# taz.de -- Der Hausbesuch: Robuste Eleganz
       
       > Ronja Mende und Augusto Talpalar stellen Schmuck her, der nicht gefällig
       > sein soll. Aus dem Handwerk ziehen sie Lehren fürs Leben.
       
 (IMG) Bild: Rauchquarz, Bergkristall, Achat: „Schmuck kann den Charakter verändern“, sagen die Designer
       
       Schmuck kann ein Symbol für Unterdrückung, Konformität und Angepasstheit
       sein. Das wollen Ronja Mende und Augusto Talpalar nicht.
       
       Draußen: Die Straßenbahn M 13 fährt von der Berliner Partymeile in
       Friedrichshain in Richtung Nordosten, und je länger die Fahrt dauert, desto
       eintöniger erscheint die Szenerie. Die Menschen gehetzt, die Architektur
       seriell, Häuser der 70er, 80er Jahre. Im Stadtteil Weißensee, neben einem
       eingerüsteten Wohnhaus, steht das Gebäude, in dem Ronja Mende und Augusto
       Talpalar leben. Ihre Namensschilder kleben neben denen verschiedener
       Agenturen.
       
       Drinnen: Räucherstäbchen aus Indien verströmen Sandelholzduft. Dazu
       argentinische Gitarrenmusik. Im Flur ein Vitrinentisch, darin Kollektionen
       aus Steinen und Silber. Drei dieser Tische mit Bergkristallketten und
       Achatringen stehen auch in der Wohnküche. Schwarze Holzmasken an den Wänden
       tragen silberne Ohrringe. Und wenn Gäste zu Besuch sind, schiebt das Paar
       die Abdeckplatte über den Herd und drapiert auch darauf Schmuck. Die
       29-jährige Ronja trägt einen großen Rauchquarz um den Hals, der fünf Jahre
       ältere Augusto hat einen riesigen blauen Labradorit an seinem Flesh-Tunnel
       im Ohr stecken. Ihre Wohnung nutzen die beiden je nach Bedarf auch als
       temporären Verkaufsraum. „UNAMĒ Design“ heißt ihr Label.
       
       Genuss: Mit einem Schluck des bitteren, aber wohlschmeckenden echten
       Matetees wird jeder willkommen geheißen, der die Wohnung betritt. Ein
       Zeichen argentinischer Gastfreundschaft. „Die Bombilla – das Trinkröhrchen
       – darf nicht bewegt werden“, erklärt Augusto, „damit keine Luft eindringt
       und die Blätter oxidieren.“ Man teilt sich das Getränk – die Blätter werden
       immer wieder mit heißem Wasser übergossen, das Trinkröhrchen wandert von
       Mund zu Mund. „Wir machen in der argentinischen Kultur keinen Unterschied
       zwischen dem alten Freund und dem neuen Bekannten, und so wird jeder
       schnell in den engen Kreis aufgenommen“, sagt Augusto und gießt warmes
       Wasser aus seiner Thermoskanne auf die Mateblätter. Ronja erzählt, dass sie
       sich auf einer Reise nach Argentinien erst an diese Zeremonie gewöhnen
       musste. Sie erinnert sich an die von der argentinischen Regierung während
       der Pandemie verbreiteten Plakate mit der Warnung, man soll bitte keinen
       Mate miteinander teilen. Das ist vorbei.
       
       Atelier: Einen Raum der Wohnung hat das Paar zu einem Atelier umgebaut.
       Hier wird gegossen, montiert, geschmolzen, gehärtet, gepresst, geschmiedet,
       geschliffen, poliert. Jeder hat seinen eigenen Arbeitstisch. Darauf liegen
       Miniaturfeilen in einer Reihe, Zangen in verschiedenen Formen – flach und
       halbrund. Es sieht aus wie in einer Zahnarztpraxis, bei den Designern
       herrscht kein kreatives Chaos. „Das abendliche Aufräumen ist bei
       Goldschmieden ein Gesetz. Vor allem, weil wir mit Gold und Silber arbeiten,
       müssen wir alles ganz sauber trennen“, sagt Ronja.
       
       Selbstbewusstsein: Ronja und Augusto entwerfen „skulpturalen“ Schmuck, der
       eher grob als grazil ist. „Solchen Schmuck zu tragen, hat etwas mit
       Selbstbewusstsein zu tun“, sagt Augusto. „Es ist ein Fehler zu denken, dass
       man sich ändern muss, seine Kleidung, sein Verhalten, seine Frisur, um
       diesen Schmuck zu tragen“, sagt Ronja. Sie ermutigten jeden, ihren Schmuck
       auszuprobieren. Ihre Kunden würden oft stundenlang auf dem Sofa sitzen, um
       herauszufinden, wie sie sich fühlten mit einer Kette, mit Ohrringen, einem
       Armreif, der nicht gefällig ist. „Der Schmuck kann den Charakter
       verändern“, sagt Ronja, „etwa durch die Kraft der Steine.“
       
       Freiheit: Augusto wiederum geht es darum, mit der Kraft des Schmuckes auch
       einen Schritt in die eigene Freiheit zu wagen. Sein Lebensmotto: Sich keine
       Sorgen zu machen über das Heute und das Morgen und darüber, was die anderen
       über einen denken. „Wenn jemand etwas Negatives über meine Tattoos oder
       Piercings sagt, dann ist das ein Spiegelbild dieser Person und hat nichts
       mit mir zu tun.“
       
       Ruf: Auch Ronja hatte früher das Gefühl, als Frau die Erwartungen der
       anderen erfüllen zu müssen. Sei es im Beruf, bei der Partnersuche, in der
       Familie. Bis sie Augusto traf und der Spruch, den ihre Großmutter immer
       wiederholt hatte, sich bewahrheitete: „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es
       sich recht ungeniert.“ Wer bin ich eigentlich? Diese Frage habe sie lange
       beschäftigt. „In Deutschland identifiziert man sich oft nur über einen Job
       oder seine Rolle in der traditionellen Familie, also über das, was die
       Gesellschaft einordnet“, sagt sie.
       
       Valencia: Ronja kommt aus einem kleinen Dorf in Bayern. Als Kind besucht
       sie die Waldorfschule in Würzburg, macht später eine Ausbildung zur
       Goldschmiedin in Hanau, arbeitet in der Schmuck- und Uhrenindustrie in
       Köln, studiert Innenarchitektur in Rosenheim. Weil sie all das nicht
       glücklich macht, entscheidet sie sich für einen Erasmus-Aufenthalt in
       Valencia. Augusto wiederum, der zu dieser Zeit in Argentinien als
       Englischlehrer arbeitet, verliert mehr und mehr die Lust daran. Amazonien
       in Brasilien interessiert ihn. Also beginnt er, dort als Kellner und
       Friseur zu arbeiten, bekommt ein Jobangebot als Kundenbetreuer für eine
       internationale Dating-App auf den Philippinen. Nimmt an, und kündigt bald
       wieder. Seine Selbstsuche führt ihn nach Valencia. Auf einer
       Tanzveranstaltung lernt er Ronja kennen.
       
       Improvisieren: Kurz vor dem ersten Corona-Lockdown zieht das frisch
       verliebte Paar nach Bayern in Ronjas Elternhaus. Dort erfüllt Ronja Augusto
       einen Traum und führt ihn in die Geheimnisse der Goldschmiedekunst ein.
       „Wir haben angefangen zu improvisieren, wir lassen die Steine immer wieder
       in neuen Formen erstrahlen und das hat funktioniert“, sagt Ronja. Später
       gehen sie wieder auf Reisen. Auf den Märkten von Österreich bis Tschechien
       und in Großbritannien bieten sie ihre Schmuckstücke an.
       
       Berlin: Seit einem Jahr leben sie in Berlin. „Wir haben einander. Und das
       ist das Wichtigste“, sagt Augusto. „Wir sind zwei Seiten derselben
       Medaille, zwei Hälften ergeben eins.“ Durch das Goldschmieden hätten beide
       fürs Leben gelernt, dass „ein Fehler kein Scheitern ist, sondern eine
       Gelegenheit, sich weiterzuentwickeln. Übertragen heißt das: Das Leben so zu
       gestalten, wie wir es wollen.“
       
       Empathie: Diese Freiheit des Ausdrucks spiegeln ihre Schmuckkollektionen
       wider. Die beiden wünschen sich, dass das Thema Freiheit auch
       gesellschaftlich stärker gelebt wird. „Widerstand“ will Ronja in
       Deutschland. Deshalb demonstriert sie mit ihrem Freund in Berlin [1][immer
       wieder gegen die AfD] und gegen Radikalisierung. Augusto will „Empathie
       zeigen“ – mit anderen Migrant:innen und Geflüchteten in Berlin. „Ich
       lebe hier als Argentinier privilegiert“, sagt er. Sein argentinischer Pass
       werde nie mit besonderem Augenmerk kontrolliert, anders etwa als er es bei
       Passkontrollen von Menschen aus dem [2][Nahen Osten] beobachtet habe. Auch
       im Alltag werde er besser behandelt als Menschen, die türkisch oder
       arabisch aussehen.
       
       Furchtlos: Noch einmal zieht er die Parallele zur Schmuckkollektion, die
       sie herstellen. Wer wissen wolle, wie es ist, anders zu sein, solle
       „skulpturalen“ Schmuck tragen. Es sei eine Schule, in der man lerne, „sich
       nicht davor zu fürchten, anders auszusehen, anders zu denken und anders zu
       fühlen“.
       
       1 May 2024
       
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