# taz.de -- Mehr Schutz für Queers: Gegen „Heilung“ und „Beratung“
       
       > Seit 2020 sind viele Konversionsbehandlungen verboten, doch nicht alle.
       > Expert*innen fordern strengere Gesetze – und damit mehr Schutz für
       > Betroffene.
       
 (IMG) Bild: Es geht um Akzeptanz, nicht Umerziehung
       
       BERLIN taz | [1][Expert*innen verschiedener queerpolitischer Verbände]
       fordern einen besseren Schutz queerer Menschen vor Therapien zur
       „Behandlung“ von Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit. In einem
       Schreiben an die Bundesregierung, das der taz vorliegt, kritisiert die
       Expert*innengruppe, das geltende Gesetz zum Schutz von
       Konversionsbehandlungen habe Schwachstellen.
       
       [2][Konversionsversuche] sind Praktiken, die queere Menschen „heilen“
       sollen. Sie zielen darauf ab, die sexuelle Orientierung oder die
       geschlechtliche Identität der Betroffenen zu ändern oder zu unterdrücken.
       [3][In Deutschland gilt seit 2020] ein Gesetz, das solche Therapien für
       Minderjährige und Erwachsene mit Einschränkungen untersagt.
       
       „Wir brauchen ein Vollverbot“, sagt Matti Seithe im Gespräch mit der taz.
       Seithe ist einer der unterzeichnenden Expert*innen, er arbeitet bei der
       Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Bislang verbietet das Gesetz nur
       Konversionsversuche an unter 18-Jährigen und solche, bei denen die
       Durchführung „auf einem Willensmangel“ von Erwachsenen beruht. Die
       Expert*innen fordern deshalb: Diese „Interventionen sind grundsätzlich
       unethisch und menschenrechtswidrig.“ Sie müssten altersunabhängig verboten
       sein.
       
       Die Expert*innen fordern außerdem, von „Maßnahmen“ statt von
       „Behandlungen“ zu sprechen. „Konversionsbehandlungen“ lehne zu stark am
       Begriff der Therapie an. „Das sind keine Therapien, sie helfen nicht, sie
       schaden“, sagt Seithe. Wie entsprechende Angebote formuliert seien, hätte
       sich seit dem Verbot 2020 sprachlich – und damit rechtlich – angepasst. Vor
       allem vermeintlich „ergebnisoffene“ oder seelsorgerische „Beratungen“
       fallen nach dem aktuellen Gesetzestext nicht unbedingt unter das Verbot.
       Sie sind aber ebenso gefährlich.
       
       ## Druck aus dem persönlichen Umfeld
       
       Das zeigt eine Erhebung des Forschers Klemens Ketelhut vom Verein Mosaik
       Deutschland, der ebenfalls zu der Expert*innengruppe zählt. In der
       nicht repräsentativen Umfrage von 2023 gaben von etwa 3.000 befragten
       Personen 43 Prozent an, dass ihnen vorgeschlagen wurde, ihre
       geschlechtliche Identität zu unterdrücken, 29 Prozent sei nahegelegt
       worden, ihre sexuelle Orientierung zu ändern. Das Erschreckende: Am
       häufigsten passierte dies im nahen Umfeld, von Familienmitgliedern, in der
       Schule, der Gemeinde oder der Seelsorge, aber auch in Psychotherapien und
       Beratungen.
       
       Jenny Wilken ist ebenfalls unter den Expert*innen, sie hat selbst
       Konversionsversuche erlebt. Aufgewachsen in einem tiefchristlichen Umfeld
       habe Wilken mit 19 Jahren gemerkt, dass sie hinter einer Fassade lebe, sagt
       sie der taz. Das war 2008. Sie suchte Unterstützung bei einer
       Beratungsstelle. Was sie dort bekam, war Verurteilung. „Die dritte Frage,
       die mir gestellt wurde, war, ob ich eine geschlechtsangleichende OP
       möchte“, sagt Wilken. Weil sie die Frage verneinte, sagten die Beratenden:
       Dann sei sie nicht trans. Daraufhin setzten Selbstzweifel ein, Wilken
       fragte ihre Eltern um Rat. Die schickten sie zu einer christlichen
       Beratung.
       
       Wilken schrieb daraufhin mit einem „Berater“ per Mail. „Erst schien er
       verständnisvoll. Dann wurde er drohender. Ich sollte wöchentlich berichten,
       wann und wie oft ich Gedanken hatte, eine Frau zu sein“, sagt Wilken. Der
       „Berater“ habe ihr zur Hilfe Gebete angeboten. Er habe sie zu
       „Männer“-Seminaren eingeladen, ihre Gedanken als Sünde bezeichnet, den
       Teufel beschuldigt. Nach einigen Monaten zweifelte Wilken seine Methoden
       an. „Ich habe alles versucht, aber meine Gefühle gingen nicht weg“, sagt
       sie. Sie brach die „Beratung“ ab, bekam aber noch jahrelang Post von dem
       Verein.
       
       ## Eltern von Strafe prinzipiell ausgenommen
       
       Zwei Jahre später brach Wilken mit ihrem bisherigen Leben. Sie trat aus den
       christlichen Jugendgruppen aus, verließ ihr soziales Umfeld. Es sei eine
       schmerzhafte Zeit gewesen. „Ich habe dadurch zwei Jahre länger gebraucht,
       um herauszufinden, wer ich bin.“ Sie sagt: Vielen Überlebenden falle es
       schwer, über das Erlebte zu sprechen. Weil es oft im nahen Umfeld passiere,
       die Vermittlung an Beratungsstellen innerhalb des religiösen Netzwerkes
       geschehe.
       
       Aktuell sind Erziehungsberechtigte von einer Strafe ausgenommen, sofern sie
       nicht ihre Fürsorgepflicht „gröblich verletzen“. Im Koalitionsvertrag
       kündigte die Ampelregierung an, diese Ausnahme aufzuheben. Ein Versprechen,
       das die Regierung bisher schuldig bleibt, sagt Matti Seithe. Sven Lehmann
       (Grüne), der Queerbeauftragte der Bundesregierung, sagt auf Anfrage der
       taz, es sei wichtig, „zügig Schutzlücken im Gesetz zum Schutz vor
       Konversionsbehandlungen zu schließen“.
       
       Die Expert*innen fordern neben rechtlichem Schutz auch Forschung,
       Bildung und Prävention, etwa Schulungen für Beratungsstellen. Mehr Wissen
       über Transgeschlechtlichkeit und sensiblere Beratung hätten Jenny Wilken in
       ihrer Jugend viel Schmerz erspart, sagt sie. „Ich hätte mich früher outen,
       ich hätte anders leben können.“
       
       25 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.befragung-unheilbar-queer.de/
 (DIR) [2] /Christliche-Konversionstherapie/!5976680
 (DIR) [3] /Bundestag-schuetzt-Homosexuelle/!5683595
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Antonia Groß
       
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