# taz.de -- Hundetherapie für Kriegstraumatisierte: Auf den Hund gekommen
       
       > Russlands Krieg verursacht bei vielen Menschen in der Ukraine psychische
       > Probleme. Ein Therapiezentrum in Kyjiw setzt jetzt Hunde bei der Heilung
       > ein.
       
 (IMG) Bild: Therapiesitzung in der Hilfsorganisation Inniko in der Hauptstadt Kyjiw
       
       KYJIW taz | Barca scheint ganz entzückt zu sein. Der sechs Monate alte Rüde
       schnüffelt an allen Menschen, die im Raum auf dem Teppich sitzen, wirft
       sich zu Boden und rollt sich hin und her. Aber schon nach wenigen Minuten
       entscheidet er sich, dass es am schönsten ist, erst einmal auf Lisannas
       Schoß zu liegen und sich von ihr kraulen zu lassen.
       
       Lisanna ist 20 Jahre alt und geht seit vergangenem Herbst regelmäßig in
       Kyjiw [1][zur Psychotherapie mit Hunden]. „Das hilft mir dabei, an meinen
       Problemen zu arbeiten“, sagt sie. Außerdem habe sie als Kind immer Hunde
       oder Katzen um sich herum gehabt. Jetzt fehlten ihr die Tiere, sagt sie.
       Sie hat sich bereit erklärt, sich bei einer Therapiesitzung beobachten zu
       lassen und davon zu erzählen. Mit ihrer Therapeutin hat Lisanna einiges zu
       besprechen.
       
       Zweimal musste sie bereits fliehen: 2014 aus ihrer Geburtsstadt Donezk, als
       dort von Russland gelenkte Milizen die Macht übernahmen und begannen, gegen
       die ukrainische Armee zu kämpfen. Damals war sie zehn Jahre alt. In den
       folgenden Jahren lebte sie in Mariupol, der zweitgrößten Stadt der Region.
       Und nur rund 15 Kilometer entfernt von der sogenannten Kontaktlinie, wie
       die Front in dieser Zeit genannt wurde, als es relativ ruhig war.
       
       Doch auch aus Mariupol musste sie fliehen, als vor zwei Jahren die
       russische Armee die Stadt angriff. Dazu komme, dass ihre Eltern schon früh
       gestorben seien und sie die meiste Zeit bei einer Tante aufwuchs, die
       selbst psychische Probleme hatte.
       
       ## Zwei Jahre Ausbildung
       
       Hilfe für Menschen wie Lisanna bietet in Kyjiw eine Hilfsorganisation
       namens Innikos an. „Der Name ergibt sich einfach aus den Anfangsbuchstaben
       der Namen unserer ersten drei Hunde“, erklärt Maryna Prokopenko. Sie ist
       gelernte Hundetrainerin und leitet das Zentrum für Hundetherapie in der
       ukrainischen Hauptstadt.
       
       Im Oktober vergangenen Jahres hat Innikos mit der Arbeit begonnen. Derzeit
       arbeiten zwei Psychologinnen und fünf HundetrainerInnen mit sechs Hunden.
       Zwei weitere Hunde bilden Prokopenko und ihre KollegInnen gerade aus. Das
       dauere ein bis zwei Jahre. Am Ende habe jeder ein international anerkanntes
       Zertifikat.
       
       Einer der Hunde in Ausbildung ist Barca. „Er ist ein Belgischer Schäferhund
       und noch sehr verspielt“, sagt Maryna Prokopenko. „Aber er hat einen guten
       Charakter.“ Grundsätzlich sei es aber einfacher, mit etwas älteren Hunden
       zu arbeiten. Bei ihnen erkenne man leichter, ob und wie sie sich für die
       Therapie eigneten.
       
       Monatlich gibt es im Therapie-Zentrum etwa 120 Einzel- und 24
       Gruppensitzungen. Das Angebot ist für die PatientInnen kostenlos. Es
       richtet sich ohne Altersbeschränkung sowohl an ZivilistInnen als auch
       SoldatInnen. Finanziert wird es von der französischen Royal Canin
       Foundation. Inzwischen hat Innikos eigene Räume im Stadtteil Obolon im
       Norden Kyjiws bezogen.
       
       ## Beratungen und Kinderbetreuung
       
       Die ersten Therapiesitzungen hatten im vergangenen Herbst zunächst im
       [2][Mariupol Center in der Innenstadt] stattgefunden. Dabei handelt sich um
       Räume einer gemeinnützigen Stiftung, die von der Stadt Mariupol gegründet
       worden war. Dort wird Binnenvertriebenen aus dem von Russland zerstörten
       und besetzen Mariupol beim Einleben am neuen Wohnort geholfen. Solche
       Zentren gibt es in praktisch allen Großstädten westlich des Dnipro. Zum
       Angebot gehört neben einem breiten Beratungsspektrum auch kurzzeitige
       Kinderbetreuung.
       
       Auch am neuen Ort gibt es diese Angebote. Und das sieht man dem Raum auch
       an, in dem an diesem Tag Lisannas Therapiesitzung stattfindet. Es gibt
       quietschbuntes Spielzeug und Stofftiere für Vorschulkinder und sogar ein
       kleines Spielhaus. Das inspiziert auch gleich Therapiehund Nika und führt
       dann ein paar Kunststücke vor. Die Hündin hört aufs Wort, gibt brav
       Pfötchen und macht Männchen. Patientin Lisanna strahlt über das ganze
       Gesicht und belohnt Nika mit einem Hundesnack.
       
       Psychologin Anna Chasovnikova ist Lisannas Therapeutin. „20 Sitzungen
       hatten wir schon zusammen“, sagt sie. Die Hunde sollen ihre Arbeit
       unterstützen. „Durch das Streicheln der Hunde könnten die gestressten
       Patientenseelen entspannen.“ Die Nähe zum Hund könne trösten und
       Angstzustände lösen. Blutdruck und Pulsfrequenz sinken.
       
       „Die Hunde sind ein Türöffner“, so Chasovnikova, und führt das Beispiel
       eines Patienten an, der seine eigenen Probleme nicht benennen konnte. „Er
       sagte immer, mit ihm sei alles in Ordnung.“ Nach ein paar Minuten mit dem
       Hund konnte er endlich weinen und fand das sehr befreiend.
       
       ## Ein wenig Ablenkung
       
       Manchen Patienten falle es leichter, dem Hund etwas zu erzählen als einem
       anderen Menschen. „Ein Hund hat keine Erwartungen und gibt keine
       Ratschläge.“ Außerdem helfe der Umgang mit dem Hund den Menschen, sich
       kurzzeitig von ihren Sorgen abzulenken.
       
       Seit 16 Jahren arbeite sie als Psychotherapeutin, erzählt Chasovnikova. Die
       Arbeit mit den Hunden sei für sie noch recht neu, aber sie schätze sie
       schon jetzt sehr. Bei Lisanna kann sich die Therapeutin außerdem besonders
       einfühlen. Auch sie selber musste zweimal fliehen: 2014 und 2022.
       
       So individuell wie die Menschen sind auch die Hunde. „Nicht jeder passt zu
       jedem“, erklärt Daria Reznichenko. Sie ist Hundetrainerin und bei Innikos
       für die Organisation zuständig. „Wir führen Vorgespräche mit den Patienten,
       um herauszufinden, welcher Hund am besten passt.“ Manche Patienten
       bräuchten nur ein Tier zum Kuscheln. „Dann brauchen wir einen ruhigen Hund.
       Andere benötigen ein aktiveres Tier, das sie ein bisschen in Bewegung
       bringt.“ Natürlich eigne sich die Therapie nicht für jeden. Zum Beispiel
       nicht, wenn jemand Angst vor Hunden habe oder eine Hundehaarallergie.
       
       Eigentlich geht es bei der Therapie um die menschlichen PatientInnen. Aber
       auch die Tiere haben etwas davon. Therapiehund Chelsea liegt auf dem
       Teppich und schmiegt sich an Reznichenkos Bein. „Sie hat auf der Straße
       gelebt und dann zwei Jahre in einem Tierheim.“ Chelsea ist eher der
       Knuddelhund: sehr ruhig und auch fremden Menschen sofort zugewandt.
       
       Die Nachfrage sei groß. Deshalb bilde man auch neue Hunde aus. Ziel sei es,
       [3][qualifizierte Hilfe für Menschen zu ermöglichen, die nach Beginn der
       groß angelegten russischen Invasion mit psychischen Problemen und Traumata
       konfrontiert seien]. Derzeit plant Innikos, zwei neue Standorte in anderen
       ukrainischen Städten zu eröffnen.
       
       28 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Kriegsversehrte-in-der-Ukraine/!5976702
 (DIR) [2] https://www.mhelp.org.ua/en
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marco Zschieck
       
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