# taz.de -- Empfehlungen zu § 218-Reform: „Erwarte, dass sie diese umsetzen“
       
       > Die Juristin Liane Wörner gehörte zur Expert_innengruppe für die Reform
       > des Abtreibungsrechts. Im Gespräch weist sie die Kritik an der Kommission
       > ab.
       
 (IMG) Bild: Flashmob des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung unter dem Motto: Legal, einfach, fair, in Berlin am 15.04.2024
       
       taz: Frau Wörner, die MinisterInnen wollen [1][die Ergebnisse Ihrer
       Kommission] prüfen. Zur konkreten Umsetzung der Empfehlungen haben sie sich
       nicht geäußert. Wie finden Sie das? 
       
       Liane Wörner: Das war genau so erwartbar. Den MinisterInnen wurde erst
       heute offiziell der Bericht überreicht. Sie müssen jetzt sorgfältig
       gemeinsam prüfen. Dafür haben sie sich erklärt. Was ich sehr positiv finde,
       ist, dass sie die Dringlichkeit des Themas sehen, dass sie beschleunigt
       prüfen wollen und dass sie sich des Themas wegen seiner gesellschaftlichen
       Bedeutung annehmen wollen.
       
       Erwarten Sie nun, dass die Gesetzeslage zum Schwangerschaftsabbruch in
       Deutschland reformiert wird? 
       
       Wenn sich drei Ministerien zur Aufgabe machen, die reproduktive
       Selbstbestimmung zu reformieren und eine entsprechende Kommission aus
       renommierten Wissenschaftler_innen einsetzen, gehe ich doch stark davon
       aus, dass sie unsere Empfehlungen dafür als relevant betrachten. Ich
       erwarte, dass sie diese dann auch umsetzen.
       
       Die Debatte über Ihre Studie ist schon hochgekocht, bevor Sie Ihre
       Ergebnisse überhaupt offiziell vorgestellt hatten. Haben Sie das erwartet? 
       
       Die Ergebnisse unserer Studie wurden vergangene Woche durch ein Leak
       bekannt. Wie es dazu kam, wissen wir nicht. Problematisch daran ist, dass
       dadurch Wissenschaftler_innen die Möglichkeit genommen wird,
       Arbeitsergebnisse öffentlich zu interpretieren. Das ist für eine
       qualitative Medienberichterstattung, die wir uns wünschen, bedauerlich.
       
       [2][ Unionsfraktionsvize Dorothee Bär hat die Unabhängigkeit der Kommission
       in Frage gestellt und gesagt, Sie hätten geliefert, was „bestellt“ worden
       sei. ] 
       
       Wenn Frau Bär meint, dass wir diesen Auftrag erledigt haben, bedanke ich
       mich für das Lob. Wir haben unabhängig untersucht, ob und wie man den
       Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafrechts regeln kann. Das haben
       wir unter Beteiligung der Fraktionen des Parlaments sowie unter
       Hinzuziehung von 39 uns vorgelegten Stellungnahmen von Interessenverbänden
       und unter Berücksichtigung sämtlicher weiterer uns zugesandter einzelner
       Schriften getan. Wer den Bericht liest, liest auch, dass wir uns mit dem
       Schutz des Fötus intensiv befassen – ebenso intensiv wie mit dem Schutz der
       Schwangeren. Unser Gesamtkonzept berücksichtigt alle Belange.
       
       Für die ersten drei Monaten empfehlen Sie eine Legalisierung. Je weiter die
       Schwangerschaft fortschreitet, desto stärker rückt der Embryo ins
       Blickfeld. Konkrete Empfehlungen für eine Regelung geben Sie dann nicht
       mehr. Drücken Sie sich davor? 
       
       Auf keinen Fall. Aber wir können und dürfen dem Gesetzgeber keine Gesetze
       vorschreiben. Ob er sich dazu entschließt, Schwangerschaftsabbrüche
       grundsätzlich für rechtmäßig zu halten, ist seine Sache. Wir haben ein
       konsequentes Konzept erarbeitet, um das Recht zum Schwangerschaftsabbruch
       vom Kopf auf die Füße zu stellen.
       
       Was meinen Sie damit? 
       
       Derzeit werden zu Beginn von Schwangerschaften rechtswidrige, aber
       straffreie Abbrüche durchgeführt. Das betrifft die meisten der in
       Deutschland durchgeführten Abbrüche. Rechtmäßigkeit ist die Ausnahme und
       bedarf der Feststellung einer Indikation, also zum Beispiel der
       medizinischen oder kriminologischen. Wir empfehlen: Am Anfang der
       Schwangerschaft grundsätzliche Rechtmäßigkeit, gegen Ende grundsätzliche
       Rechtswidrigkeit mit Ausnahmen. Doch auch dann müssen Regelung und
       Ausnahmen nicht zwingend im Strafgesetzbuch geregelt sein.
       
       Angenommen, es kommt zu einer Gesetzesänderung – ist dann wieder [3][das
       Bundesverfassungsgericht dran]? Unionsfraktionsgeschäftsführer Thorsten
       Frei hat eine dortige Klage bereits angekündigt. 
       
       Die Möglichkeit besteht, ja.
       
       Haben Sie die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts im Prinzip schon
       vorweggenommen? 
       
       Das Gericht würde eine andere Situation vor Augen haben als wir jetzt.
       Jetzt gelten die Paragrafen 218 und 218a. Wenn das Gericht dran ist, würden
       die nicht mehr in dieser Form gelten. Bestenfalls greift das Gericht dann
       auf unsere Argumentationen zurück.
       
       Könnte das Gericht ein neues Gesetz wieder für verfassungswidrig erklären –
       wie schon 1975 und 1993? 
       
       Das wäre ein Worst-Case-Scenario. Aber wir haben nicht mehr 1993, sondern
       dann hoffentlich 2025. Alles Weitere wäre Spekulation.
       
       Ihre Arbeitsgruppe bestand nur aus Frauen. Führt das zu einer einseitigen
       Perspektive? 
       
       Die Besetzung der Kommission liegt außerhalb unseres Entscheidungsbereichs.
       Die Ministerien haben die Wissenschaftler_innen der Fachgebiete gemeinsam
       ausgewählt. Unsere Perspektiven in der Kommission auf das Thema sind sehr
       verschieden. Das war erforderlich und hilfreich, um die weite Dimension des
       Themas zu verstehen. Eine Kommission mit diesen Expertisen und diesen
       Auffassungen kommt zu diesem Ergebnis – männlich oder weiblich oder divers,
       das spielt keine Rolle. Früher wurde übrigens nie gefragt, warum
       Kommissionen nur männlich besetzt waren.
       
       Was erwarten Sie für die kommenden Monate? 
       
       Ich hoffe, dass viele Personen aus allen Perspektiven heraus kritisch
       unsere Ergebnisse diskutieren werden. Bei allem Respekt für den Schutz des
       ungeborenen Lebens muss die Einsicht entstehen, dass für Frauen
       Menschenrechte gelten. Eine Frau hat reproduktive Rechte. Diese müssen
       geschützt werden.
       
       15 Apr 2024
       
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