheit gefährden soll. Als Beweis haben sie Workshops angeführt.
       Ghazaleh hat 2018 ein Café eröffnet. Das wurde zu einem Treffpunkt für
       junge Leute. Dort hat sie Lesungen veranstaltet und Workshops gegeben zu
       Psychologie, über Selbstbildung und Selbstfindung, keine politische Arbeit.
       Alles legal, im Rahmen der hiesigen Gesetze. Trotzdem hat sie darauf zwei
       Jahre bekommen. Und ein Jahr für die angebliche Zusammenarbeit mit einem
       antirevolutionären Netzwerk. Das wurde im Urteil auch konkret benannt: das
       deutsche Magazin Spiegel. Sie hatte 2011 auf meine Anfrage hin für die
       Zeitschrift Tagebuch über ihr tägliches Leben geführt. Eine sozial aktive
       Frau in einer kleinen Stadt hat ein schweres Leben. Da ging es nicht um die
       Politik oder das Regime, sondern darum, wie die Gesellschaft mit ihr umgeht
       und was sie in der Gesellschaft wahrnimmt. Drogensucht zum Beispiel.
       
       [1][Sie selbst sind seit 2011 Leiter] des [2][Iran Journal]. Bis Dezember
       haben Sie außerdem für die Deutsche Welle gearbeitet. Und Sie gehen davon
       aus, dass die Verhaftung und Verurteilung Ihrer Nichte auch eine Drohung
       gegen Sie ist. Woran machen Sie Ihren Verdacht fest? 
       
       Sie wollte am 16. August 2023 uns in Berlin besuchen. Am 30. Juli wurde sie
       von Agenten des Geheimdienstes festgenommen. In der Zeit, als sie in
       Einzelhaft war, bekam ich eine Whatsapp-Nachricht vom Handy meiner Nichte:
       Onkel, kannst du mir von dem Geld, das ich bei dir habe, etwas schicken?
       Sie hat aber gar kein Geld bei mir. Und ich wusste ja, dass sie im
       Gefängnis sitzt und mir nicht schreiben kann, weil ihr Handy und ihr
       Laptop konfisziert worden waren. Zwei Verhörer haben in Ghazalehs Namen
       geschrieben. Sie hatten nichts in der Hand gegen sie und wollten ihr nun
       etwas anhängen, nämlich dass sie Geld aus dem Ausland bekommt.
       
       Also eine Falle. 
       
       Ja. Und sie haben mir gedroht. Nach zehn Minuten Hin-und-her-Schreiben
       schickten sie mir die Nachricht: „Sie wissen von all deinen Aktivitäten,
       pass auf dich auf!“ Das ist ein Code: Wenn du so weitermachst, wird dir
       etwas passieren. Als Ghazaleh aus dem Gefängnis freikam, sagte sie mir, sie
       habe mehr Angst um mich gehabt als um sich selbst. Den Grund hat sie mir
       nicht genannt. Überhaupt erzählt sie wenig über die Zeit in der Einzelhaft.
       
       Gab es schon früher Einschüchterungsversuche gegen Sie oder das Iran
       Journal? 
       
       Immer wieder haben wir indirekte, aber auch direkte Drohungen bekommen, das
       heißt per Mail. Zum Beispiel: Wir kriegen euch, früher oder später! Eine
       Weile hatten wir eine Kommentarfunktion unter jedem Beitrag. Da standen
       dann ständig Drohbriefe, Inhalt: „Ihr seid iranfeindlich“. „Ihr werdet
       sehen, was mit euch passiert“. Ich habe sie ignoriert, sie auch meinen
       Mitarbeitern nicht mitgeteilt. Ihre Absicht ist, Angst zu verbreiten, und
       ich will ihnen dabei nicht helfen. Bis sie nun den ersten praktischen
       Schritt unternommen haben.
       
       Im September 2022 starb die 22-jährige Kurdin [3][Jina Mahsa Amini.] Ihr
       Tod setzte die größte und längste Protestwelle in der Islamischen Republik
       seit der Revolution 1979 in Gang. Wie würden Sie die Lage im Iran heute
       beschreiben? 
       
       Wir haben gerade einen Artikel übersetzt dazu, wie Frauen schikaniert
       werden, die im Auto ihr Kopftuch abnehmen. Das ist ein Zeichen dafür, dass
       es immer mehr Frauen gibt, die in der Öffentlichkeit ohne Kopftuch
       auftreten. Alles, was wir in den letzten 44 Jahren gehört haben über die
       Unterdrückung der Frauen, über die Unterdrückung der Oppositionellen, der
       Studenten, der Arbeiter, der Rentner, all das ist immer eine Reaktion des
       Regimes gewesen. Das heißt, die Gesellschaft ist sehr aktiv. Die
       landesweiten Proteste gehen in anderer Form weiter, weil die Probleme,
       weshalb die Menschen auf die Straße gingen, nicht gelöst sind. Ich habe
       meine Nichte gefragt: „Willst du nicht rauskommen?“ Sie sagte: „Nein, das
       ist auch mein Land. Warum sollte ich das Land verlassen?“ „Du kommst
       vielleicht drei Jahre ins Gefängnis“, sagte ich. Sie antwortete: „Wenn das
       der Preis ist, um in diesem Land zu leben, dann bezahle ich ihn.“ Und sie
       ist nicht die Einzige, die so denkt.
       
       Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Ihre Nichte vor dem
       Revisionsgericht Erfolg hat? 
       
       Sie wollen in der relativ kleinen Stadt ein Exempel statuieren. Um mir eins
       auszuwischen und Leuten wie meiner Nichte Angst einzujagen, werden sie
       Ghazaleh zu einer Gefängnisstrafe verurteilen. Da bin ich mir fast sicher.
       Allein deswegen, weil ich mit den Medien geredet habe.
       
       [4][ Hat sich die Bundesregierung bei Ihnen wegen der Drohung aus dem Iran
       gemeldet? ] 
       
       Nein, das ist leider nicht der Fall. Es wäre gut, wenn die Bundesregierung
       sich so etwas nicht gefallen lassen würde. Immerhin bin ich ein deutscher
       Staatsbürger, der für ein deutschsprachiges Onlinemagazin arbeitet. Das
       islamische Regime im Iran ist wie ein Kind. Es macht so lange weiter, bis
       du einmal sagst: Stopp, jetzt ist genug!
       
       Großbritannien hat am Montag Stopp gesagt – in Form von Sanktionen gegen
       Mitglieder der Islamischen Revolutionsgarde. Wie erklären Sie sich die
       Zurückhaltung der Bundesregierung? 
       
       Die Regierungen im Iran und in Deutschland hatten immer eine gute Beziehung
       zueinander. Egal ob in der Weimarer Republik oder als Hitler an der Macht
       war, ob während der Schah-Zeit oder der Islamischen Republik. Nach der
       Revolution von 1979 war Genscher der erste westliche Außenminister, der in
       den Iran gegangen ist. Ich hoffe, diese Politik des Schmusens mit den
       Ajatollahs wird nicht fortgeführt. Fast alle Sanktionen waren
       Augenwischerei, bis 2013. Nur zwei Jahre später, also 2015, war das Regime
       bereit, einen Atomdeal einzugehen. Warum? Man hatte das Regime finanziell
       lahmgelegt. Das heißt, wenn man will, kann man.
       
       31 Jan 2024
       
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