# taz.de -- Morddrohungen gegen britischen Tory: Mike Freer gibt auf
       
       > Nach einem Brandanschlag und Gewaltandrohungen will der Tory nicht mehr
       > fürs Unterhaus kandidieren. Das hat auch mit seiner Haltung zu Israel zu
       > tun.
       
 (IMG) Bild: Mike Freer, vor jubelden Anhänger:innen, nach dem Gewinn seines Wahlkreises in London 2019
       
       Vincenzo findet kaum die richtigen Worte. Der Inhaber eines Feinkostladens
       im nördlichen London erzählt, wie ihn die Nachricht mitgenommen habe, dass
       der Parlamentarier Mike Freer aus dem Wahlbezirk Finchley and Golders Green
       bei den bevorstehenden britischen Unterhauswahlen nicht mehr antreten
       wolle. Der 63-jährige Freer hat sein Abgeordnetenbüro genau gegenüber von
       Vincenzos Laden. „Er ist ein netter Mann“, urteilt Vincenzo.
       
       ## Brandanschlag und Mordversuch
       
       Aber Freer und seine Familie fühlen sich nicht mehr sicher. Erst
       Weihnachten vergangenen Jahres wurde sein Abgeordnetenbüro in Brand
       gesetzt. Ganz generell kann Freer sich glücklich schätzen, überhaupt noch
       am Leben zu sein. Diese Woche gab er bekannt, dass der IS-Unterstützer Ali
       Harbi Ali, [1][der im Oktober 2021 den konservativen Abgeordneten Sir David
       Ames ermordet hatte], es kurz zuvor auch auf ihn abgesehen hatte. Eine
       unvorhergesehene Terminänderung rettete Mike Freer damals das Leben
       
       Freer sprach in den britischen Medien von permanenten Angriffen auf seine
       Person. Seine Unterstützung Israels und [2][der jüdischen Bevölkerung, die
       in einigen Teilen des Stadtteils Golders Green die Hälfte der Bevölkerung
       stellt], sei der Grund dafür, meint er. Mehrmals sei er sogar schon von der
       verbotenen radikal-islamischen Gruppe „Muslims against Crusades“ (Muslime
       gegen Kreuzzüge) kontaktiert worden. Ständig müsse er auf der Hut vor neuen
       Gefahren sein. Irgendwann hätten solche Angriffe auch Auswirkungen auf die
       Familie. Dieser Zeitpunkt sei jetzt gekommen und darum sei es jetzt einfach
       genug.
       
       Mike Freer ist seit 2010 konservativer Abgeordneter im britischen
       Unterhaus. Seitdem hat er sich immer wieder sowohl gegen rechtsradikale
       Bedrohungen als auch gegen [3][den Antisemitismus in der Labour-Partei]
       ausgesprochen. 2021 verurteilte er einen Autokorso in seinem Stadtteil,
       dessen Teilnehmer:innen jüdischen Passant:innen offen antisemitische
       Hassparolen entgegenriefen. Nach dem 7. Oktober letzten Jahres setzte sich
       Freer für die jüdische Bevölkerung in Großbritannien und für Israel ein.
       
       ## Balance im Nahost-Konflikt
       
       In der Nachbarschaft von Freers Büro sind viele der Meinung, dass in Sachen
       Israel und Gaza eine Balance gewahrt werden müsse. So wie der 38-jährige
       Allaa, der aus Marokko stammt. Der derzeit arbeitslose IT-Ausbilder findet,
       Abgeordnete müssten sich vor allem für den Frieden einsetzen.
       Gewaltanwendung oder Morddrohungen gegen sie lehnt er absolut ab.
       
       Ein aus Indien stammender 70-Jähriger glaubt hingegen, dass in
       Großbritannien zu wenige für die Palästinenser:innen sprechen würden.
       Freer sei da keine Ausnahme. Ein etwa 20-jähriger Vollbartträger im blauen
       Pulli bricht sichtbar erregt das Gespräch ab: „Was, er unterstützt Israel?
       Fuck him!“
       
       Ganz anders an einer der Hauptstraßen in Golders Green. Hier gibt es
       koschere Metzger, jüdische Bäckereien und Supermärkte. Die 23-jährige
       Sarah, die in einem koscheren Imbiss arbeitet, erklärt: „Es ist traurig,
       dass jemand, der sich hinter die jüdische Gemeinschaft stellt, jetzt
       aufgibt.“
       
       ## „Wir lieben, ihr hasst“
       
       Judy und Victor, beide jüdisch und im Rentenalter, glauben allerdings, dass
       Freer kein effizienter Abgeordneter war. „Ich habe ihn einmal wegen einer
       Sache angeschrieben, sein Einsatz war enttäuschend“, so Victor. Beide
       verurteilen die Gewalt gegen Freer. Sie hoffen aber, dass die jüdische
       Labourkandidatin Sarah Sackman, die bereits 2015 angetreten war, aber
       damals noch 11,3 Prozent hinter Freer lag, diesmal bessere Chancen hat.
       
       Neben dem Supermarkt Kosher Kingdom in Golders Green hängen [4][Plakate von
       den israelischen Geiseln in Gaza]. Die gleichen hingen auch in der Umgebung
       von Freers Büro – an einer alten Telefonzelle, einst Symbol für Gespräche
       über räumliche Distanz. Dort wurden sie jedoch heruntergerissen. „Wie krank
       und böse muss derjenige sein, der das herunterriss. Wir lieben, ihr
       hasst!“, hat jemand auf die Fetzen geschrieben.
       
       Manchmal bleibt es nicht beim Herunterreißen von Plakaten. Erst Anfang der
       Woche hatte ein 34-Jähriger Angestellte und Kund:innen in einem der
       kleineren koscheren Supermärkte in Golders Green mit einem Küchenmesser
       bedroht, bevor er von einem Mitglied des jüdischen Sicherheitsdienstes
       Shomrin und der Londoner Polizei überwältigt werden konnten. Nach
       Augenzeugenberichten wollte der Mann wissen, auf welcher Seite die Menschen
       im Supermarkt im Nahost-Konflikt stünden.
       
       3 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
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