# taz.de -- Präsidentschaftswahl in El Salvador: Der beliebte Diktator
       
       > Am Sonntag will Präsident Nayib Bukele wiedergewählt werden. Sechs
       > Menschen erzählen, wie sich ihr Leben seit seinem Amtsantritt verändert
       > hat.
       
       MEXIKO-STADT/SAN SALVADOR taz | Mit großer Wahrscheinlichkeit wird am
       Sonntag der amtierende Präsident Nayib Bukele in El Salvador wiedergewählt
       – und das obwohl er gar nicht antreten dürfte. Doch der Präsident hat einen
       Weg gefunden, das Verbot zu umgehen. Trotz verbotener Kandidatur
       versprechen ihm Umfragen zwischen 70 und 80 Prozent der Stimmen. Bukele ist
       populär, weil sich die Sicherheitslage im Land seit seinem Amtsantritt
       stark verbessert hat. Das ist vor allem seinem harten Vorgehen gegen
       kriminelle Banden geschuldet, was Menschenrechtler:innen kritisieren.
       Weitere Hintergründe zu den Wahlen lesen Sie [1][hier]
       
       ## Journalistin in ständiger Angst
       
       Wer würde Bukeles Aussagen über die niedrigen Mordzahlen widersprechen,
       wenn es keinen Zugang zu offiziellen Statistiken gibt? Für die Journalistin
       Vilma Laínez hat sich vieles zum Negativen verändert, seit der Politiker
       das Präsidentenamt übernommen hat. „Das Recht auf Information ist nicht
       mehr gewährleistet“, erklärt die 41-Jährige.
       
       Sie erinnert sich an die Zeit als junge Medienschaffende bei einem
       Uniradio. Damals waren sie einfach ins Parlament gegangen, wenn sie an
       Sitzungen teilnehmen wollten. Heute ist daran nicht mehr zu denken. „Die
       Abgeordneten der Regierungspartei Nuevas Ideas geben einfach keine
       Informationen heraus“, sagt Laínez, die heute für das [2][Magazin Alharaca]
       arbeitet, das sich schwerpunktmäßig Menschenrechten, Diversität und
       Feminismus widmet.
       
       Auch Laínez bestreitet nicht, dass die Unsicherheit in El Salvador immer
       ein großes Problem war. Sie hat selbst oft genug in Dörfern und Stadtteilen
       recherchiert, in denen die Mara Salvatrucha 13 oder die Barrio 18 das Sagen
       hatten. „In jeder x-beliebigen Straße hat man Tote gefunden“, erklärt sie,
       auch sie wurde einmal in einem Bus ausgeraubt. „Jetzt regiert dort zwar
       nicht mehr die ständige Furcht vor den Banden, dafür stehen an jeder Ecke
       Polizisten und Soldaten.“
       
       Das macht der Journalistin ebenfalls Angst. Denn die Ambitionen der
       Regierung, zunehmend Lebensbereiche der Bürger*innen zu kontrollieren,
       schlägt sich auch auf ihren Beruf nieder. „Man wirft uns einfach in
       denselben Topf wie die Opposition“, beschreibt sie. [3][Kolleg*innen
       werden kriminalisiert], einige mussten sogar schon das Land verlassen. Oft
       seien es die Anhänger Bukeles oder auch lokale Polizisten auf dem Land, die
       sie bedrohten. Wenn sie in das Dorf ihrer Eltern fährt, erlebt sie, wie die
       Beamten sie beobachten. Das verunsichert. Erstmals ist auch ihr ein Gedanke
       gekommen, den sie früher nie zugelassen hätte: „Ich reise immer wieder in
       die USA, aber nie hatte ich überlegt, dort zu bleiben. Aber wenn sich die
       Dinge weiter verschlechtern, werde ich möglicherweise mein Land verlassen
       müssen.“
       
       ## Geschwister mit Männern hinter Gittern
       
       Warten. Vielleicht noch ein Jahr, vielleicht auch länger. Niemand weiß mit
       Sicherheit, wann die Geschwister Jénnifer und Katherine Hernández ihre
       Lebensgefährten wiedersehen werden. „Wir dürfen sie nicht besuchen und
       wissen nur, in welchem Gefängnis und in welchem Trakt sie sich befinden“,
       erklärt die 20-jährige Katherine. Die beiden Männer [4][sitzen hinter
       Gittern], weil ihnen vorgeworfen wird, Mitglieder einer Mara-Bande zu sein.
       Sie wurden unabhängig voneinander verhaftet, nach dem Unbekannte sie bei
       der Polizei denunziert hatten. Beweise gibt es nicht. „Der Vorwurf gegen
       meinen Freund ist völlig absurd“, sagt die 22-jährige Jénnifer, „er soll
       Mitglied einer Gruppe gewesen sein, die es bei uns gar nicht gab.“
       
       Die Geschwister leben in einem armen Viertel von San Salvador, das von der
       Mara Barrio 18 kontrolliert wurde. Jénnifer war noch schwanger, als die
       Polizei ihren Freund an seinem Arbeitsplatz, einem Restaurant, abholte.
       Heute ist ihr Sohn Jared Alexander neun Monate alt und über seinem Bett
       hängt das Bild seines Vaters. Katherines Tochter Elizabeth war bereits auf
       der Welt, als ihr Lebenspartner verhaftetet wurde. Bis heute hat die Kleine
       deshalb Depressionen und ist in psychologischer Behandlung.
       
       „Wir wurden selbst ständig von der Bande terrorisiert“, erklärt Katherine
       Hernández und beschreibt, wie sie immer wieder von den tätowierten Männern
       auf der Straße angehalten und bedroht wurden. Nachdem ihr Freund einen
       Autowaschsalon eröffnete, musste er einmal die Woche eine „Quote“ von 85
       US-Dollar abgeben. Sollte er nicht zahlen, müsse er damit rechnen, dass er
       oder seine Freundin in einem schwarzen Plastiksack gefunden würden. Wohl
       deshalb sind die beiden Geschwister trotz ihres Leidens der Meinung, dass
       der Präsident das Richtige tut. „Wir fühlen uns ruhiger“, sagt Jénnifer. Ob
       sie Bukele wählen werden? „Ja“.
       
       ## Rentner mit neuen Lebensplänen
       
       Dank des Präsidenten könnten sich die Lebenspläne von Wilfredo Machado
       grundlegend ändern. Denn eigentlich wollte der Salvadorianer, der vor über
       40 Jahren aus seiner Heimat in die USA emigriert ist, seinen Lebensabend in
       Florida verbringen. „Auf jeden Fall dort, wo es wärmer ist“, sagt der Mann,
       der in New York lebt und vor wenigem Tagen seinen 65. Geburtstag gefeiert
       hat. Doch seit Bukele massiv gegen Jugendbanden vorgeht, überlegt er,
       wieder nach El Salvador zurückzukehren. „Jetzt, wo das Land sicher ist,
       könnten wir wiederkommen.“
       
       „Wir haben nie aufgehört, unser Land zu lieben“, betont Machado. Und das,
       obwohl er 1980 vor dem [5][Bürgerkrieg zwischen der Guerilla und der
       Regierung] flüchten musste. Später kam er immer wieder zu Besuch, bis die
       Gewalt erneut überhand nahm. Wegen der durch die Mara-Banden verursachten
       Unsicherheit sind er und seine Familie 13 Jahre lang nicht in seine alte
       Heimat gekommen. Man habe damals einige Stadtteile gar nicht betreten
       können, um 19 Uhr seien alle zu Hause gewesen, erinnert er sich. Jetzt
       dagegen sind die Machados durchs ganze Land gereist: an die Strände des
       Pazifiks, aufs Land ins touristische Apaneca und entlang der populären,
       schmalspurigen „Straße der Blumen“.
       
       „Der Wechsel ist gut für die Menschen“, ist der 65-Jährige überzeugt. Die
       Vorwürfe der Opposition seien nichts als Lügen und Fantasien, meint er und
       vertraut fest darauf, dass Bukele am kommenden Sonntag gewinnen wird.
       Auch er wird seinen kleinen Teil dazu beisteuern, wenn er wieder zurück in
       New York ist: „Ich gehe in der salvadorianischen Botschaft wählen.“
       
       ## Sichere Straßen für den Gastronomen
       
       Auf dieser Straßenseite die Mara Barrio 18, auf der anderen die Mara
       Salvatrucha 13 – Hamilton Francos Arbeitsstelle befindet sich an einer
       dieser unsichtbaren Grenze, die sich lange Zeit quer durch das Zentrum San
       Salvadors zogen. „Hier gab es immer Probleme“, erinnert sich der
       45-Jährige, der in der Straße ein Restaurant betreibt. Nur zwei Ecken
       weiter ist ein Supermarkt, aber früher konnte er seinen 17-Jährigen Sohn
       nicht einmal dorthin schicken, ohne ein hohes Risiko einzugehen, dass ihm
       etwas passieren könnte. Die Banden kontrollierten die gesamte Gegend.
       
       Heute ist das ganz anders. Seit Präsident Bukele viele mutmaßliche
       Mitglieder der Jugendbanden hat inhaftieren lassen, ist wieder Leben auf
       der Straße. Vorher seien spätestens um halb sieben alle zu Hause geblieben.
       „Als Familienvater bin ich über die Entwicklung sehr zufrieden“, sagt er.
       Dass Menschen willkürlich aufgrund ihres Aussehens verhaftet werden, will
       er nicht glauben. Alle, die in seinem Viertel verhaftet worden seien, seien
       nicht unschuldig. „Nicht alle waren Bandenmitglieder, aber sie waren
       involviert.“ Auch die schlechte Behandlung der Inhaftierten berührt ihn nur
       begrenzt. „Menschlich betrachtet ist das natürlich schwierig“, findet er,
       „aber ich weiß, zu was sie selbst fähig sind. Allein hier im Zentrum haben
       sie täglich zwei Leute mit Macheten ermordet oder erschossen“.
       
       Sein Restaurant betreibt er zwar erst seit Anfang Dezember, aber der Laden
       gehe gut. Da die Regierung nach der Befriedung des Barrios den Tourismus
       fördere, habe er bereits Gäste aus aller Welt verköstigt: aus
       [6][Guatemala], Kolumbien, Argentinien, Ecuador, Panama, Costa Rica.
       Nachdem der Mindestlohn im Land erhöht wurde, muss Franco seinen
       Mitarbeitern nun zwar mehr bezahlen, aber zugleich haben seine Landsleute
       mehr Geld, um auch mal essen zu gehen.
       
       Der Salvadorianer lässt keinen Zweifel, dass er hinter seinem Präsidenten
       steht. Dennoch hat er seine Vorbehalte. Besonders beschäftigt ihn die Frage
       nach dem Danach: „Alles ist Nayib Bukele, aber was passiert, wenn er nicht
       mehr da ist.“
       
       ## Arbeitslosigkeit für den Beamten
       
       Er will sich das gar nicht wirklich vorstellen: „Wenn Bukele am Sonntag die
       Wahl gewinnt, müssen wir fünf weitere Jahre mit diesem Diktator aushalten,
       der das Land regiert, als sei es sein eigenes Unternehmen“, kritisiert
       Samuel Ruiz. Dann zählt er auf, was in El Salvador alles schief läuft: Es
       gibt keine Transparenz über den Staatshaushalt, der Präsident verschleudert
       Steuergelder für [7][den Kauf von Bitcoins] und kooperiert mit
       mexikanischen kriminellen Kartellen.
       
       Vor allem aber ist der Mitsechziger entsetzt über die willkürlichen
       Verhaftungen mutmaßlicher Bandenmitglieder. Wenige Monate nachdem das
       Regime den Ausnahmezustand ausgerufen hatte, gründete er mit anderen die
       Organisation Movir, die sich für Opfer des Regimes einsetzt. Dabei hätten
       auch er und viele andere heutige Opfer die Entscheidung zunächst richtig
       gefunden, gegen die Maras vorzugehen. „Viele waren ja selbst Opfer der
       kriminellen Gangs“, erklärt er, „aber heute sind sie Opfer der staatlichen
       Repression.“ Mit der Zeit sei immer deutlicher geworden, dass sich die
       Repression auch gegen zahlreiche Unschuldige richtet.
       
       Ruiz weiß genau, was staatliche Repression heißt. Während des Bürgerkriegs
       hat er in der Guerilla gekämpft. Er ist empört, dass Bukele den 1992
       vereinbarten Friedensvertrag zwischen den bewaffneten Kämpfer*innen und
       dem Staat als untauglich bezeichnet. Im Krieg der FMLN-Guerilla gegen die
       Regierung sei es um soziale Gerechtigkeit gegangen. Ziel war, die
       Bevölkerung aus der Armut zu befreien. Damit sehe es auch jetzt wieder
       schlecht aus, sagt er. „Es gibt kaum Möglichkeiten, zu arbeiten in diesem
       Land.“ Er selbst war einst Beamter, nun ist er auf der Suche nach einem
       neuen Job. Doch das sei schwierig: Zahlreiche Beschäftigte über 50 Jahren
       seien aus dem Staatsapparat entlassen und durch Parteianhänger von Bukeles
       „Nuevas Ideas“ ersetzt worden.
       
       Mitarbeit: Fritz Pinnow
       
       3 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
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