# taz.de -- Abstimmung in der Schweiz: Ruf nach dem starken Staat
       
       > Am Sonntag stimmt die Schweiz über eine Erhöhung der staatlichen Rente
       > ab. Umfragen sehen das Ja-Lager vorn. Warum kommt Umverteilung dort
       > plötzlich an?
       
 (IMG) Bild: Rentner Walter Schmidiger vor seiner Wohnung in Olten
       
       BERN/OLTEN taz | Hitzig geht es zu, an diesem Donnerstag Mitte Februar im
       Berner Gaskessel, dem ältesten Jugendkulturzentrum Europas. Das liegt nicht
       nur am hellen Scheinwerferlicht, das den Raum spürbar aufheizt. Denn dort,
       wo sonst getanzt wird, die von der Decke baumelnde Discokugel zeugt davon,
       wird an diesem Abend energisch diskutiert. Etwas liegt in der Luft und das
       hat maßgeblich mit den am 3. März stattfindenden nationalen Abstimmungen
       über die Zukunft des Rentensystems der Schweiz zu tun. Die vierzig jungen
       Menschen im Saal blicken gebannt auf die Bühne, wirken konzentriert. Manche
       kommentieren im Flüsterton die Argumente der Jungpolitiker:innen, andere
       knabbern noch an einer Focaccia vom Aperitif im Foyer. Man trinkt Mate oder
       Bier.
       
       „Altersarmut kann unerwartet eintreffen“, sagt Charlotte Günther von den
       Jungsozialisten und blickt dabei ihrem liberalen Kontrahenten auf der
       anderen Seite der auf der Bühne stehenden Tischtennisplatte ernst ins
       Gesicht. Sie sitzt aufrecht, hält mit der einen Hand das Mikrofon fest, mit
       der anderen gestikuliert sie über den Tisch. Zwischendurch schielt sie auf
       ihre Notizen, macht eine kleine Pause.
       
       Doch nachdem sie kurz ihre Zahlen geprüft hat, fährt sie fort: „Bis zu
       300.000 Personen, also 20 Prozent der älteren Menschen in der Schweiz, sind
       von Altersarmut bedroht oder gefährdet.“ Dabei handelt es sich vor allem um
       Frauen und Menschen ohne Schweizer Pass. Gerade diese würden von einer
       Erhöhung der staatlichen Rentenversicherung profitieren, für die Günther
       plädiert.
       
       Ihr Gegenüber, der Jungliberale David Micoccio, schüttelt den Kopf, lächelt
       schelmisch. Vor ihm liegt ein knittriger Notizzettel, in seinem erröteten
       Gesicht ist Anspannung zu spüren. „Man kann das Problem der Altersarmut
       nicht mit der Gießkanne und per Umverteilung lösen“, entgegnet er und
       scheint zum Rundumschlag auszuholen, den er aber abbricht und schließlich
       dem Moderator das Wort überlässt.
       
       Während die ersten Debatten beim „Polit Ping Pong“ Fahrt aufnehmen, erhebt
       sich im Publikum ein Tischtennisschläger. Unterbrechungen und Mitmachen
       gehören hier zum Konzept. Eine Zuschauerin meint, dass man als junger
       Mensch doch eher sparen möchte als noch mehr Abgaben zahlen. Sie fragt in
       die Runde: „Bin ich unsolidarisch, wenn ich am 3. März Nein stimmen werde?“
       
       So unterschiedlich die Positionen an diesem Diskussionsabend in Bern sind,
       so gegensätzlich sind die zwei Vorlagen, über die die Schweizer
       Wählerschaft an diesem Sonntag abstimmen wird. Auf der einen Seite fordert
       eine gewerkschaftliche Initiative analog zum in der Schweiz üblichen 13.
       Monatslohn die Einführung einer zusätzlichen 13. Monatsrente durch die
       Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), die staatliche Vorsorge und
       eine der drei Säulen des eidgenössischen Rentensystems.
       
       Angesichts gestiegener Ausgaben für Krankenkasse, Elektrizität und Mieten
       sollen Rentner:innen mehr Geld bekommen. Auf der anderen Seite verlangt
       die „Renteninitiative“ der Jungfreisinnigen, der Parteinachwuchs der
       wirtschaftsliberalen FDP, eine schrittweise Erhöhung des
       Renteneintrittsalters, zunächst jedoch von 65 auf 66 Jahre.
       
       Trotz einer Nein-Empfehlung von Bundesrat und Parlament sagen letzte
       Umfragen der 13. AHV-Rente ein knappes Ja voraus, die Renteninitiative
       droht jedoch klar zu scheitern. Während in Frankreich und Deutschland
       Rentenkürzungspläne und die Erhöhung des Rentenalters beschlossen wurden,
       scheint die Schweiz hier den entgegengesetzten Weg zu gehen.
       
       Dabei gilt staatliche Umverteilung in der eigentlich sonst sehr
       wirtschaftsliberalen Eidgenossenschaft als linkes Teufelszeug, das von
       einer Mehrheit abgelehnt wird. Zumal der demografische Wandel, immer mehr
       Rentner:innen stehen immer weniger Arbeitnehmer:innen gegenüber,
       auch dort ein Problem ist. Wie kommt das?
       
       Rund hundert Kilometer von der Hauptstadt Bern entfernt steht eine
       Schulklasse in einem Raum des Landesmuseums Zürich. Es ist dunkel, an den
       Wänden flimmern farbige Wahlplakate auf, daneben prangt eine rote Fahne der
       Arbeiterbewegung. In einer Vitrine sieht man Banknoten aus verschiedenen
       Epochen. Die Stimmung ist aufgewühlt, die Jugendlichen reißen Witze, die
       Museumsführerin bittet um Ruhe.
       
       Als ein Schüler eine Kanone der Schweizer Armee aus dem Zweiten Weltkrieg
       berührt, greift eine Aufseherin ein: „Nichts berühren im Museum!“ Die
       Dauerausstellung zur Schweizer Geschichte und die im Raum ausgestellten
       Plakate zur Abstimmung der AHV 1947 scheinen bei der Klasse nicht auf
       sonderlich großes Interesse zu stoßen. Erst als das Thema auf den
       Wohlstandsschub in der Nachkriegszeit kommt und ein orangefarbenes Logo zu
       sehen ist, meldet sich ein Schüler zu Wort: „Auch meine Eltern arbeiten bei
       Coop.“ Das Großhandelsunternehmen, dessen Supermärkte jede:r in der
       Schweiz kennt, steht als Beispiel für die florierende Konsumkultur nach dem
       Zweiten Weltkrieg.
       
       1947 wurde die AHV nach einer erfolgreichen Volksabstimmung eingeführt.
       „Die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs hat dabei eine entscheidende Rolle
       gespielt“, sagt der Historiker Jakob Tanner im Videogespräch. Tanner ist
       emeritierter Professor für Schweizer Geschichte an der Universität Zürich.
       Er spricht klar und ohne lange Pausen.
       
       Nach 1945 dominierte das Selbstbild einer nationalen
       Schicksalsgemeinschaft, die die große Bewährungsprobe bestanden habe. Die
       AHV-Einführung ist als Lohn dafür zu sehen. „In der Erinnerung handelte es
       sich um einen enorm wichtigen Schritt, obwohl die Zielsetzung
       existenzsichernder Renten bei Weitem nicht erreicht wurde und das ganze
       System die Männerarbeit privilegierte und Frauen diskriminierte“, sagt
       Tanner.
       
       ## Die Schweiz als Nachzüglerin
       
       Im internationalen Vergleich war die Schweiz eher Nachzüglerin. Schon
       Jahrzehnte zuvor, als im Deutschen Kaiserreich in den 1880er Jahren unter
       Bismarck die ersten Sozialversicherungen eingeführt wurden, hinkte man
       hinterher – aufgrund des bürgerlichen Widerstandes und der Bremswirkung der
       direkten Demokratie, wie Tanner ergänzt. „Nach 1948 war die Schweiz eines
       jener Länder, die man kaum als Sozialstaat bezeichnen kann, weil private
       Versicherungen eine zentrale Rolle spielten“.
       
       In der Nachkriegszeit fuhr man bei den Renten zweigleisig: Einerseits über
       die Pensionskassen. „Diese waren aber hochgradig selektiv; Frauen und
       schlecht bezahlte Gruppen von Arbeitnehmer:innen waren stark
       unterrepräsentiert.“ Andererseits die AHV, die aber noch sehr kleine
       Beiträge auszahlte.
       
       Das rasante Wirtschaftswachstum bis Mitte der 70er Jahre schuf schließlich
       die Basis für Reformen. „Ab den 1960er Jahren wurde die soziale Absicherung
       im Alter, aber auch bei Invalidität stetig ausgebaut“, sagt Tanner.
       Parlament und Bundesrat setzten auf das bis heute gültige
       Drei-Säulen-System: die AHV, die berufliche und die private Vorsorge. Im
       Zuge der Wirtschaftskrise wurde jedoch erst 1986 eine stark abgespeckte
       Variante der drei Säulen gesetzlich verankert.
       
       Die Initiative für eine 13. AHV-Rente ist nun ein weiterer Versuch der
       linken Parteien, die Säule mit der größten Umverteilungswirkung zu stärken.
       „Würde die Initiative angenommen, würde man damit sagen: Wir sind gegen die
       teilweise entwürdigenden Ergänzungsleistungen, wir benötigen eine 13.
       Rente, welche die Erhöhung der Lebenskosten kompensiert“, sagt der
       Historiker.
       
       Zwischen Zürich und Bern liegt auf halber Strecke Olten, eine kleine
       Eisenbahn- und Industriestadt, bekannt als Umsteigeort und Nebelloch der
       Schweiz. Doch an diesem milden Freitagmorgen Ende Februar scheint am Fuß
       des Jura die Sonne. Im Vergleich zu Zürich sind die Mieten hier niedrig,
       die Getränkepreise in den Kneipen ebenso. Hinter dem Bahnhof führt der Weg
       vorbei am Gymnasium, dessen brutalistischer Bau eher an sowjetische
       Stadtplanung denn an schweizerische Provinz erinnert.
       
       Nach einem kleineren Fußmarsch gelangt man zur Hochhaussiedlung der
       Bundesbahnen SBB im Meierhof. Hier sitzt Walter Schmidiger im gestreiften
       Hemd am Tisch seiner Wohnung und hält die Hände gefaltet. Durch die Fenster
       scheint die Sonne auf die Holzmöbel und den Teppich im geräumigen
       Wohnzimmer des 82-Jährigen, der mit dem Finger durch sein Auge unter der
       Brille fährt. Die Tapete stammt noch von früher, im Schrank unter einer
       alten Uhr reihen sich Bücher aneinander. „Ich gehe jeden Tag im Wald
       spazieren“, sagt der Witwer und Vater von zwei Kindern und lächelt. Während
       er spricht, pendelt sein Blick zwischen Tischtuch und Gegenüber. Er
       engagiert sich im lokalen Seniorenverein der reformierten Kirche und liest
       viel.
       
       An die AHV-Einführung kann er sich nicht erinnern. „Aber ich habe damals
       bei meinen Großeltern gelebt, da meine Eltern beide Vollzeit arbeiteten.
       Die erste Rente betrug dann bloß 36 Franken“, erzählt er. Seine Ehefrau,
       die 14 Jahre älter war als er, habe noch mehr Erinnerungen an jene Zeit
       gehabt: „Man hat gearbeitet, bis es nicht mehr ging. Damals kümmerten sich
       die Kinder um die Eltern. Altersheime gab es keine.“ Seine gesamte
       Arbeitszeit verbrachte Schmidiger als Betriebsfachmann und im
       Rechnungswesen in einer Firma, die mittlerweile von einem deutschen Betrieb
       aufgekauft wurde.
       
       „Mir selbst geht es gut. Ich bin privilegiert, erhalte AHV und habe
       Ersparnisse aus der zweiten und dritten Säule. Aber ich weiß, dass vielen
       die Rente nicht reicht.“ Im Seniorenverein oder am Stammtisch höre er ab
       und zu von Leuten, die Ergänzungsleistungen beziehen müssten, weil die
       Rente nicht ausreicht für die gestiegenen Krankenkassenprämien und Mieten.
       „Man verhungert nicht in einer solchen Situation, muss aber auf einiges
       verzichten“, meint der Rentner.
       
       Außerdem schämten sich die Leute, Ergänzungsleistungen zu beantragen, da
       sie nicht vom Staat abhängig sein wollten. „Und die Wartezeiten sind sehr
       lang.“ Im Kanton Solothurn, in dem Schmidiger lebt, wurde jüngst Kritik an
       den monatelangen Verzögerungen bei den Auszahlungen laut, wobei die Gesuche
       eigentlich nach spätestens 90 Tagen bearbeitet sein sollten.
       
       Wie er am Sonntag abstimmen wird, lässt sich erahnen: „Viele Leute haben
       nicht mehr genug Geld und könnten eine 13. Rente gut gebrauchen.“
       Schmidiger erinnert sich, wie er 1972 bei der Initiative der Partei der
       Arbeit für eine Volkspension mit Nein stimmte. „Heute wäre ich aber dafür.“
       
       Enttäuscht sei er von der Regierung, die die Gelder nicht richtig einsetze.
       In der Entwicklungshilfe oder bei der Unterstützung [1][der Ukraine] hätten
       die Zahlungen keine direkte Wirkung. „Es fehlt dem Bundesrat an Weitblick“,
       meint Schmidiger. „Sie hätten einen Gegenvorschlag zur AHV-Initiative
       ausarbeiten können, mit dem geregelt wird, dass das Geld nur zu den weniger
       gut Verdienenden fließt. Aber die AHV geht ja an alle, also auch an die
       Reichsten.“ Gerade jene 20 Prozent der Pensionierten, die von Altersarmut
       betroffen oder gefährdet sind, müssten direkt profitieren.
       
       Dieser Meinung ist auch Marlène Wälchli Schaffner, die ebenfalls in Olten
       lebt, ihr ganzes Leben berufstätig war und am Schluss zu 80 Prozent in der
       Studien- und Laufbahnberatung im Gesundheitswesen arbeitete. Zum Termin am
       Bahnhof in Olten wartet sie schon früh in der Unterführung zwischen
       Pendler:innen, sie trägt pinken Hut und Schal, an ihrer Hand hat sie sich
       leicht verletzt, weshalb sie sie nicht zur Begrüßung schütteln kann. Im
       Unterschied zu Schmidiger lehnt die seit fast zwei Jahren Pensionierte die
       Initiative der Gewerkschaften jedoch ab. Die Initiative sei nicht
       ausgereift, wie sie sagt.
       
       Zuerst gibt sie kurze Antworten und kommt dann immer mehr ins Reden. „In
       der AHV werden Familientätigkeit als Beitragsjahre angerechnet. Für viele
       Frauen, die Familientätigkeit ausgeübt haben, sind die jedoch niedrigen
       Renten ein großes Problem. Das schafft Armut.“ Mit ihrem Ehemann habe sie
       vor der Pensionierung eine Finanzberatung gemacht und einen Budgetplan
       ausgearbeitet. Da sie ihre Ausgaben gut im Griff habe und dank einer
       Erbschaft stehe sie auf sicheren Beinen. „Aber man kann nach der Rente
       nicht einfach weiterleben, wie man gelebt hat.“ Heute kaufe sie sich
       beispielsweise weniger Kleider oder spendet weniger Geld als noch vor der
       Pension.
       
       Am meisten aber schmerze sie, dass sie und ihr Ehemann als Verheiratete
       mehr Steuern bezahlen müssen als Einzelpersonen. „Diese Ungleichbehandlung
       abzuschaffen wäre wichtiger als eine 13. AHV-Rente.“ Außerdem befürwortet
       sie, wenn das Renteneintrittsalter für unterschiedliche Berufsgruppen
       variieren würde. Doch die Renteninitiative, die eine ähnliche Stoßrichtung
       verfolge, komme zum falschen Zeitpunkt, gerade auch wegen der jüngsten
       Abstimmung zur Erhöhung des Frauenrentenalters.
       
       Zurück beim „Polit Ping Pong“ in Bern. Der Schlagabtausch geht weiter:
       „Willst du, dass wir Junge mehr zahlen müssen?“, spricht der Moderator die
       Jungsozialistin Charlotte Günther auf die Initiative für eine 13. AHV-Rente
       an. „Unter dem Strich ja“, antwortet diese süffisant. Die Teuerung mache
       sich in allen Lebensbereichen bemerkbar, bei den AHV-Renten gebe es jedoch
       keine Erhöhung. „Die AHV ist dazu gedacht, Leute aufzufangen“, meint
       Günther weiter und richtet ihren Blick ins Publikum. „Ich habe Vertrauen,
       dass auch ich später diese Solidarität erfahren werde.“
       
       Dass die AHV-Initiative bei vielen Stimmberechtigten gut ankommt, dafür
       macht die Politikwissenschaftlerin Cloé Jans des Forschungsinstituts
       gfs.bern das gesellschaftliche Klima verantwortlich: „Immer mehr alte
       Menschen haben Mühe, über die Runden zu kommen“, sagt sie im telefonischen
       Gespräch. „Die gestiegenen Kosten und die Teuerung führen zu einem Gefühl
       der Unsicherheit.“
       
       Hinzu kommt: „In Umfragen und dem gesellschaftlichen Diskurs sehen wir,
       dass Menschen früher einen direkteren Bezug zur Wirtschaft hatten. Mit der
       Globalisierung und der Kritik daran, den Diskussionen um die Rettung der
       Credit Suisse oder die Löhne in den Chefetagen von Großkonzernen, hat sich
       im Diskurs eine Eliten-Basis-Konstellation etabliert.“ Deshalb verfangen
       die in der Vergangenheit sehr oft gemachten Argumente der
       Eigenverantwortung und der soliden Staatsfinanzen nicht mehr gleich wie
       noch beispielsweise 2012. Damals stimmte die Schweiz gegen die Einführung
       einer zusätzlichen Ferienwoche.
       
       Doch nun scheint sich der Wind gedreht zu haben. „Der Problemdruck ist
       groß, Lösungsansätze sind bisher rar“, sagt Jans. Im Zuge von Corona, den
       staatlichen Ausgaben und der Inflation mache sich ein Protestmoment
       bemerkbar. „Viele Leute wollen ein Zeichen setzen, eine Ansage machen.
       
       Sie sagen: Überall ist Geld da, aber für mich nicht.“ Vor allem Frauen
       würden eher dafür stimmen, da sie wegen fehlender Gleichstellung in der
       Vergangenheit weniger in die AHV einzahlten. Auch bei Wähler:innen der
       rechtskonservativen SVP stoße das Anliegen auf Anklang. „Viele von ihnen
       sind Arbeiter oder leben in der Landwirtschaft und haben im Alter Mühe, mit
       ihren verfügbaren Mitteln auszukommen.“
       
       Könnte ein Ausbau der staatlichen Vorsorge auch ein Signal an Länder wie
       Deutschland und Frankreich sein, wo Rentenreformen stark polarisieren? „Das
       ist schwierig zu sagen“, sagt Jans. „Das Modell der Schweiz basiert auf
       einer institutionalisierten Zusammenarbeit verschiedener Akteure – von
       Arbeitnehmenden wie auch Arbeitgebern, die alle ihren Teil beitragen.
       
       Diese Zusammenarbeit gerät aber zunehmend unter Druck. Sei dies durch die
       politische Polarisierung, die Fragmentierung im Verbandswesen oder auch
       aufgrund demografischer Spannungen.“ Die jetzige Abstimmung erfolge an
       einem Schwellenmoment. [2][Laut Umfragen sind es vor allem ältere Menschen,
       die eine 13. Rente befürworten, jüngere sind eher dagegen]. Die
       Generationensolidarität – die Idee der AHV – stehe an einem kritischen
       Punkt“, sagt Forscherin Jans.
       
       Beim „Polit Ping Pong“ in Bern hat der Solidaritätsgedanke einen guten
       Stand: „Wenn ich nun wegen der 13. AHV 12 Franken pro Monat abgebe, gehe
       ich einfach zwei Mal weniger etwas trinken in der Stadt“, meint eine junge
       Zuschauerin und lässt ihren Blick durch die Runde streifen.
       
       Andere machen sich eher für ein höheres Rentenalter stark: „Für mich ist
       Arbeiten ein Traum“, sagt ein Mann mit Mütze und schildert begeistert ein
       Gespräch mit einem Rentner, der ihm das klargemacht habe. „Ich will gerne
       in der Pension weiterarbeiten.“ Wer anders entgegnet: „Die meisten Leute
       arbeiten nicht aus Spaß im Alter – sondern, weil sie kein Geld haben!“ Noch
       eine Weile gehen die Diskussionen weiter – bis der Tisch am Ende der
       Veranstaltung zum echten Pingpongspiel umfunktioniert wird.
       
       2 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
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